Herta Müller eröffnet Ruhrtriennale: „Ein Ausweg nach innen"

Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller eröffnete die Ruhrtriennale mit einer bewegenden Rede gegen gegen Diktatur und Unterdrückung jeder Art. Hier mit Intendant Johan Simons. Foto: cd
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Eine bewegende Rede gegen Diktatur und Unterdrückung:

BOCHUM. Eine Literatur-Nobelpreisträgerin trifft man nicht alle Tage. Die Neugier war groß und die Turbinenhalle bis auf den letzten Platz besetzt: Die kleine, stahlzarte Frau mit der warmen, traurigen Stimme erschütterte die Zuhörer sanft, aber nachhaltig mit ihrer Lebensgeschichte: Aufgewachsen als deutschsprachige Banater-Schwäbin im Rumänien des Diktators Ceaucescu. Als Kind beim täglichen Kühehüten, klein und allein, erschuf sie sich eine eigene Welt: „Ich war bis abends eingeschlossen im Dorf der Pflanzen. Ich wollte zu ihnen gehören. Sie waren mager, dick, frech oder scheu wie Menschen.“. Die kleine Herta lernte früh, dass man nicht alles allen erzählen darf. Einmal hat sie ihre Oma nach der Kirche durch folgende Beobachtung alarmiert: „Das Herz der heiligen Maria ist ja eine durchgeschnittene Wassermelone. Darauf die Oma: Das kann sein, aber das darfst du niemandem sagen. Ich hielt mich daran und wusste seit damals, dass die Dinge verbotene Winkel haben und das man mehr sieht, als man sagen darf“.

„Komplizenschaft mit der Dahlie“

Gänsehaut beim Zuhören auch, wie sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik vom Direktor, von Kollegen und der rumänischen Geheimpolizei Securitate systematisch gemobbt, gedemütigt und offen mit „Unfalltod“ bedroht wurde. Weil sie nicht bereit war, andere zu bespitzeln. Herta Müller: „Oft kommt der Anfang des Totalitären harmlos daher, als ginge es nur um guten Geschmack, um Verletzung der Gefühle, die Gewöhnung an einige Grenzen, über die man sich im Schreiben und / oder Malen nicht hinwegsetzen dürfe. Und dann kommt Schritt für Schritt immer noch eine Grenze hinzu“. Herta Müller fand die richtigen Worte für den Sadismus ihrer Peiniger. Und auch Worte für den Trost und die Kraft, die in der Schönheit der Natur liegen: „Von der Komplizenschaft mit der Dahlie, durfte, wie damals im Tal, auch jetzt niemand wissen. Wem sollte ich sagen, dass in der Dahlie eine kluge Ruhe blüht?“.

1987 konnte Herta Müller nach Deutschland ausreisen. Die erneuten Verhöre im Flüchtlings-Erstaufnahmelager waren bedrückend für sie. Doch bald konnte sie frei durch ganz Europa reisen. Und weil ihr die üblichen Kitsch-Postkarten nicht gefielen, hat sie eigene gebastelt. Hat Karteikarten mit ausgeschnittenen Wörtern beklebt und verschickt. Zuhause hat Herta Müller seitdem ein Wörterschränkchen. Da hat sie Tausende Worte aus Zeitungen oder Zeitschriften alphabetisch gesammelt: „Manche Wörter liegen seit Jahren in der Schublade, sie werden alt, das Papier vergilbt und wird spröd. Sie bekommen Falten.“ Bei Herta Müller bekommen Wörter so auch optisch ein Eigenleben, sind stark, beängstigend und schön. Ihre tolle Rede ist nachzulesen unter: ruhrtriennale/Herta Müller/Rede.          (cd)

Herta Müller:

ist eine der bedeutendsten und engagiertesten Schriftstellerinnen Europas. Sie wurde 1953 in Nitzkydorf (Rumänien) geboren und lebt seit 1987 als Schriftstellerin in Berlin. Für ihre Romane, Wortcollagen und Vorträge wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ist Trägerin des Nobelpreises für Literatur 2009. Zu ihren bekanntesten Werken gehören „Niederungen“ (1982/1984), „Reisende auf einem Bein“ (1989), „Herztier“ (1994), „Atemschaukel“ (2009) und „Vater telefoniert mit den Fliegen“ (2012).

Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller eröffnete die Ruhrtriennale mit einer bewegenden Rede gegen gegen Diktatur und Unterdrückung jeder Art. Hier mit Intendant Johan Simons. Foto: cd
Herta Müller nach ihrer Rede mit Vasco Boenisch. Foto: cd
Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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