Ernst heißt der Wirt

Wer kannte ihn nicht im kleinen Obermoseldorf Nittel und weit darüber hinaus bis Luxemburg, Belgien und Frankreich, den großen Philosophen, der Anfang der sechziger Jahre an der Wand seiner damals neu eröffneten Dorfgaststätte einen Zettel hängen hatte mit der Aufschrift: “Ernst heißt der Wirt”.

Daneben hing ein Zettel mit einem Steinzeitmann, der die Keule schwang und darunter stand geschrieben: “Bitte sofort zahlen - andernfalls rauhe Sitten!“

Der Zettel spottete seinem Inhalt Hohn. Wie oft kam es vor, dass der junge Onkel Ernst seinerzeit vom Trierer und Luxemburger Nachtleben gerufen, zu vorgerückterStunde in die Runde fragte: “Wer kommt noch mit zu den Madammen?”

Es fanden sich immer ein paar Kumpel, die den Onkel auf seinem Weg zu “Charley`s Bar” nach Luxemburg oder zum “Mikado” nach Trier begleiteten, wo ein wirklich niveauvolles Kabarett die Besucher aus dem Kuh- und Weindorf bereits erwartete und stets beste Plätze zur Verfügung hatte.

Den noch verbliebenen Gästen raunte der Onkel dann zu: “Ihr wisst ja, wo die Kasse ist - legt für das, was ihr verzehrt, das Geld einfach dort hinein und sperrt dann ab, wenn ihr geht”.

Der kleine Steinzeitmann mit der Keule war fortan arbeitslos... - und: die Kasse stimmte immer.

Dann hatte der Onkel seine erste “Hühneridee”. Er zauberte seinerzeit in seiner Fritteuse halbe Hähnchen nach einem Geheimrezept von Gewürzen, servierte sie am Tisch mit einer Dose Salz und der Bemerkung: “Prima la Hähnchen, la Salz mit la Grapp”.(Grapp ist Dialekt und bedeutet: Hand)

Zu vorgerückter Stunde liebte er es, sein Akkordeon umzuschnallen und zu spielen. Ja was spielte er denn wohl? Hen hot et “Marina” gespillt, et “la Paloma” und dann nach der “plaisier d`amour”, wenn er müde war, wurde er von der Musikbox abgelöst.

Die Juke-Box war auch so ein Ding. Damals bekam man für 50 Pfennig drei Platten. Ich durfte seinerzeit für den Onkel die Platten in Trier kaufen, in einem winzigen Musikboxen-Bedienerladen in Trier-West. Aber nur unter einer Voraussetzung: neben den Rockröhren - gemeint waren Chubby Checker, The Spotniks, Ted Herold usw., neben diesen twistigen Klamotten, musste ich immer ein drittel Musik für die “Petterscher” kaufen.

Da lagen wir mal eben vor Madagaskar, waren alte Kameraden und letztlich defilierte das Hannichen mit seinem Besen dann noch zum Radetzky-Marsch. Hannichen war ein berühmter Eintänzer, der stets in blauen Schaffklamotten sein Stubbi und sein Schnäpschen (das in Insiderkreisen “Buxenschisser” hieß) trank und bei oben genannter Musik auf die "Tanzfläche" ging. Der Onkel brachte ihm dann den Besen, den das Hannichen benötigte, um mit seiner imaginären Tanzpartnerin gekonnt über das Parkett zu schweben. Der Applaus war ihm jedesmal sicher.

Die Regel „Jedem das Seine“ wurde im musikalischen Bereich „Beim Ernst“ bestens beachtet. Wenn wir, damals junge Teenies, unsere Sinalco dort tranken und einen Riegel Nuts verzehrten, bekamen wir schon mal einen fünfziger geschenkt von den älteren Herren der Gedeckfraktion (Stubbi mit Samtkragen oder Wacholderschnaps) mit der Auflage “Dreck wats de wellst - awer denk och un eppes fir mich”

So lebten wir musikalisch in trauter Eintracht: Die Petterscher lauschten der Marschmusik oder den alten Seebären, wir Teenies “schnebbelten Gorkenzaloot” - so nannte mein Onkel das Bemühen von uns, Twist zu tanzen und der Onkel servierte prima la Hähnchen mit la salz mit la grapp und konnte nicht oft genug seine “Marina” auf dem Akkordeon drücken.

Die “Marina” blieb bestehen - auch als später in den achtziger Jahren der Onkel die Idee mit den Flietchen (mit geheimnisvollen Ingedienzien eingeriebene und frittierte Hühnerflügel) geboren hatte.

Dutzendweise lagen sie auf der silbernen Servierplatte: die kleinen saftigen Flietchen, serviert mit einem Plastiknapf für die Knöchelchen und einem Teller Brot und am liebsten mit einer Flasche trockenem Elbling oder einem Stubbi.

Bei letzterem konnte der Kenner wählen zwischen “Traapenstubbi” oder einem “Kühlschrankstubbi”. Der Traapenstubbi war auf der Treppe gelagert im Gang - so einfach ist das.

Es kamen seinerzeit viele, viele Gäste - von Saarbrücken, über Luxemburg bis Koblenz war das Band der Flietenliebhaber geschlungen. Bunte Lämpchen vor dem Haus kündeten vom bunten Leben in der Gaststätte - im Sommer saßen die Gäste oft noch lange auf der Treppe und die letzten, die sich verabschiedeten, waren die Kätzchen aus der Nachbarschaft, die heute noch manch kleinem Knöchelchen nachtrauern...

Manchmal waren die Gäste aber auch etwas verunsichert bezüglich der Öffnungszeiten der Kneipe. Das war dann der Fall, wenn an der Tür der Gaststätte ein kleiner Zettel hing mit der Aufschrift: „Bin mal eben ins Dorf“. Dann wusste man: es kann etwas länger dauern, bis die Tür wieder geöffnet wird. Manchmal war der Onkel dann einfach nur auf Reisen: Mailand, Paris, Moskau oder mal ein halbes Jahr mit einem kleinen gebrauchten VW-Käfer durch Jugoslawien unterwegs.

Nach seiner Rückkehr brachte er kleine Anekdoten mit und vielleicht ja auch irgendwann mal das Rezept für die Flietchen, die ihn über die Grenzen hinaus berühmt gemacht hatten.

Das Akkordeon war mittlerweile avanciert zur Höllenmaschine - ein riesiges Schifferklavier auf einem fahrbaren Untersatz. Wenn der Onkel diesen Untersatz in die Kneipe hineinfuhr, blieb kein Auge mehr trocken und kein Tranzbein mehr taub. Bis in den frühen Morgen hinein wurde geschmaust, getrunkten, getanzt und gelacht und beim nach Hause gehen hörte man oft die Vögel zwitschern und schämte sich ein wenig, weil die gefiederten Freunde so klar und nüchtern in den Tag zwitscherten. Im Gegensatz zu uns, die wir die ganze nacht gezwitschert hatten.

Vielleicht ist ja heute hin und wieder bei sehr klarem Wetter zwischen all den Harfenklängen am Himmel auch ein kleiner Akkordeonton dazwischen zu hören – und bei genauerem Hinhören erkennt man vielleicht sogar et Marina und erinnert sich an einen wahrhaft gutherzigen Menschen...

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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