Literatur-Hotel-Preis 2011: Sophia Jennifer Huber "Vampir"

Sophia Jennifer Huber.
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Sie stand vor dem Spiegel und beäugte ihren etwas fahlen Teint, den der lange Winter mit sich gebracht hatte. Draußen regnete es in Strömen. Mit einem wehleidigen Blick sah sie auf ihre luftigen, aber eleganten Sommerkleider. Nach einiger Zeit tauchte sie mit einem Seufzen in ihren riesigen begehbaren Kleiderschrank und förderte ein elegantes weinrotes Satinkleid hervor. Das war genau das Richtige, einfach perfekt. Die nächste Viertelstunde verbrachte sie vor dem Spiegel und brachte ihr langes blondes Haar in Form und etwas Farbe auf ihren porzellanähnlichen Teint. Wie hatte sie sich das nur wieder eingebrockt? Ein Abend in einem klassischen Konzert mit anschließendem Casinobesuch, mit einem Bekannten, von dem sie schon seit Monaten nichts mehr gehört hatte. Das alles kam nur von ihrer mitleidigen und nachgiebigen Art. An sich war sie ja selber schuld. Als er angerufen hatte und ihr verzweifelt erklärte, dass er dringend eine Begleitung brauche, hatte sie nicht lange überlegt und ihm diesen Freundschaftsdienst erweisen wollen. Nun musste sie dies auch durchziehen. Während sie in ihren Gedanken versunken war, schoss draußen derweil eine weitere eiskalte Windböe durch die Luft, die sich durch ihr halb geöffnetes Fenster drängte und eine Kerze auf dem Tisch löschte.
Um Punkt sieben Uhr klingelte es dann. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel und kletterte auf ihren neu erworbenen 13 cm hohen Schuhen die Treppen herunter zur Haustür. Draußen stand ihr Bekannter Mark, der sich in einen eleganten schwarzen Anzug gehüllt hatte. Sie warf ihren schwarzen Mantel über und musterte zufrieden sein Outfit. Er lächelte nur selbstgefällig und murmelte etwas wie: „Alle werden eine Begleitung haben, aber ich eindeutig die Schönste!“ Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie stieg in sein Auto und brauste mit ihm zu einer schönen aber eher schlichten Konzerthalle. Sie gingen durch eine lange Eingangshalle, bis zu einer Wendeltreppe, die in einem Rondell enden sollte. Als sie die Spitze der Treppe erreichten, konnte Mark schon seine Freunde an der anderen Seite des Rondells sehen. Sie schaute etwas irritiert zu Mark auf, da auf der anderen Seite nur Herren standen, allerdings keine einzige Begleitung. Sie schritt trotzdem gleichmütig neben ihm her und redete sich ein, dass die anderen Frauen mit Sicherheit nur kurz weg waren um sich frisch zu machen oder dergleichen.
Plötzlich hielt Mark sie am Arm zurück. „Ich muss dir etwas sagen..“ brachte er etwas unangenehm berührt hervor. Sie sah ihn fragend an und antwortete: „Was ist denn los?“. Mark schaute etwas verlegen: „Du musst heute Abend meine Freundin spielen, ich durfte nur eine Begleitung mitnehmen, wenn sie meine feste Partnerin ist.“ . Ihr stand der Mund offen. Das konnte doch nicht wahr sein, und das sagte er ihr jetzt, wo alle sie schon gesehen hatten und sie nicht mehr zurück konnte? So hatten sie nicht gewettet. Sie riss sich jedoch zusammen, erhob stolz ihren Kopf und sagte nur knapp: „Okay ich krieg das schon hin.“. Als sie die Männerrunde erreichten, wurde sie bewundernd gemustert, doch als Mark sie vorstellte, kreuzten sich einige irritierte Blicke, da doch bekannt war, dass er erst vor kurzem noch eine andere Freundin hatte. Sie ließ sich nichts anmerken und betrachtete gelangweilt die Männer. Plötzlich blieb ihr Blick an einem hängen.
Er hatte eine besondere Erscheinung. Groß, schlank, Calvin Klein Gürtelschnalle, dunkles wuscheliges Haar und helle blaue Augen. Er hatte eine seltsam düstere Ausstrahlung, und ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er brachte sofort das Bild des typischen Vampires in ihren Sinn und sie musste lächeln. Auch er schien sie bemerkt zu haben. Er musterte sie neugierig. Als sie den Konzertsaal betraten, kam es so aus, dass er den Platz neben ihr einnahm bis plötzlich ein Mann neben ihnen auftauchte und bat: „Könnten sie bitte noch durch rücken?“ Und da rückte er hinfort. Sie konnte ihre Enttäuschung nicht ganz verbergen. Den ganzen Abend trafen sich immer zwischendurch unauffällig ihre Blicke, und ab und zu erschien auch ein kleines Lächeln. Mark hatte ihr erzählt, dass der Vampir eine Freundin habe, was sich allerdings später am Abend als Fehlinformation heraus stellte. Als sie später das Casino betraten, trafen sich hinter Marks Rücken auch immer wieder unauffällig ihre Blicke. Es lag eine Spannung in der Luft, die einzigartig war. Einige Stunden später sagte er, dass er gehen müsse, und verabschiedete sich von allen. Als er zuletzt bei ihr ankam, hielten sich ihre Hände einige Sekunden zu lang und ein kurzes Zögern lag im Raum. Doch er ging. Ohne ein weiteres Wort. Was sollte sie ihm auch sagen? Ihn bitten zu bleiben? Unmöglich, sie schuldete Mark so viel und sie war seine Pseudofreundin für den Abend. Enttäuscht blickte sie ihm nach, als er ging. Wenig später waren auch Mark und sie auf dem Nach- hauseweg. Sie sagte ihm, dass er „dem Vampir“ ihre Handynummer zustecken solle, wenn er ihn wieder sehe, was er auch versprach. Mark versprach auch die Geschichte der angeblichen Beziehung vor ihm zu lüften. Einige Wochen später, als sie schon fast nicht mehr daran geglaubt hatte und nicht mal mehr daran dachte, vibrierte plötzlich ihr Handy. Ihr Vampir hatte sich gemeldet und das war nicht alles. Er wollte sich mit ihr treffen, er sagte, dass er sie schon länger versucht hätte wiederzufinden und beschrieb genau das Gefühl, dass sie auch gehabt hatte an jenem Abend. Ihre Ansicht der Situation war recht ähnlich. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Als er ihr ein Treffen vorschlug, spürte sie nur noch tiefes Glück in sich, doch auch die Zweifel, was in der Zukunft geschehen würde. Würde er ihr gefährlich werden, oder ihr Gutes bringen, oder einfach nur wieder ein nichts sagender Abschnitt in ihrem Leben werden? Sie wusste es nicht.

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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