Regelsätze
Versteckte Kürzungen bei den Ärmsten stoppen!

Nach dem Kabinett hat letzte Woche auch der Bundesrat der vom Bundesarbeitsministerium vorbereiteten Erhöhung der Bedarfssätze bei Hartz IV um ganze 0,76 Prozent zugestimmt. Die beschlossene Verordnung sieht vor, dass der Regelsatz für Erwachsene und Jugendliche zu Beginn des kommenden Jahres um drei Euro im Monat angehoben wird; für Kinder bis 13 Jahren soll es zwei Euro mehr geben.

Aktuell haben wir eine Steigerung der Verbraucherpreise von rund vier Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Besonders kritisch sind die Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und Mieten. Diese fanden bei der Berechnung der Sätze jedoch noch keine Berücksichtigung. Denn laut Gesetz hat sich eine Anpassung der Regelsätze jeweils an der Entwicklung der Preise und der Nettolöhne im Zeitraum von Juli des Vorjahres bis zum Juni diesen Jahres zu orientieren. Vgl. auch den Bericht des Autors vom 26. September hier („Realwertsenkung“). 

Zahlreiche Verbände kritisieren die vorgesehenen Erhöhungen als zu niedrig. Unter anderem der Paritätische Gesamtverband, der Sozialverband VdK, attac, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und die Diakonie verlangten am Freitag von der Bundesregierung, die Hartz-IV-Sätze zum Jahreswechsel stärker anzuheben. »Den Ärmsten in unserer Gesellschaft stehen reale Kaufkraftverluste bevor. Ausgerechnet diejenigen, die am wenigsten haben, drohen weiter abgehängt zu werden«, schreiben die Verbände. Es gelte umgehend zu handeln, um die versteckten Kürzungen zu stoppen.

Ein am Freitag veröffentlichtes Rechtsgutachten im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes stuft die geplante Mini-Anhebung sogar als verfassungswidrig ein. Angesichts der Entwicklung der Lebenshaltungskosten verpflichte das Grundgesetz den Gesetzgeber, die absehbare Kaufkraftminderung für Grundsicherungsempfänger zeitnah abzuwenden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der Pflicht

In dem Rechtsgutachten wird unter anderem auf die zurückliegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, das bereits 2014 feststellte, dass sich die Regelbedarfe an der untersten Grenze dessen bewegen, was verfassungsrechtlich gefordert ist. Seither hat sich an dieser Situation nichts Grundlegendes geändert. Offiziell soll Hartz IV die betroffenen Haushalte vor Armut schützen. Faktisch bedeuten die Leistungssätze aber genau das: nämlich ein Leben in oder am Rande von Armut.

In dem aktuellen Gutachten wird das Fazit gezogen, dass die »niedrige Anpassung der Regelbedarfe« zum Jahreswechsel in Verbindung mit der anziehenden Inflation eine »neue Stufe der Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums« einläute.

Der Verweis auf die noch ausstehende Regierungsbildung könne kein Grund sein, untätig zu bleiben. »Uns ist bewusst, dass es nicht den Gepflogenheiten entspricht, wenn eine amtierende Regierung zwischen Wahlen und Neukonstituierung in dieser Form tätig wird. Doch dürfte der Verfassungsauftrag in diesem Falle schwerer wiegen als die Gepflogenheit«, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands am Freitag.

Autor:

Heiko Holtgrave aus Dortmund-City

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