Europa am Scheidewege

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Sind CETA TTIP Brexit, das Erwachen von nationalen Parteien nur ein Symptom oder erklärbar?

Europa hat sich in den letzten 40 bis 60 Jahren »europäisiert«: Die Politik, die Gesellschaft, das Recht, die Diskurse, die nationale Identität und die Bundesrepublik versuchten sich im europäischen Rahmen anzugleichen, anzunähern, zu harmonisieren. Alles lief auf die Nation, auf Europa hinaus.

Kommen der weiteren Einheit der Europäisierung die Flüchtlinge, die Ungleichheit in der Wirtschaftsmacht, die fehlende Angleichung oder andere Komplexe in die Quere?

Es können mindestens vier Komplexe benannt werden.

1. Globalisierung und ihrer kleine Schwester, der Regionalisierung.
2. Die Verwestlichung
3. Die »Veröstlichung« einzelner Länder, Regionen oder der EU nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Beitritt der mittelosteuropäischen Länder.
4. Eine Nationalisierung oder Renationalisierung

Über allen Gedanken schwebt die Ungleichheit der Gesellschaften.

Zentrale Ungleichheitskonzepte wie Klassen, Schichten, Berufsgruppen, Einkommensverteilungen und Bildung sind innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens entwickelt worden. Die Maßstäbe und Vergleichsgesichtspunkte des Mehr oder Weniger beruhen auf Vorstellungen einer nationalen Sozialstruktur. Ein Schwerpunkt soziologischer Ungleichheitsanalyse beruht auf sozialstatistischen Daten Unterschiede und Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Länder. Länder werden als abgeschlossene Einheiten behandelt und in verschiedenen Dimensionen miteinander verglichen. Dieses nationale Denken wurde in den letzten 50 Jahren nicht grundsätzlich aufgebrochen. Die Einführung des Euro zur Jahrtausendwende brachte einen erleichternden Waren- und Reiseverkehr, kein Aufeinander zugehen der Menschen, keinen notwendigen Austausch der Jugend oder Arbeitnehmer.

Zwar fühlen sich viele Bürger als Europäer, die Identifikation bleibt aber meist ziemlich diffus. Die europäische Ebene ist für sie überwiegend nicht besonders bedeutungsvoll. Das Interesse an der EU ist äußerst gering, außer unter den europäischen Eliten in Politik, Verwaltung und Wissenschaft.

1. Globalisierung und ihre kleine Schwester, Regionalisierung.

Die Konzerne handeln und denken Global. Am besten beschreibt Hans Jürgen Krysmanski in dem Buch „0,1% Das Imperium der Milliardäre“ das Zusammenspiel und die Abhängigkeit die Varianten des Kapitalismus und die Notwendigkeit des steten Wachstums. Diese Milliardäre haben die Nationen überwunden und nutzen das Globale System. Gegen die Macht der Milliardäre regen sich kleine Pflänzchen in den Regionen.

Die Regionalisierung bietet sich aus ökologischen und umweltpolitischen Gründen an. Weitergehend ist die Idee einer Komplementärwährung für Regionen. So gab es einen Ansatz 2012 der Kohle für Oberhausen, begonnen als Theaterprojekt. Bekannt sind der Chiemgauer, der Elbtaler.

Für ganz Frankreich lanciert «Coopek» ist eine digitale Währung und erlaubt auch, Kredite zu gewähren. Rund dreißig lokale Komplementärwährungen sind in Frankreich schon im Gebrauch, andere sind in Vorbereitung. Neuerung: Der Coopek erlaubt den Vereinen und Betrieben Anleihen aufzunehmen, in Coopeks natürlich.

Im krisengeplagten Spanien ist ein neues Phänomen auf dem Vormarsch: Neben dem Euro sind gegenwärtig mindestens 30 soziale Alternativwährungen im Umlauf. Sie tragen Bezeichnungen wie Boniato, Ecosol, Puma oder Mora und es gibt sie in allen Regionen – von Andalusien bis ins Baskenland.

