Renzel: Flüchtlinge - Herausforderung für die Stadtgesellschaft Aktualisierung, 20.8.: Krisenstab

„Wir haben die Pflicht, die Flüchtlinge unterzubringen“, erläutert Essens Sozialdezernent Peter Renzel beim Unesco-Club in Kettwig.
  • „Wir haben die Pflicht, die Flüchtlinge unterzubringen“, erläutert Essens Sozialdezernent Peter Renzel beim Unesco-Club in Kettwig.
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Kettwig. Die Anzahl der Flüchtlinge in Essen wird weiter steigen. „Die neuen Prognosen werden in der kommenden Woche veröffentlicht.“ Das sagt Essens Sozialdezernent Peter Renzel beim Unesco-Club Kettwig.

„Als wir die Veranstaltung im vergangenen Jahr planten, war die Lage nicht so brisant“, erklärt Heike Lohmann. Über 50 Mitglieder folgten der Einladung der Vorsitzenden des Kettwiger Unesco-Club.
Renzel informiert am Freitagnachmittag ins Evangelische Gemeindezentrum, Hauptstraße 83, über die künftigen Herausforderungen in der Asylpolitik.
„Weltweit sind über 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten irren als Flüchtlinge in ihren eigenen Ländern umher“, so Renzel. Viele Menschen flüchteten zunächst in die Nachbarstaaten. „Nur drei Prozent der Flüchtlinge suchen den Weg nach Europa.“
Doch mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge, steige auch die Anzahl derer, die nach Deutschland wollen.

Die Flüchtlingsprognose für 2015 sei im Verlauf des Jahres immer weiter nach oben verändert worden. Inzwischen liegt sie bei 450.000 Schutzsuchenden „Diese Zahl haben wir bereits erreicht. Die Bundesregierung wird sie aktualisieren - in der kommenden Woche“, kündigt der Dezernent an.
Das bedeute auch für Essen steigende Zahlen. „Und wir haben die Pflicht, die Menschen unterzubringen. Weil unsere normalen Kapazitäten erreicht sind, werden Flüchtlingsdörfer kommen.“ Doch bereits die Beschaffung der mobilen Bauten bereite zunehmend Schwierigkeiten: „Die Kapazitäten der Hersteller sind ausgereizt“, erzählt Renzel. „Wir nehmen jeden Standort und suchen zudem günstigen Wohnraum. Vor allem für die, deren Asylantrag erfolgreich sein wird.“ Die bisherigen Erfahrungen mit den „neuen Bewohnern“ sei positiv. Nur in einem Fall gab es mit Flüchtlingen ein Problem.

„Eines darf man nicht vergessen: Zum Beispiel die syrischen und irakischen Flüchtlinge sind oftmals gut ausgebildet und haben in Deutschland eine Bleibeperspektive. Deren Potential müssen wir für unsere Gesellschaft heben, z.B. als zukünftige Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt.“
Beschäftigung sei aber auch in den Übergangs- und Gemeinschaftswohnheimen nötig. „Es gibt nichts Schlimmeres, als den danzen Tag herumzusitzen. Deswegen bieten wir denen, die für die Gemeinschaft etwas tun wollen, Arbeit an. Allerdings erwarten wir von den Flüchtlingen, dass sie unsere Hausordnung befolgen und unsere Standards, wie z.B. Hygiene in der Küche auch erlernen.“
Harsche Kritik übt Renzel an der Kostenverteilung. „Wir als Kommunen sind am Ende der fiskalpolitischen Nahrungskette. Dafür tragen wir aber rund 80 Prozent der Kosten. Das kann so nicht weitergehen“, meint der Dezernent. Die jährlichen Kosten beziffert er auf 23 Mio Euro in 2014 und geschätzt 46 Mio nach den derzeitigen Zahlen für das laufende Jahr.

