Wie Reiche hinter den Türen leben...
Memoiren einer schreibenden Putzfrau

Memoiren einer schreibenden Putzfrau
Putzfrauen sind neben Köchinnen die wichtigsten Personen in einem Haushalt, nur leider nicht nach ihrem Wert bezahlt, die so manche Luxusweibchen nicht können und auf ihre Hilfe angewiesen sind.
In letzter Zeit durfte ich gute, intensive Gespräche mit meinen herzlichen Putzfrauen führen und sie erinnerten mich an die Zeit, als ich selbst Putzfrau war, wie sie alleinerziehend mit Kindern, sich durchs Leben helfend und die Anwesenheit eines Mannes konsequent ablehnend. Wir waren in diesen Gesprächen durch die Gemeinsamkeit, so schien mir, verbunden.
Ich war also auch einmal Putzfrau gewesen.
Es gab nichts, was ich nicht putzte, vom Boden bis zum Wintergarten, von der Dusche bis zur Sauna. Ich bezog Betten, wusch Wäsche und bügelte, immer in hochherrschaftlichen Gebäuden, in denen die Dame des Hauses glaubte, habe die Putzfrau, die Kinderfrau oder andere Bedienstete gut gearbeitet, hätte sie ja nun alles zu ihrer Zufriedenheit der Führung des Hauses erledigt.
In meiner ersten Stelle in einem großen Walmdachhaus staubte ich Buchattrappen auf einer ausladenden Schrankwand und eine Madonnenfigur zwischen der Kamin- und Wohnzimmerecke ab. Das Badezimmer maß circa 50 qm mit vergoldeten verschnörkelten Wasserhähnen, einer riesigen Badewanne mit Whirlpoolfunktion. Schwer zu reinigen.
Doch das Zimmer des Sohnes war so winzig wie ein Studentenwohnheimzimmer, vielleicht ein Drittel des Badezimmers. Jahre kam ich durch eine Annonce nochmal in das gleiche Haus. Die Besitzer hatten gewechselt und die neuen Besitzer schimpften über ihre Vorgänger, die sie sie betrogen und alles im schlechten Zustand hinterlassen hatten. Ihre Firma war in Konkurs gegangen und sie waren genötigt gewesen, auszuziehen. Unter diesen Umständen nahm ich die Stelle lieber nicht an.
Was kam dann? Ein Haus mit herrschaftlichem Schwimmbad und Sauna und einem riesigen Hovawart, einem Kalb von Hund, größer als ein Bernhardiner. Sofort wie mich die Besitzerin darauf hin, dass der Hund keine Fremden ungebeten herein ließe um mir Angst zu machen. Ich aber mag Hunde und teilte mein Pausenbrot mit ihm, was mir dann strengstens verboten wurde. In diesem Haus war der Hund mein einziger Freund. Die Chefin war Lehrerin und einmal hatte ich gesehen, welchen Blödsinn sie zur Erläuterung ihrer Stunden schrieb, musste mich profilieren und erklärte ihr anhand ihrer Kunstdrucke den Unterschied zwischen einer Kaltnadelradierung und einer Ätzung. Sie sah mich schräg von der Seite an: “ Woher wissen SIE denn das?“
Ich zuckte mit den Schultern und sagte nichts, wollte es mir mit ihr nicht verscherzen.
Ähnliches passierte mir mit einer sehr netten, einfältigen Frau in einem Nur- Holzhaus mit Solaranlage auf dem Dach, die das Schwimmbecken im Garten beheizte. Sie machte in der Küche mit ihrer Tochter Schularbeiten und da die beiden mit der Materie nicht zurechtkamen, machte ich Vorschläge. Meine Arbeitgeberin staunte: „Ich muss mich ja schon sehr wundern über meine Putzfrau…“ Ich verschwieg natürlich, dass ich einmal als Deutschlehrerin gearbeitet hatte. Meine Chefin war in Ordnung, etwas dümmlich, aber nett.