Das «Pfund von Bristol», diese Parallelwährung mit gleichem Wert wie das Englische Pfund tauchte 2012 in Großbritannien auf.

Auch in der Schweiz gibt es eine – anerkannte – Komplementär-Währung. Der WIR (CHW) wurde kurz nach der Wirtschaftskrise 1929 eingeführt. Heute sind rund 60'000 Klein- und Mittelunternehmen dem WIR-System angeschlossen. Die Umsätze mit WIR belaufen sich jährlich auf ca. 1,8 Milliarden Franken.

Komplementär-Währung, Symbol für solidarische Ökonomie, mit sozialen Währungen der Krise trotzen, ist eine Notlösung, ein Rückschritt oder nur eine Trotzreaktion gegen die heutigen sogenannten systemrelvanten Banken, die eigenes Geld, durch Ausgabe von Krediten „drucken“.

2. Die Verwestlichung

Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und die Trennung in Ost und West, begann mit dem Marshal-Plan die Ausrichtung von Westeuropa nach England und Amerika. Im Buch „Das Schachbrett des Teufels“ beschreibt David Talbot welche Mächte Amerika zum Aufstieg verhalten. Westdeutschland war in der Lage die Industrie neu zu ordnen. Stahl und Eisen wurden in Europa in der Montanunion vereinigt. Nicht zu vergessen ist die Einbindung Europas in die NATO mit der Führungsmacht USA.

Es arbeiteten in Westdeutschland die Unternehmen Hand in Hand mit den Gewerkschaften, zum Wohle der Gemeinschaft. Die soziale Marktwirtschaft war ein Zugeständnis. 1968 hat sich die 1945 begonnene Verwestlichung des Landes vollendet. Das Auseinanderdriften zeigte sich mit der Mitbestimmungsklage und dem Auslaufen der Montanmitbestimmung. Mit der deutschen Vereinigung, dem Ende der Blockkonfrontation und dem Globalisierungsschub der 90er Jahre ist die Zeit der alten Bundesrepublik zu Ende gegangen. Ein neuer Erwartungshorizont hat sich geöffnet, während sich der Erfahrungsraum der Bonner Ära schließt. Deutschland hat sich als Wirtschaftsmacht in Europa etabliert. Gleichzeitig ist das vereinte Deutschland eine starke Exportmacht in der Welt und damit auf Handel angewiesen. Die Exportüberschüsse werden größtenteils zum Nachteil der Südeuropäischen Länder erwirtschaftet. Im Jahr 2015 betrug der Wert der Exporte aus Deutschland in Länder der Europäischen Union (EU) ca. 693,9 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum importierte Deutschland aus Ländern der Europäischen Union (EU) Waren im Wert von rund 543,83 Milliarden Euro. Der Wert der Exporte insgesamt überschritt im Jahr 2015 mit rund 1,2 Billionen Euro erneut die Ein-Billionen-Grenze.

3. »Veröstlichung« einzelner Länder, Regionen oder der EU nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Beitritt der mittelosteuropäischen Länder.

Allgemein bekannt wurden die mittelosteuropäischen Staaten durch die ablehnende Haltung Flüchtlinge aufzunehmen. Die Zusammenarbeit wird sogenannt seit dem Treffen der Präsidenten Vaclav Havel (ÈSFR), Lech Wałêsa (Polen) und József Antall (Ungarn) im Februar 1991 auf Schloss Visegrád in der Nähe von Budapest. Visegrad (V) ist die geläufige Bezeichnung für die inzwischen 4 Länder (Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei). Durch regelmäßige Konsultationen auf höchster politischer Ebene sowie auf Arbeitsebene und durch die Abstimmung von Positionen versuchen die V., ihr Gewicht im Rahmen der EU und der NATO zu stärken sowie Initiativen zur regionalen Kooperation in Mittel- und Südosteuropa zu ergreifen. Die Gründung der Zentraleuropäischen Freihandelszone CEFTA geht auf die V. zurück. Die V. haben keinen institutionellen Unterbau. 2000 ist der Internationale Visegrád-Fonds eingerichtet worden, der grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Austausch fördert. Dort stehen jährlich 5 Mio. € zur Verfügung.