Kinder und Jugendliche

Und ein weiteres Problem trete auf: „Unter den Flüchtlingen sind viele Kinder und Jugendliche. Oftmals auch Alleinreisende. Wir versuchen gerade, Kinder und Jugendliche über alle Schulformen zu integrieren.“ Aber auch hier fehle es zunehmend an Kapazitäten. Inzwischen versuche die Verwaltung, Spielgruppen für Kita-Kinder aufzubauen.
„Da werden wir auf Kirchen und andere Träger zukommen“, kündigt Renzel an. „Wir sind froh über jede neue Gruppe, die Flüchtlingskindern hilft.“

Sichere Herkunftsstaaten

Die Anträge von Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten (Westbalkan: Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo) müssten schnell und rechtssicher abgearbeitet werden. Nach der Ablehnung müsse auch die Ausreise oder auch Rückführung durch das Land NRW mit der Unterstützung der Ausländerbehörden erfolgen können. „Hier müssen wir in NRW viel schneller werden“, stellt Renzel klar. Der Rat der Stadt hat beschlossen, dass die, deren Asylantrag keine Aussicht auf Erfolg habe, ausschließlich in in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden und nicht in Wohnungen vermittelt werden sollen, da sie keine Chance auf ein Bleiberecht haben. „Und eines darf man nicht vergessen. Die Menschen werden in ihren Ländern für den Aufbau und die Zukunft ihrer Länder dringend gebraucht“, sagt Renzel.
Aber auch abgelehnte Bewerber hätten die Möglichkeit, gegen einen abgelehnten Antrag zu klagen. Das bedeute einen Zeitaufschub um rund vier bis fünf Monate.
Und selbst bei einer vollziehbaren Abschiebung, bestünde immer noch die Möglichkeit, diese abzuwenden. Abwesenheit, Flucht oder Krankheit stünden einer Heimreise oft im Weg. Eine schnelle Bearbeitung der Flüchtlingsfälle scheitere derzeit zudem am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
„Weder dort noch bei Gerichten steht ausreichend Personal zur Verfügung. Das verlängert die Aufenthaltsdauer in den Übergangsheimen. Aber das verhindert auch eine schnelle Integration in die Stadtgesellschaft“, kritisiert Renzel.

Auf der Flucht:

Weltweit sind rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Länder, aus denen derzeit die meisten Menschen fliehen sind: Syrien (3 Mio), Afghanistan (2,7 Mio), Somalia (1,1 Mio), Sudan (670.000), Südsudan (509.000), Demokratische Republik Kongo (493.000) , Myanmar (480.000) und Irak (426.000).

Aufnahmeländer:

Die Mehrheit der Flüchtlinge flieht zunächst in die Nachbarstaaten. Rund 1,8 Millionen (Mio) Menschen sind in die autonome Region Kurdistan (Nord-irak) geflüchtet. Pakistan beherbergt 1,6 Mio afghanische Flüchtlinge. Im Libanon (Gesambevölkerung zirka 5,8 Mio) sind 1,1 Mio Menschen untergebracht. Es folgen: Iran (982.000), Türkei (824.000) Jordanien (737.000), Äthiopien (588.000), Kenia (537.000) und Tschad (455.000). Deutschland: 450.000 (z.Z.) in 2015.

Was können wir in Essen tun, was fehlt?:

Die Caritas-Flüchtlingshilfe Essen e.V. hat eine Möbel- und Hausratbörse im ehemaligen Pfarrzentrum St. Barbara der Elisenstraße aufgebaut. Neben Möbeln wird jedwede Art von gutem Hausrat- von Bettwäsche, Handtücher über Geschirr und kleinen Haushaltsgeräten benötigt, sagt der Sozialdezernent. Kontakt: Rudi Löffelsend Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, Niederstraße 12-16. Tel.: 0049-201-3200314, Mobil: 0049-171-8357187
E-Mail: rudi.loeffelsend@fluechtlingshilfe.com

Aber auch Wohnungen für Flüchtlinge werden gesucht. Weitere Informationen zu generellen Anfragen zum ehrenamtlichen Engagement, Sachspenden oder die Kontaktdaten der zuständigen Einrichtungsbetreuer/-innen erteilt Anja Wieland vom Amt für Soziales und Wohnen. Sie ist unter Tel: 0201-8850334, E-Mail: Anja.
Wieland@sozialamt.essen.de erreichbar.