Scharf war dagegen eine andere Frau. Am Telefon dachte ich, es mit einem Mann zu tun zuhaben, so tief war die Stimme. Ich war gespannt. Eine langhaarige Wasserstoffblonde öffnete mir. Von hinten hatte sie immer noch eine unglaubliche Figur, doch vorne sah sie verlebt und verbraucht aus. Sie hatte einen jungen reichen Mann geheiratet und mit ihm eine sechsjährige Tochter. Die Tochter ging in die erste Klasse, war dicklich und dümmlich und nahm immer noch das Fläschchen. Meine Chefin war jetzt Wahrsagerin und hatte ab und zu Kunden, wie zum Beispiel einen Mann, der nachweisen wollte, dass seine Frau fremd ging und sogar ihre Slips auf mögliche Spermien untersuchen ließ.
Am ersten Tag wollte ich einen Lippenstift wegräumen, aber er war festgeklebt. Ich wunderte mich, sagte aber nichts. War das eine paranoide Falle? Die Chefin breitete ihr gesamtes Liebesleben in allen Einzelheiten vor mir aus, im Beisein ihrer Tochter, und ich vermutete, sie habe früher ein ganz anderes Gewerbe betrieben. Im Salon glänzte und glitzerte es von Messing, Glas und Spiegeln. Eines Tages glaubte sie, ich habe ein wertvolles Kristallglas gestohlen und ließ sich nicht davon abbringen. Ich beendete diese Erfahrung.
Die sexuellen Vorlieben der Reichen lernte ich auch in einer wunderschönen alten Jugendstilvilla am Stadtpark kennen. Die hohen Wände zierten riesige Ölgemälde. Die junge hübsche Frau war ausgezogen gewesen und nun reumütig zum Gatten zurückgekehrt. Sie hatten zwei Kinder, einen Jungen von acht Jahren, und ein Mädchen von Drei. Beide Kinder hatten in ihren Zimmern
einen Fernseher und ein Videogerät.
Wundersamerweise war der Junge eines Nachmittags mit seinen Freunden sehr ruhig in seinem Zimmer verschwunden. Es war merkwürdig still. Ich schaute.
Die Jungen hatten Papas Pornos gefunden und sahen sich diese genüsslich an.
Irgendwie hatte das Thema Sex in dieser Familie Priorität. Oftmals kam meine Chefin vom angeblichen Studium angetrunken nach Hause und einmal, als ich etwas früher aufschloss, vergnügte sie sich mit einem jungen Mann am Esszimmertisch. Ihr Gatte bestand aus sarkastischen Bemerkungen über das Liebesleben seiner Frau.
Dann begann die kleine Dreijährige auch noch. Es trug sich so zu: Ich bügelte, und da ihr langweilig war, begann ich zu singen: Wenn sich die Igel küssen, dann müssen, müssen, müssen, sie ganz, ganz fein behutsam sein… Plötzlich sagte dieses kleine dreijährige Mädchen: „Wenn du meinen Bruder küsst, schmeißen meine Eltern dich raus!“ Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Was war hier denn los? Auf welcher Basis vollzog sich das Leben?
Ich kündigte.
Eine ganz andere Erfahrung machte ich auf dem Land auf einem ehemaligen Bauernhof eines dickbäuchigen Anwalts und seiner kuhäugigen blonden Frau, die ein Kind nach dem anderen in die Welt setzte und ncihts anderes geregelt bekam. Einmal säuberte ich die Teller im Schrank und schrie auf. Darauf krabbelten überall schwarze ekelige Küchenschaben herum. Meine Chefin stillte gerade das Baby, telefonierte und sah mich vorwurfsvoll an. Dann kam Weihnachten. Die Hausfrau hatte mich unter fadenscheinigen Gründen nicht bezahlt. So ging ich in die Kanzlei und forderte meinen Lohn. Nach den Ferien riefen sie mich nicht mehr an.
