Vor dem Ertrinkungstod bewahrt
Der Mai wird bald kommen, die Käfer fliegen aus

Ein "Müller"? Noch ist er nass, aber er sieht doch recht hell aus. | Foto: von mir
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  • Ein "Müller"? Noch ist er nass, aber er sieht doch recht hell aus.
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Stelle keine volle Gießkanne unter einen Baum - jedenfalls nicht um diese Jahreszeit. Das ist die Lehre, die ich aus einem Ereignis gestern in unserem Garten gezogen habe. Denn so eine Gießkanne kann zur tödlichen Falle werden.
Es war ein glücklicher Zufall, dass ich nach meinem täglichen Rundgang durch unser Gärtchen eine halbe Stunde später noch einmal zum Fliederbusch am oberen Ende zurückkehrte. Denn darunter wuchs ein Kraut, das ich mir noch einmal etwas genauer anschauen wollte. Dabei fiel mein Blick auf die Gießkanne, die ich dort vor ein paar Tagen abgestellt hatte, um die Sämlinge im Wildblumenbeet bei Bedarf schnell mit Wasser versorgen zu können. Das hatte sich zwar durch den vielen Regen erübrigt, doch nun sah ich, wie sich auf der Wasseroberfläche in der vollen Kanne etwas Großes, Rundliches bewegte. Es war ein Maikäfer, der dort mit letzten Kräften, aber ohne Aussicht auf Erfolg versuchte, ein rettendes Ufer zu erreichen.

Meine Maikäferbeobachtung von 2022 - tatsächlich am 23.4., noch eine Woche früher als in diesem Jahr. | Foto: von mir
  • Meine Maikäferbeobachtung von 2022 - tatsächlich am 23.4., noch eine Woche früher als in diesem Jahr.
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Vor zwei Jahren hatte ich beim Jäten im Wildblumenbeet einmal beobachet, wie ein Maikäfer an die Erdoberfläche gekrabbelt kam und, nachdem er sich kurz geputzt hatte, abhob, um zielsicher zu diesem Fliederbusch zu fliegen. Dort hatte ich ihn dann in Ruhe fotografieren können. So ähnlich musste es heute wohl bei diesem Tier gewesen sein, nur dass vielleicht die Landung im Flieder missglückt und er stattdessen ausgerechnet in die Öffnung der Gießkanne geplumpst war. Reines Glück, dass ich ihn dort entdeckte, bevor es zu spät war, denn sonst wären die sechs bis acht Wochen Lebenserwartung, die der Käfer nach seiner dreijährigen Entwicklung "unter Tage" eigentlich noch hatte, auf eine einzige Nacht zusammengeschrumpft.

Erschöpft, aber erstmal in Sicherheit: Der gerettete Maikäfer am Birkenzweig | Foto: von mir
  • Erschöpft, aber erstmal in Sicherheit: Der gerettete Maikäfer am Birkenzweig
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Mangels einer Eiche oder Buche, der bevorzugten Nahrungspflanze von Maikäfern, setzte ich den ermatteten Käfer nun an eine junge Birke, die noch in der Sonne stand, damit er erst einmal trocknen konnte. Dort blieb er still sitzen, sodass ich nach dem Schnappschuss auf meinem Finger noch ein paar weitere Fotos von ihm machen konnte. Offenbar war seine Abenteuerlust für heute ausgereizt, denn später am Abend fand ich ihn noch immer dort. Er war nur von dem kurzen Zweig zum Stämmchen gekrabbelt.

Erinnerung an Kindheitstage

Apropos Krabbeln: Für mich war es einen Moment lang wie ein Flashback, als ich den nassen Käfer aus dem Wasser geholt hatte und dann versuchte, ihn an den Birkenzweig zu setzen. Denn er schien sich auf meinem Finger sicherer zu fühlen als an dem Bäumchen, also kroch er um meinen Finger herum, und dieses Gefühl der kräftig krabbelnden Käferbeine erinnerte mich unwillkürlich an meine Kindertage, wo wir noch Maikäfer gesammelt und "bestimmt" hatten - als Müller oder Schornsteinfeger.
Wenn alles gut geht, wird der dem Ertrinkungstod entkommene Maikäfer den nächsten sonnigen Tag nutzen, um eine schöne Eiche oder Buche anzufliegen und dort auf Nahrungs- und Partnersuche zu gehen. Was übrigens bei Maikäfern recht eng zusammenhängt, denn die Männchen finden die Weibchen am besten, wenn sie gerade fressen. Klingt lustig, ist aber richtig! Die angefressenen Blätter sondern nämlich flüchtige Alkohole ab, und diese Aerosole dienen den Männchen als Orientierungshilfe.

Ein Himmelblauer Blattkäfer an seiner Nahrungspflanze, einer Minze | Foto: von mir
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Nach dieser unerwarteten Begegnung stellte ich erstmal die Gießkanne an einen sichereren Ort und sah mir doch noch das Kraut an, dessentwegen ich ursprünglich in den Garten zurückgekehrt war (es war dann "nur" ein besonders kräftiges Exemplar des Rainkohls - siehe letztes Foto). Aber ein Käfer kommt selten allein: In unserem Kräuterbeet bemerkte ich auf einer Minze einen weiteren Käfer, viel kleiner, aber leuchtend blau glänzend, der mich gleich an die Erlen-Blattkäfer an der Zeche Zollverein erinnerte. Mit Hilfe der iNaturalist-App konnte ich schnell herausfinden, dass ich hier nun den Himmelblauen Blattkäfer vor mir hatte, dessen Nahrungspflanzen verschiedene Minzarten sind. Auch dieses Tierchen war recht kooperativ und ließ sich einmal fotografieren, bevor es sich einen weniger einsehbaren Platz an der Pflanze suchte.
Die Geschichte mit den Erlen-Blattkäfern hat Bernd übrigens schon am Sonntag erzählt:

Natur auf Zollverein unter die Lupe genommen
Autor:

Torsten Richter-Arnoldi aus Hattingen

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