Aktualisierung:

Die Stadt teilt mit, dass Ralf Jäger, Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), die neue Flüchtlingsprognose veröffentlicht hat. Laut dieser werden in NRW rund 150.000 Flüchtlinge erwartet. In Deutschland werden nach neuesten Schätzungen insgesamt 706.000 Personen Asyl beantragen.

Für Essen würde das heißen, dass trotz der drei geplanten Flüchtlingsdörfer mit einer Gesamtbelegungszahl von circa 1.050 Flüchtlingen, weiterhin etwa 1.400 Plätze fehlen. Zur Vermeidung von Massenobdachlosigkeit haben Oberbürgermeister Reinhard Paß und Ordnungsdezernent Christian Kromberg sich dazu entschlossen, weitere Flüchtlingsdörfer zu planen.

Nach erster Prüfung kommen als Standorte folgende ehemaligen Sportflächen infrage:

Bamlerstraße,
Pläßweidenweg.

Über diese Standorte oder weitere Alternativen wird im Arbeitsstab zur Unterbringung von Flüchtlingen in den nächsten Tagen entschieden.

Oberbürgermeister beruft Krisenstab

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat die neue Prognose der Flüchtlingszahlen bekannt gegeben. Danach kommen in diesem Jahr voraussichtlich 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland. Nach dem Königsteiner Schlüssel werden der Stadt Essen nach eigenen Angaben daher voraussichtlich rund 5.100 Menschen zugewiesen.

Trotz des bereits geplanten Baus der drei Flüchtlingsdörfer im Nordviertel, in Holsterhausen und in Heidhausen fehlen der Stadt Essen danach für das Jahr 2015 noch rund 1.600 Plätze, um Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu vermeiden.

Dazu teilt der OB mit:

"Der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland hat auch massive Auswirkungen auf die Stadt Essen. Wir müssen nun innerhalb sehr kurzer Zeit sehr vielen Menschen eine Unterkunft bieten. Ansonsten droht Obdachlosigkeit. Wir brauchen nun schnelle Entscheidungen und eine kurzfristige Umsetzung dieser Entscheidungen. Diese Aufgabe übernimmt in meinem Auftrag und mit meiner vollen Unterstützung der Krisenstab.

Wir können nicht beeinflussen, wie viele Flüchtlinge zu uns kommen und haben als Kommune die gesetzliche Aufgabe und Verpflichtung, die Menschen hier unterzubringen. Jeder, der sich die Bilder aus dem Nahen Osten, aus Syrien oder Afrika angesehen hat, müsste nachvollziehen können, warum die Menschen sich auf die Flucht begeben.

Wie ich die Essenerinnen und Essener kenne, werden wir sie nicht nur unterbringen, sondern als Stadtgesellschaft würdig und gastfreundlich empfangen. Ich rufe alle Essenerinnen und Essener auf, den ihnen möglichen Beitrag dazu zu leisten. Allen bereits in vielen Initiativen aktiven Helferinnen und Helfern danke ich bereits jetzt für ihr Engagement. Wir werden viele Bürgerinnen und Bürger, wie Sie, brauchen, um diese Herausforderung als Stadtgesellschaft gemeinsam zu bewältigen.

Ich sage aber auch ganz deutlich: Wer den Flüchtlingen, die bei uns Schutz suchen, fremdenfeindlich oder gar gewaltsam gegenübertritt, hat in unserer Stadtgesellschaft keinen Platz. Essen ist weltoffen, gastfreundlich, respektvoll, solidarisch, gewaltfrei, international und liebenswert.

Meine Botschaft ist aber auch: Diejenigen Asylsuchenden, die keine Chance auf Asyl haben, müssen so schnell wie möglich Klarheit haben und in ihre Heimatländer zurückkehren. Für den begrenzten Zeitraum den sie in unserer Stadt wohnen, heißen wir sie jedoch bei uns willkommen und werden uns nach Kräften und Möglichkeiten um sie kümmern."

Den Krisenstab leitet Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Vertreten wird er durch Sozialdezernent Peter Renzel.

Autor:

Dirk-R. Heuer aus Hilden

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