Tarifabschluss im öffentlichen Dienst
Er bleibt ein fauler Kompromiss

Kundgebung der streikenden Beschäftigten in Nürnberg (besonders des Klinikpersonals) | Foto: www.rf-news.de
  • Kundgebung der streikenden Beschäftigten in Nürnberg (besonders des Klinikpersonals)
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Die Gewerkschaften, der Bund und die kommunalen Arbeitgeberverbände haben nach zähem Ringen zur späten Nachtstunde am 22. April ein Verhandlungsergebnis erzielt, das sich weitgehend an den Empfehlungen der Schlichtungskommission orientiert.

Dieses Verhandlungsergebnis sieht auf den ersten Blick zwar sehr gut aus und zeugt von Zugeständnissen der Arbeitgeberseite. Doch das ganze hat einen "Pferdefuß".

Bereits die Empfehlung der Schlichtungskommission zur Beendigung der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst hat zu kritischen Diskussionen unter Die  Kolleginnen und Kollegen führten bereits über die Empfelungen der Schlichtungskommission kritische Diskussionen geführt. Vor allem die lange Laufzeit, die abgabefreien Einmal- und Sonderzahlungen und die erst 2024 versprochene tabellenwirksame Erhöhung der Löhne stießen auf Ablehnung.

Wie sieht der Inhalt des Tarifabkommens aus:

Für die Beschäftigten soll es am 1. Juni eine Einmalzahlung von 1240 € geben. In den folgenden Monaten sollen sie bis Februar 2024 eine monatliche Sonderzahlung in Höhe von 220 € erhalten, mindestens aber 340 Euro. Diese Einmal- und Sonderzahlungen entsprechen 3000 Euro und sind steuer- und abgabenfrei. Die Einmal- und Sonderzahlungen von 2600 € im Jahr 2023 entsprechen rechnerisch einer Lohnerhöhung von 8,1 Prozent bei einem Müllwerker in Entgeltgruppe EG3/Stufe3.

Jetzt kommt der "Pferdefuß"!

Das ist angesichts einer realen Inflation für eine vierköpfige Arbeiterfamilie von rund 20 Prozent alles andere als ein „Inflationsausgleich“! Außerdem fehlen die abgabenfreien Einmal- und Sonderzahlungen bei der späteren Rentenberechnung und sie fehlen bei den künftigen Lohnerhöhungen. Eine Erhöhung des Tariflohns um einen Sockelbetrag von 200 € und eine zusätzliche 5,5 prozentige Lohnerhöhung ab 1. März 2024 erhöht den tabellenwirksamen Lohn einer Erzieherin (in Entgeltgruppe S8a/Stufe6) um 10,8 %, und bei dem Müllwerker mit obiger Entgeltgruppe um 13,4 Prozent. Das hört sich auf den ersten Blick gut an, aber man muss "hinter die Kulissen" blicken.

Diese tabellenwirksame Lohnerhöhung bezieht sich aber auf den Tariflohn 2022. Damit entfällt eine tabellenwirksame Erhöhung für die Inflation und gestiegene Arbeitsbelastung 2023. Die Inflation soll nach einer Gemeinschaftsprognose führender Wirtschaftsforschungsinstitute 2023 um 6 Prozent steigen. Während die Inflation also jährlich steigt, fehlt den Kolleginnen und Kollegen ein Jahr tabellenwirksame Erhöhung ihrer Entgelte. Deshalb trifft nicht ganz zu, wenn Verdi-Chef Frank Werneke das Verhandlung Ergebnis als „eine nachhaltige Steigerung der Einkommen bezeichnet.
Nach dem Verhandlungsergebnis sollen Studierende, Auszubildende und Praktikanten im Juni 2023 eine einmalige Sonderzahlung von 620 € sowie in der Zeit von Juli 2023 bis einschließlich Februar 24monatlich 110 € netto erhalten die Ausbildungsentgelte sollen ab März 2024 um 150 € erhöht werden.

Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten bis zum 31. Dezember 2024.

Die öffentlichen Arbeitgeber übernahmen den empfohlenen Schlichterspruch. Das ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass der Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände auf einmal ein Herz für ihre Beschäftigten entdeckt hätten. Es ist vor allem das Ergebnis der großen Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, der großen Solidarität in der Bevölkerung und zunehmenden Politisierung der Warnstreiks. Dazu haben die gemeinsamen Streiks mit der Umwelt- und Frauenbewegung, der gemeinsame, an einen Generalstreik erinnernde Streik von ver.di und EVG beigetragen. Vor allem haben die Tarifauseinandersetzungen an Kampfkraft gewonnen verbunden mit einer wachsenden Unzufriedenheit und Ablehnung der Ampel-Regierung und wachsenden Zukunftssorgen angesichts der akuten Gefahr eines Weltkrieges und der begonnenen Umweltkatastrophe.

Bundesinnenminsterin Faeser lobte das Verhandlungsergebnis: "Guter Abschluss in schwierigen Zeiten" (Quelle Radio Bremen vom 23.04.23), Ver.di Chef Frank Werneke erklärte (Quelle www.verdi.de vom 22.4.23): „Mit unserer Entscheidung, diesen Kompromiss einzugehen, sind wir an die Schmerzgrenze gegangen“ und der geforderte Mindestbetrag sei mit den Arbeitgebern nicht machbar gewesen. „Nicht machbar?“ Sicher mit den Vertretern des Bundes und der Kommunen nicht. Aber wie wär‘s mit einer Urabstimmung und Flächenstreik, wie er von vielen Kolleginnen und Kollegen gefordert und bereits vorbereitet ist? Das wäre auch ein wirksames Mittel, um Frank Werneke von seinen „Schmerzen“ zu befreien, oder sollte er etwa „Schmerzen“ angesichts eines drohenden unbefristeten Streiks bekommen haben?

Noch ist dieses Verhandlungsergebnis nicht in trockenen Tüchern. Die Ver.di-Mitglieder müssen dem in einer Mitgliederbefragung bis zum 15. Mai 2023 zustimmen, erst danach wird es rechtswirksam. Ich kann den Beschäftigten im öffentlichen Dienst nur raten, beim Verhandlungsergebnis genau "zwischen den Zeilen" zu lesen. Besonders das Gejammere der Arbeitgeber, sie haben für die Tarifforderungen Zugeständnisse bis an ihre Grenze gemacht, ist nicht glaubwürdig. Wenn in öffentlichen Haushalten in Windeseile ein weiteres "Sondervermögen" für die Rüstung in zweistelliger Milliardenhöhe zur Debatte steht, kann der Staat nicht so "arm" sein!

Die Forderung des BDA (Bund der deutschen Arbeitgeberverbände) nach weiteren Einschränkungen des Streikrechts ist Ausdruck der Defensive, in der sich Regierung und Monopole befinden. Es ist ihre Angst vor einer Höherentwicklung der Kämpfe, der Verbindung der gewerkschaftlichen und ökonomischen Kämpfe mit politischen Kämpfen gegen die Kriegsgefahr und die Umweltkatastrophe.

Autor:

Ulrich Achenbach aus Bochum

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