In einer Arztfamilie sprach die schlanke, hübsche Mutter, die bei ihrem Mann als Sprechstundenhilfe arbeitete, von ihren Kindern als „die Monster“. Der Junge war sprachbehindert und psychisch auffällig, sehr aggressiv und initiierte merkwürdige Spiele. Eines Tages wollten die Kinder mich fesseln. Da ich es unterband, wurde der Junge noch aggressiver und fuchtelte mir beim Mittagessen mit einer Gabel vor den Augen herum. Unzumutbar.
Eine andere Familie bezahlte gut. Wie sich später herausstellte, hatten sie von vorne herein geplant, mich nur als Übergang einzustellen. Der achtjährige Junge war aus erster Ehe, das zweijährige Mädchen aus der jetzigen zweiten. Die Kleine war das Engelchen der Familie und wurde hervorgehoben und sehr verwöhnt. Der Junge blickte hasserfüllt auf seine Mutter und seinen Stiefvater, zurückgesetzt, doch leider konnte ich wenig für ihn tun.
Treppenhäuser habe ich auch geputzt., zum Beispiel ein kleines, mit drei Stockwerken. Die obere Etage wollte die Treppenstufen nicht geglänzert haben, die mittlere schon, die untere wieder nicht. Nach einer Weile rechnete mir die alte Dame vom dritten Stock vor, wie hoch mein tatsächlicher Stundenlohn sei. Sie hatte meine Zeit auf die Minute genau gestoppt, wann ich kam, wann ich ging und wie lange ich putzte.
Eine Stelle liebte ich sehr. ich liebte die ganze Familie. Der Mann sah aus wie Richard Gere, mit einem Brillanten im Ohr, schlank und schön, doch seine Frau war unförmig dick. Wenn sie als Lehrerin in die Schule kam, sagten die Schüler: “Der Sumo Ringer kommt.“ erzählte sie lachend. Sie trug einen krausen Lockenkopf zum runden Gesicht, was ihre Erscheinung noch betonte. Ich liebte den kleinen Vierjährigen, ein schönes dunkles Kind, aber auch seine blonde Schwester.
Auch als sie mich nicht mehr benötigten, hatte ich weiter Kontakt und erfuhr das Schicksal der Familie. Der Mann hatte sich in eine Neunzehnjährige verliebt, ihr Designerwäsche für 1.500 Eur gekauft und die Familie verlassen. Seine Frau verstand die Welt nicht mehr: „Die ist doch kaum älter als seine Tochter!“ Es tat mir sehr leid, doch vielleicht war es unvermeidbar gewesen.
Ich putze nicht mehr.
Auch meinen Haushalt putze ich nur, wenn es unbedingt sein muss.
In meinen ausgeführten Stellen war ich fast nur im guten Mittelstand gewesen. Trotz einem guten Einkommen, sicherer Versorgung, waren die Leute zumeist recht unglücklich oder gelangweilt und benutzten unwirksame Strategien, um damit umzugehen, die dann wiederum neue Probleme verursachten. Wenn sie aus ihrem Hochmut auf andere herabschauten, übersahen sie, dass diese sie ebenso wahrnahmen, denn der Reichtum hinter den Kulissen ist kein besonderer Stand, kein Status, den sie inne zu haben glaubten. Das Leben des Scheins ist außerdem oft viel anstrengender, als man es sich vorstellt.
Meine Kolleginnen, die lieben Putzfrauen überall auf Welt, die oft schlecht bezahlt und entwürdigt werden, können ebenso wie ich viele Geschichten erzählen, was in den Häusern hinter der Tür vor sich geht.
Der kapitalistische Hochmut hat eine Schar von Menschen erschaffen, die nun wie gelangweilte Kinder an der Welt des Konsums saugen und, weil sie materiell denken, nur noch das Materielle sehen.
Sie sollten es einmal mit Putzen versuchen!

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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