Musik und Mühsal - St. Petersburger Philharmoniker mit Yuri Temirkanov & Julia Fischer in der Philharmonie Essen

Große Namen versprechen zuweilen große Gewinne. In der Musik stehen sie für ein Gewinn in der ästhetischen Bereicherung, dem sinnlichen Vergnügen des Hörgenusses. Gelegentlich gewinnt man jedoch nur an Erfahrung, dass große Namen ihr Versprechen nicht halten. So kürzlich an der Philharmonie in Essen.

Am 8. Mai 2012 standen im Alfried Krupp Saal große Komponisten auf dem Programm: Rossini, Mendelssohn Bartholdy und DvoYák. Geladen waren die bereits etablierte, wenngleich mit 28 Jahren noch junge Geigensolistin Julia Fischer aus München und das St. Petersburg Philharmonic Orchestra mit dem legendären Dirigenten Yuri Temirkanov. Man erwartete ein Feuerwerk und erlebte ein Lagerfeuer. Nieveauvoll aber ernüchternd.

Der 73 jährige Maestro entschied offensichtlich die Ouvertüre zu “Il barbiere di Siviglia” in einem langsamen Tempo zu eröffnen, was zu überraschenden Irritationen sachkundiger Zuhörer führte. Doch wie zahlreiche Stimmen in der Pause beteuerten, wurde damit die sommerliche Stimmung und milde Wetterlage am Abend absolut passend getroffen.

FMBs-Konzert e-Moll für Violine und Orchester, op. 64 wurde souverän und sicher vorgetragen. Fischers Darbietung am Vortag in Köln war nach Ansicht eines Fans jedoch wesentlich besser. Sehr gelungen war der zur Zugabe geschenkte 1. Satz aus der 2. Sonate „Obsession“ von Eugène Ysaÿe. (http://www.youtube.com/watch?v=R6wTk6rBIXk&feature=related)

Nach der Pause stand Antonín DvoYáks Sinfonie Nr. 9 e-Moll, op. 95 „Aus der Neuen Welt“ auf dem Programm. Über dem Stück lag während der ganzen Zeit ein Schleier, so als ob der Kalte Krieg nunmehr mit musikalischen Mitteln fortgeführt werden müsste. Der Klang des renommierten Corpus von der Newa war saturiert und dumpf. Erst zu Beginn des 4. Satzes entstand der Eindruck einer kurzen Wachphase. Der schrille Verzupfer eines jungen Geigers aus der letzten Reihe der 1. Violinen beim vorletzten Takt des 3. Satzes dokumentierte den bedauernswerten und optimierungsbedürftigen Zustand des optisch völlig überalterten Orchesters.

Routiniert wurden die Zugaben mit Salut d'Armour von Edward Elgar (http://www.youtube.com/watch?v=C0sEEr6H218) und dem Vivo aus der Pulcinella Suite von Igor Strawinski (http://vimeo.com/4750667) absolviert. Ein Vergnügen der wohl nur mit einem Schülerticket von 9 Euro wirklich genossen werden konnte.
Amüsant und etwas entlarvend zugleich war der irrtümlich missverstandene Aufbruchsversuch einiger Herrschaften aus dem Parkett nach dem Elgar-Stück: es gab standing ovations.

UPDATE: Bei der gestrigen Aufführung in der Berliner Philharmonie entstand bei einem kurzfristig engagierten Gewährsmann ein völlig anderer Eindruck als oben beschrieben. Zwar gab es auch den obligatorischen Verzupfer, doch die Reinheit und voluminöse Größe der Petersburger überzeuge ohne jeden Zweifel.
Das nach dem Konzert geführte Interview mit einem redseligen Mitglied des Ensembles brachte die Wahrheit ans Licht: der Essener Saal war für den wuchtigen Klang der Russen eher suboptimal. Der Dirigent versuchte in der einstündigen Probe vor dem Konzert das rechte Maß am gedämpften piano zu finden, konnte sich aber auf die unzureichende Umgebung nicht gut genug anpassen.

Autor:

Alexej Tschernjak aus Essen-Ruhr

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