Meine Windel ist voll!

Fast wie eine Großfamilie (von links): Büsra, Robin, Chantal, Cindy, Merve-Betül und Julia kümmern sich liebevoll um ihren „Nachwuchs“, der im Moment ganz friedlich zu sein scheint. WB-Fotos: Detlef Erler
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  • Fast wie eine Großfamilie (von links): Büsra, Robin, Chantal, Cindy, Merve-Betül und Julia kümmern sich liebevoll um ihren „Nachwuchs“, der im Moment ganz friedlich zu sein scheint. WB-Fotos: Detlef Erler
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„Uääähhh!“ Baby meldet sich zu Wort. Es ist drei Uhr nachts. Der Winzling hat Hunger, möchte aufstoßen, im Arm gewiegt werden oder die Windeln gewechselt bekommen. Mama Chantal räkelt sich schläfrig im Bett, steht auf und holt das Fläschchen.
Baby erkennt seine Mutter nicht an der Stimme, sondern an dem Chip, den sie am Arm trägt und nicht abnehmen kann. Nach einiger Zeit gibt der satte Säugling einen glucksigen Glückslaut von sich. Chantal fühlt sich auch glücklich. Sie darf weiter schlafen.
Verantwortlich für die nächtliche Ruhestörung ist Birgit Albrecht, Chantals Biologielehrerin an der Realschule Strünkede. Sie ist die Herrin über das Lesegerät, mit dem sie Babys Verhalten steuert. Mein Gott, denken Sie vielleicht entsetzt, bringen die sechzehnjährigen Zehntklässler jetzt schon Chip-gesteuerte Computer zur Welt? Keineswegs. Sie nehmen am „Babybedenkzeit-Projekt“ teil, einem Eltern-Praktikum. 13 Mädchen und zwei Jungs lernen nicht nur, wie man Säuglinge richtig und liebevoll behandelt, sondern auch, wie sich das Kind im Mutterleib und im ersten Lebensjahr entwickelt und nicht zuletzt, was es kostet – vom Strampler über den Schneeanzug bis zu Brei, Buggy und Tagesmutter. Alle Belastungen, die ein Kind verursacht, sollen ihnen glasklar vor Augen erscheinen. Denn mit „Ach, wie süß“ ist es in Sachen Nachwuchs nicht getan.
Zum „Bausatz“ gehören neben der Puppe zwei Windeln und ein Trinkfläschchen. Baby ist voll gestopft mit Elektronik, sieht aber so täuschend echt aus, dass „die Omas im Zug es unbedingt halten wollten“, verrät Julia lachend. Die echten Großmütter kauften sogar Babysachen. Weil Baby nicht allein gelassen werden darf, nahm Chantal („ich hatte mich so richtig aufgebrezelt“) es mit zur Fete. Prompt fing der Säugling dort an zu brüllen. Kein Problem, Papa war schließlich auch da. Chantals Freund Robin nimmt an dem Projekt teil.
Cindy hat ihren kleinen Liebling tagsüber drei bis vier Mal und nachts zwei Mal gefüttert. Er wiegt jetzt 2940 Gramm. Lehrerin und Lesegerät wissen, wenn Baby womöglich nichts bekommt oder 40 Minuten schreit, weil die Mamas sein Aufstoßen (Bäuerchen) nicht hinbekommen, das Kind grob behandeln oder das empfindliche Köpfchen nicht richtig halten. Es kann auch sein, dass das Kind einfach nur nörgelig ist. Aber das dauert „nie länger als drei Minuten“ (so steht es auf der informativen „Babykarte“). Es schreit übrigens auch, wenn es zu lange auf dem Bauch liegt.
Möchte Birgit Albrecht, dass eine Schülerin nachts mal durchschlafen kann, ändert sie das „Pflege-Level“, und der Säugling hält den Mund. Heftige Gefühle sind bei dem Projekt erwünscht. „Als Baby das erste Mal nachts schrie, hätte ich es an die Wand klatschen können.“ Wir verschweigen natürlich, welche Schülerin das gesagt hat. Sie hätte vielleicht die Tipps befolgen sollen, die zeitweilige Überforderung erträglich machen: „Nimm einige tiefe Atemzüge und komme zur Ruhe“. Oder: „Bitte jemanden, Dir zu helfen.“
Die Säuglinge bekommen das richtige Leben hautnah mit. Eine Schülerin nahm ihr Kind auf Zeit mit zur DSDS-Party im Oberhausener CentrO, die in einer Massenpanik endete. Sie wurde als „Rabenmutter“ beschimpft. Büsra kanzelten Passanten schlicht als „asozial“ ab, als sie Baby im Kinderwagen durch die City schob. „’Unglaublich, 16 Jahre und schon ein Kind’, haben die gesagt.“
Die jungen Mütter und Väter ziehen aus dem Test sehr unterschiedliche Konsequenzen. „Ich finde Babys immer noch süß“, betont Büsra. Cindy kontert: „Ich wollte schon immer keine Kinder.“ Julia hat ihre Meinung hingegen grundsätzlich geändert: „Vor dem Versuch hätte ich eher ja gesagt auf die Frage, ob ich mir Kinder wünsche. Jetzt sage ich eher nein.“
Zwei sind sich offenbar nicht ganz sicher: Chantal und Robin wollen es nach den Osterferien noch einmal wagen. „Ihr könnt gerne Zwillinge bekommen“, zeigt sich Birgit Albrecht großzügig. Robin grinst und verspricht: „Wenn die nachts Theater veranstalten, dann sag’ ich einfach: ‚Schatz, bleib liegen, ich mach’ das schon!’“ Womit wir schon beim Thema „Lebensplanung“ wären. Aber das kommt auch erst nach den Ferien.

Autor:

Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig

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