"Lizenz zum Zerstören"

Am Samstag, 17. Juli, 16 Uhr, hatte für den Turm der alten Feuerwache in Hemer das letzte Stündlein geschlagen. Pünktlich betätigte Sprengmeister Wilhelm Witzgall den Zündmechanismus und innerhalb von wenigen Sekunden war vom einstigen Schlauchturm nicht mehr über als ein Haufen Schutt. Für die zahlreichen Schaulustigen ein besonderes Ereignis. Für Wilhelm Witzgall allerdings reine Routine.
Seit 30 Jahren ist Wilhelm Witzgall selbstständiger Sprengmeister. Wenn ein Schornstein, ein Turm oder ein anderes Gebäude aus dem Weg muss, wird der Iserlohner gerufen. Aber auch Steinbrüche profitieren vom Know-How Witzgalls. „Schließlich bin ich einer von wenigen, die gleich neun verschiedene Scheine in diesem Bereich gemacht haben“, so der Sprengmeister.
Denn lustig drauf lossprengen darf niemand. Dem gelernten Schreiner Witzgall half der Zufall. „Der Beruf des Schreiners war nichts für mich. Ich habe dann im Letmather Steinbruch angefangen. Erst als Bagger- und LKW-Fahrer.“ Dann fragte man Wilhelm Witzgall, ob er nicht den Sprengschein machen wolle.
Witzgall sagte ja. Es folgte der Grundlehrgang an der Ingenieurschule. Doch das war dem ehrgeizigen Iserlohner noch nicht genug. Es folgten acht weitere Lehrgänge. Unter anderem besitzt Witzgall den Groß-Bohrloch-Schein, der dazu berechtigt, Löcher tiefer als 11,99 Meter zu bohren.
Das Denken in großen Dimensionen hat sich bezahlt gemacht. Nicht ohne Grund ist der 74-Jährige in seinem Beruf noch so aktiv. „Ich kann schlecht nein sagen“, schmunzelt Witzgall. „Die Anfrage ist einfach zu groß. Auch Kollegen fragen mich immer wieder um Rat.“ Mit Wiederholungslehrgängen hält sich der Iserlohner auf seinem Gebiet fit - „das ist Vorschrift.“
Das höchste Bauwerk, dass Wilhelm Witzgall bisher gesprengt hat, war ein 120 Meter hoher Schornstein. „Das war 1984 in Hünxe. Ich war der vierte Sprengmeister in Deutschland, der überhaupt einen Turm dieser Höhe zu Fall gebracht hat“, erzählt Witzgall nicht ohne etwas Stolz. Die 120 Meter knackte der Iserlohner dann nochmals in Duisburg.
Doch manchmal mischt sich auch etwas Wehmut mit in die Arbeit. „Gerade bei Zechensprengungen ist der Job nicht ganz ohne Emotionen. Ich fühlte mich dieser Kultur schon immer ein wenig verbunden“, so Witzgall. „Vor allem, wenn die ehemaligen Mitarbeiter der Zeche mit Tränen in den Augen der Sprengung beiwohnen.“
Beim alten Schlauchturm in Hemer ging es weniger wehmütig zu. Für den erfahrenen Sprengmeister eigentlich eine einfache Angelegenheit. „Das Kribbeln ist aber immer vor jeder Sprengung da. Und das ist auch gut so, damit man nicht unvorsichtig wird.“
Den Freitag vor der Sprengung hat Witzgall dazu genutzt, die Punkte zu markieren, an denen die Sprengladungen eingebracht werden sollen - alles streng nach statischen Gesichtspunkten. Die Löcher für die Sprengladungen wurden am Samstagmorgen gebohrt, dann der Turm mit einem Splitterschutz abgehängt.
Der explosive Stoff, insgesamt ein Kilo, wurde erst kurz vor der Sprengung eingebracht. „Alles andere wäre fahrlässig und natürlich auch verboten“, so der Sprengmeister. Fallschlitze am Turm sorgten dafür, dass der Turm kontrolliert in die richtige Richtung fällt. Also alles ohne Risiko? „Das beruht natürlich hauptsächlich auf Wissen und Können - aber auch ein bißchen Glück ist dabei“, weiß Witzgall. „In meiner Karriere bin ich von größeren Pannen verschont geblieben. Ich weiß aber von Kollegen, dass auch unvorhersehbare Komplikationen auftreten können.“ In diesem Fall handelt es sich jedoch um Sachschäden. Wohnhäuser im Gefahrengebiet werden rechtzeitig evakuiert, die Straßen weiträumig abgesperrt - so auch in Hemer. Der Sicherheitsbereich wurde in Kooperation von Bezirksregierung, Polizei, Feuerwehr und Wilhelm Witzgall abgestimmt. Eine sichere Sache - außer für den Schlauchturm. Foto: Braun

Autor:

Melanie Giese aus Recklinghausen

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