4. Eine Nationalisierung oder Renationalisierung
(nicht gemeint ist lediglich ein rückwärtsgewandter Nationalismus).

Fraglos steht die Europäische Union derzeit vor besonderen Herausforderungen: im Inneren durch die Eurokrise, nach außen beispielsweise durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie den nicht enden wollenden Krieg in Syrien und die Ereignisse in Ägypten. Sie führen letztendlich alle zu denselben Fragen: Welches Europa wollen wir, wie viel Europa möchten wir – und was sind wir bereit, dafür zu tun?

Der erwartete Stimmzuwachs bei rechtspopulistischen und europakritischen Parteien bei der Wahl zum Europäischen Parlament hat das Potential, die politische Bühne Europas zu verändern. Die Europäische Union wird es danach weiterhin geben - doch in welche Richtung sie sich entwickeln wird, ist offen. Fünf Standpunkte zur Zukunft Europas.

Mit dem Schritt zurück zum starken Nationalstaat wird in vielen europäischen Ländern geliebäugelt. Dabei dominieren kulturelle und ökonomische Vorurteile und Schwarz-Weiß-Malerei die Debatte, beobachtet Rubina Berardo. Sie plädiert für eine tiefere europäische Integration statt eine nationale Rückbesinnung.

Im Zuge der seit 2008 andauernden Staatsschuldenkrise in der Eurozone wurden immer wieder Stimmen laut, die weniger Europa und mehr Nationalstaat fordern. Diese Stimmen kamen sowohl aus den von der Krise besonders stark betroffenen Staaten wie Griechenland als auch den von der Krise eher noch begünstigten wie Deutschland.

Besseres Europa statt Rückzug auf den Nationalstaat

Probleme und Lösungen, die nicht an den nationalstaatlichen Grenzen halt machen, wie die der notwendigen Finanztransaktionssteuer gegen die weltweit handelnden Finanzjongleure, dem Klimaschutz und der Polizeilichen Zusammenarbeit bei grenzüberschreitender Kriminalität, erfordern ein geeintes Europa, um nur einiges zu nennen. Das Problem ist also nicht zu viel sondern das "Nicht-Europa". In Europa wird das Problem durch die mangelnde Flexibilität der wirtschaftlichen Strukturen erschwert.

Die Debatte über die Form und Struktur der Europäischen Union zum Beispiel als Föderation ist nur sinnvoll, wenn sie inhaltlich geführt wird. Die Struktur der EU ist wichtig für ihren zukünftigen Erfolg.

Diese Struktur kann nur aus einem kollektiven Prozess hervorgehen. Der Schatz der enormen Ideen, sozialen Erfahrungen und Phantasien ist gefragt. Ein erster Denkansatz ist vielleicht zu finden in dem Buch von Ulrike Herrmann „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung.“ Der Untertitel heißt: Die Krise der heutigen Ökonomie oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können.

Für Solidarität als Wesenszug der EU spricht trotz dieser innereuropäischen Unterschiede, dass ärmere Mitgliedstaaten und Regionen von Transferleistungen aus dem EU-Haushalt profitieren. Es wäre viel getan, wenn sich jeder, ob Politiker, Banker, Angestellter oder Arbeitsloser, wenigstens ab und zu einen Schleier der Unwissenheit überwerfen würde. Wie würden wir als EU-Bürger handeln, wenn wir nicht wüssten, ob wir nach dem Lüften des Schleiers Bewohner eines bankrotten Staates, eines EU-Mitglieds mit prekärer Energieversorgung, eines Mitgliedstaates an der EU-Außengrenze oder Asylant wären? Vielleicht doch solidarisch(er)?

Autor:

Siegfried Räbiger aus Oberhausen

Webseite von Siegfried Räbiger
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