Hedwig und die Handy-Maenner

Nach einem langen Aufenthalt in Indien kehrte Hedwig erschöpft nach Deutschland zurück in ihre Heimatstadt Frankfurt. Sie erinnerte sich oft an lebhafte Gespräche auf der Straße, in Tempeln, im Bus, in der Eisenbahn, auf Märkten – es schien fast unmöglich, durch Indien zu reisen ohne Kontaktaufnahme mit Mitreisenden oder Einheimischen.

Ja, es geschah in diesem Land etwas sonderbares: es wurde noch miteinander gesprochen. Das schult die Stimmbänder und das Gehör.

Nun war sie wieder in Frankfurt angelangt und konnte ihren Job wieder aufnehmen in einem Vertrieb für Kaninchenställe. Ein freies unbezahltes Jahr hatte man ihr gewährt, weil sie den Betrieb in den letzten Jahren stark vorangebracht hatte mit ihren innovativen Vorschlägen. Größer und heller waren die bunten Kästen geworden, in denen die armen Kaninchen ihrem Lebensende entgegen harrten.

Nach dem Aufenthalt in Indien, wo man zu Recht daran glaubt, das auch Tiere eine Seele haben, fiel es Hedwig schwer, weiterhin in dieser Branche zu arbeiten. Redlich bemühte sie sich um einen neuen Job im sozialen Bereich.

Viel unterwegs war sie – von Bockenheim bis Schwanheim gab es kaum ein Caféhaus, in dem sie nicht saß, um sich für ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten.

Nervennahrung zu sich nehmen, nochmal die Frisur ordnen und Prospekte studieren von den jeweiligen Einrichtungen, wo sie sich bewarb, war ihr Anliegen vor den wichtigen Vorstellungsgesprächen in den sozialen Einrichtungen der Stadt Frankfurt.

Irgendwann fiel ihr auf, das in all diesen Etablissements ständig Menschen saßen, die nur auf ihr Handy starrten. Egal, wie sie gekleidet war, wie sie frisiert war – niemand schaute sie beim Betreten der Caféhäuser auch nur im entferntesten an. Alle Besucher starrten, jeder alleine für sich an einem Tisch sitzend, nur auf ihr Handy. Dabei war sie durchaus sehenswert mit ihrer aphroditischen Figur und ihrem lockigen Haar, das über einem frechen Gesicht und ihren klugen Augen stets etwas ratlos in alle Richtungen strebte.

Nach mehreren Absagen und dem kalten Klima in Hessen im allgemeinem und dem Smog über der Stadt im besonderen, kehrte so langsam der Frust in ihre Seele ein.

Sie hatte Gesprächsbedarf, wollte sich mitteilen – aber niemand schaute sie auch nur im entferntesten an, wenn sie mal wieder in eines der vollbesetzten Caféhäuser ging, um sich für ein Vorstellungsgespräch im sozialen Bereich vorzubereiten.

Einmal setzte sich ein Mann im mittleren Alter mit einem freundlichen Gesicht zu ihr an den Tisch, weil sonst im Lokal nichts frei war. Glücklich, endlich mit jemand sprechen zu können, schaute sie ihn freundlich an – aber bevor sie die ersten Worte aussprechen konnte, hatte er schon sein I-phone gezückt und streichelte mit dem Zeigefinger zärtlich das Display.

Hedwig bekam fast die Krise und sehnte sich zurück nach Indien, nach dort, wo die Menschen noch sprechen und hören können.

Bei ihrem nächsten Besuch in einem großen Caféhaus an der Zeil bot sich ihr ein Bild von rund dreißig Tischen an denen jeweils ein einziger Mann im schwarzen Anzug saß mit einem Handy, auf das er gedankenverloren und angespannt starrte. Nun drehte sie – man möge ihr verzeihen – irgendwie durch.

Sie atmete tief ein, ließ ein tiefes „Om“ durch ihren Brustkasten gleiten, und schrie dann laut in die Runde: „Hallo, hier bin ich ! Ich bin Hedwig ! Würden Sie bitte alle einmal aufschauen und mich betrachten ! Ich bin lebendig, bin leibhaftig hier und mit mir kann man sprechen...! Bevor Sie noch weiter auf Ihre Maschinen starren, möchte ich Ihnen sagen, ….“

Weiter kam sie jedoch nicht – zwei Geschäftsführer packten sie von hinten und zogen sie ins Büro. Die Polizei wurde alarmiert. Diese alarmierte die Männer mit den Turnschuhen und der Krankenwagen der Psychiatrie brachte Hedwig in der Zwangsjacke in die Klinik der Nordstadt, wo sie glücklicherweise schnell entschwand, weil der diensthabende Arzt sein I-phone nicht schnell genug beiseite legen konnte.

Prolog:
Glücklich lebt sie mittlerweile als Sennerin auf einer Alm in Tirol und freut sich, in ihrer Einsamkeit des Abends auf dem Labtop Grüße in alle Welt zu schicken.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

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