Vor 75 Jahren in Hagen: Kaum zu bewältigende Probleme nach dem Kriegsende
1945 mangelte es an allem

In unendlich vielen provisorischen Behausungen mussten die Menschen in Hagen versuchen, irgendwie zu überleben. Unser Foto zeigt Baracken am Loxbaum.
 [spreizung]#?[/spreizung]Foto: Sammlung Hagener Heimatbund
  • In unendlich vielen provisorischen Behausungen mussten die Menschen in Hagen versuchen, irgendwie zu überleben. Unser Foto zeigt Baracken am Loxbaum.
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Vor 75 Jahren in Hagen: Kaum zu bewältigende Probleme nach dem Kriegsende Vor 75 Jahren, Anfang Mai 1945, war der von den Nazis mit einem Kriegsverbrechen begonnene Krieg endlich zu Ende – mit zahllosen Opfern, traumatischen Erlebnissen und mit einer sich über mehrere Jahre hinziehenden Notzeit. Im stark zerstörten Hagen mussten die Überlebenden versuchen, irgendwie den Alltag zu organisieren.

Von Michael Eckhoff

Anfangs die Amerikaner, dann vor allem aber die Briten als Besatzungsmacht mussten unmittelbar nach Kriegsende unendlich viele Probleme in den Griff bekommen. Mehr, als sie tatsächlich bewältigen konnten. Da gab es in den Städten an der Ruhr nicht nur die Hungersnot oder das fehlende Dach über den Köpfen von Tausenden, sondern auch die Pflicht, die bisherigen deutschen Soldaten unter Kontrolle zu halten, die unendlich vielen ausländischen Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangenen in ihre Heimatländer zurückzubringen und gleichzeitig so etwas wie einen Alltag in den besetzten Orten zu organisieren.
Auch die Wahrung der öffentlichen Sicherheit war zunächst ein riesiges Problem. Der Herdecker Historiker Gerhard E. Sollbach schreibt im Buch „Hagen – Kriegsjahre und Nachkriegszeit“ (erschienen in zweiter Auflage 1995 im Lesezeichen-Verlag): „Infolge des politischen Zusammenbruchs und vor allem auch der Entwaffnung der Polizei und der Ablieferung sämtlicher Schußwaffen brach die öffentliche Sicherheit und Ordnung zusammen. Die zahlreichen ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen (…), die in Schulen, Baracken und Fabrikräumen untergebracht und jetzt frei geworden waren, verließen ihre Unterkünfte und durchstreiften tagelang plündernd das gesamte Stadtgebiet, wobei sie auch vor Gewalttaten, Mißhandlungen, Vergewaltigungen bis hin zum Mord nicht zurückschreckten. Hierbei nahmen sie auch Rache für die Unterdrückung, Erniedrigungen und Mißhandlungen, die sie jahrelang durch Deutsche hatten erdulden müssen.“ Dabei muss immer wieder betont werden, dass auch Deutsche geplündert und andere Straftaten begangen haben. Zwischen dem 1. Mai und dem 31. Dezember 1945 stellte die Stadt Hagen jedenfalls offiziell 46 Morde, 208 Straßenraube, 14 Vergewaltigungen und 51 Körperverletzungen fest. Die Dunkelziffer ist kaum zu schätzen.

Deutsche mussten Kriegsfolgen tragen

Millionen Deutsche waren Hitler und den Nazis gefolgt und hatten 1933 sein Versprechen, neue deutsche Siedlungsgebiete im Osten schaffen zu wollen, bejubelt. Nun mussten nicht nur die „Jubler“ die Folgen tragen, sondern auch die vielen anderen Deutschen, die Hitler 1933 nicht gewählt hatten.
In der annähernd zu hundert Prozent zerstörten Hagener Innenstadt konnte man im Mai 1945 und in den Folgemonaten kaum leben. Tausende Frauen, Kinder, alte Menschen und die zu diesem Zeitpunkt eher wenigen arbeitsfähigen Männer waren gezwungen, in diversen Provisorien zu hausen – in Fabrikräumen, Kellern, zwischen Trümmerschutt oder mitunter auch, lediglich notdürftig geschützt, halb im Freien.
Es mangelte an allem – an Medikamenten, ärztlicher Versorgung, Möbeln und Haushaltsgegenständen (wie Betten, Herde oder Töpfe) ebenso wie beispielsweise an Wäsche, Brennmaterialien und Reinigungsmitteln. Sollbach: „Wer einen alten Stahlhelm besaß oder ergattern konnte, funktionierte ihn zum Kochtopf um.“ Zudem war es wochen-, ja teils sogar monatelang schier unmöglich, überhaupt die allernotwendigsten Dinge in Städte wie Hagen zu befördern. Schließlich waren viele Transportwege (Straßen, Eisenbahnen) zerstört. Außerdem fehlten Arbeitskräfte, nutzbare Transportmittel und Rohstoffe. Die Nazis hatten sich in den letzten Kriegsmonaten vornehmlich darauf konzentriert, neue Waffen zu produzieren. Den Kriegsfolgen im Hinblick auf die Menschen galt hingegen ihr Desinteresse.

Aufgaben schier unlösbar

Um den Heiz- und Brennstoffmangel wenigstens ein Stück weit bewältigen zu können, wurden Bäume gefällt, Treppenhausgeländer verbrannt oder auch eigentlich unrentable Kohleschächte wieder geöffnet. Im September 1945 erhielt die Stadt Hagen rund 4.000 Tonnen Kohle für den kommenden Winter, das machte gerademal drei Prozent dessen aus, was sie noch im Jahr zuvor verbraucht hatte. Mit dieser geringen Kohlemenge hätte man keine Chance gehabt, auch nur ansatzweise durch die kalte Zeit zu gelangen. Das führte zum Beispiel dazu, dass allein 100 Waldarbeiter im Oktober 1945 damit beauftragt waren, Holz aus den städtischen Forsten zu beschaffen. Ähnliche Aktionen gab es in den vielen Privatwäldern der Umgebung.
In den Folgemonaten wurden die Versorgungsprobleme im Ruhrgebiet nicht geringer. Im Gegenteil, sie verschärften sich teilweise noch. Das hatte zum einen mit den vielen Kriegsheimkehrern zu tun, zum anderen aber auch mit den Flüchtlingen aus dem Osten. Diese Migration von Millionen von Menschen innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne stellte die Behörden vor eine weitere fast unlösbare Aufgabe. Als die Zuwanderer in den Städten im Westen ankamen – man schätzt, es waren schließlich etwa 14 Millionen Menschen –, schlug ihnen oft blanker Hass entgegen.
Der Zweite Weltkrieg mit einer Dauer von etwa 68 langen Monaten in Europa war mit seinen Millionen Opfern der mit Abstand blutigste Konflikt der Menschheitsgeschichte. Seine Folgen prägen den Kontinent und vor allem uns Deutsche bis heute. In unendlich vielen provisorischen Behausungen mussten die Menschen in Hagen versuchen, irgendwie zu überleben. Unser Foto zeigt Baracken am Loxbaum.
Foto: Sammlung Hagener Heimatbund

Autor:

Lokalkompass Hagen aus Hagen

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