Aufbruch

In einer eiskalten Winternacht

in der wie immer

kein Stern am Himmel stand.

Einer Nacht

in der die Taxen dieselten

und die feinen Regen

hernieder rieselten

und der Mond

nur von Wolken bekleidet

sie lange lange ansah -

da begriff sie plötzlich alles.

In einer Nacht

die ganze Welt,

in einer Nacht

die ganze Zeit.

Sie sah die Karawanen

im fernen Atlas ziehn -

die bierbefleckten Tische

in der Hafenbar von Papeete,

den roten Nachtmond

im indischen Dschungel -

und die Biedermeierröschen

auf der Schlafzimmertapete.

Die nackten Engel

auf dem Bild an der Wand

lagen faulig da und fahl

im bleichen Mondenschein

und würden am nächsten Morgen

so wie an jedem Morgen sein.

Norwegische Lachse

aus dem eiskalten Fjord

angelte Bertha im Bett.

Aus der Biedermeier-Uhr

rannte die Zeit

mit dem Alter wett.

Der nächste Vollmondstrahl

schenkte ihr einen Gruss

aus den Ruinen einer Moschee;

die stand einmal in Bagdad.

Bertha dachte an die Kinderzeit

und an die bunten Märchen

aus tausendundeiner Nacht.

Sie hörte einen feinen Klang

vom nahe gelegenen Fluss -

es war wie Sirenengesang,

dem jeder folgen muss.

Bertha sah sehr lange

in die dunkle Nacht hinein.

Elefanten, Löwen und Giraffen

lagen dösend im Mondenschein.

Und beim dumpfen Klang

einer Urwaldtrommel

war es dann so mittemang

um ihre Fassung geschehn.

Sie schrieb an die Wand

"Bin mal eben Zigaretten holen"

und sie ward in diesem Haus

niemals mehr gesehn.

Autor:

Karin Michaeli aus Düsseldorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

4 folgen diesem Profil

8 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.