Einstellungen sind wichtiger als Tatsachen - Drei kleine Gedichte

Ich habe den Spiegel umgedreht,
sagte eine Achtzigjährige.
Jetzt zeigt er zur Wand.
Ungewohnt war neuerdings
sein Blick auf mich.
Ich will das Bild,
das ich von mir habe,
behalten,
denn mein Geist ist jung,
so jung wie das Bild
in meinem Kopf
und der Spiegel zeigt
Verfall.
Zeit ist kurz,
Angst wächst.
Ich überliste beide
und drehe den Spiegel um.

Der Blick in den Spiegel
macht mir Angst.
Das Alter nagt an mir.
Vor Jahren
war alles noch frisch und glatt.
Und jetzt?

Ich muss mich sputen!
… sagte …
eine
Sechzehnjährige.


Eine Frage der Betrachtung

Er hat ein rundes, dickes Gesicht,
wulstige Lippen, fleischige Ohren,
speckiges Doppelkinn.
Seine gerundete Stirn hoch,
sein Teint hell.
Auf seiner Glatze
nur ein Flaum von kurzen, weißblonden Haaren.
Im Unterkiefer fehlen ihm Zähne,
und wenn er spricht,
ist es schwer verständliches Zeug.
Seine großen, wasserblauen Augen wimpernlos,
ihm fehlen ausgeprägte Brauen.
Sein Hals kaum wahrnehmbar,
Speckmasse überall, gedrungener Körper.
Seine Bewegungen unkoordiniert.

Er sitzt auf der Couch, von einem Kissen gestützt.
Neben ihm liegt eine Rassel, ein Bilderbuch...

Er ist ja erst ein Jahr alt.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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