Advent in Afghanistan

Konzentriert blickte er durch dieses neue Fernglas. Nicht schlecht, schon sah er die Kamel-Karawane vor sich hin trotten. Doch was sich den Trampeltieren aus entgegengesetzter Richtung näherte, gefiel ihm gar nicht. Ein Lkw mit Plane, dahinter ein Kleinbus und irgendwie fuhren die betont langsam, als wollten sie unbedingt im Wadi auf die Karawane treffen.
Karawane. Ja da sah er sie ganz deutlich. Ihre blonde Mähne lugte unter dem turbanähnlichen Tuch hervor, ihr Blick war so entschlossen wie immer. Dahinter ihre Tochter, was für eine Ähnlichkeit!
Doch jetzt musste er sich von diesen Gedanken an frühere Krisenherde, gemeinsame Zeiten auf dem „Vulkan“ losreißen, denn dieser Lkw beunruhigte ihn. So sollte das Wiedersehen bitte nicht ausgehen. Bloß kein Überfall auf europäische Zivilisten.
Per Satelliten-Telefon hatte er schnell die drei Apaches in der Leitung. „Ja, Jungs, es sieht nach so einer Moped-Bande aus, leider.“ Er griff nach dem Gewehr, stellte vorsorglich auf „Feuerstoß“ und sah in die besorgten Augen von Ahmin. Was für ein Empfang!
Am Wadi ging dann alles ganz schnell: Ahmin rief dem Karawanenführer ein paar kurze Befehle zu, der ließ die Tiere halten und die Reiter absteigen. Dann wurde der kleine Mann von der ersten Kugel getroffen, Streifschuss.
Sie sah ihn an und ihre Tochter hatte den gleichen Blick, während er ihnen „Deckung!“ zurief und die drei kauernden Kamele aus kurzer Entfernung erschoss. Insgesamt vier Moped-Krieger waren von der Ladefläche gesprungen und rasten wild um sich schießend aufs Wadi zu. Ahmin nahm einen ins Visier, doch die Einschläge schwerer MP-Geschosse, jetzt aus dem Kleinbus, zwangen sie in den Sand.
In diesem Moment hörte er den unvergleichlichen Klang der Apaches. Es war ein kurzes Sirren wie von Riesen-Libellen und dann waren die drei Kampfhubschrauber da. Schwerer Geschützlärm brandete auf, dann standen der Bus und der Lkw in Flammen und auch von den zweirädrigen Angreifern war nichts mehr zu sehen – die Apaches verschwanden bereits wieder am Horizont.
Er stand auf. Der humpelnde Karawanenführer beschimpfte ihn wegen der toten Kamele, ihre Tochter schrie ihn sogar an. Doch Ahmin nahm das junge Mädchen am Handgelenk, zerrte es vor die Tiere und zeigte auf die durchsiebten Leiber. „Sie wären ohnehin im Kugelhagel gestorben, so haben sie uns wenigstens noch Deckung gegeben. Und außerdem: Heute Abend haben wir was zum Grillen!“ Die Kleine übergab sich.
Jetzt ging er auf sie zu, sie zitterte noch am ganzen Körper und er erinnerte sich an viele Situationen unter Feuer, die sie beide erlebt, überlebt hatten. „Willkommen in Afghanistan“, sagte er. „Schönen ersten Advent!“

Autor:

Detlef Leweux aus Essen-Steele

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