Verbotene Liebe – Wenn die Sucht das Herz betäubt

Kaum eine Droge wird so bagatellisiert wie Alkohol.

Anna K. öffnet mir die Tür. Ich sehe in ein vitales Gesicht, wenn auch von starken Falten gekennzeichnet. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war“, sagt sie, während sie mich hinein winkt. Im Hintergrund Kindergeplapper, Hörspielkassetten und das quietschige Geräusch einer Badewannen-Tuba. Die hatte ich auch, denke ich und fühle mich direkt ein wenig wohler.

Das Haus ist aufgeräumt, beinahe klinisch sauber. Sie setzt sich und atmet tief, die Überwindung ist ihr anzumerken. Anna K. war Alkoholikerin und hat den Weg zurück ins Leben geschafft. „Ich wollte nie werden wie meine Eltern, alles besser machen. Es klingt so profan. All die Zeit habe ich mich so geschämt, hab mich als Versagerin gefühlt, hab mit niemandem darüber gesprochen.“
Die 38-Jährige schaut mich mit einem durchdringenden Blick an. „Kennen Sie jemanden, der trinkt?“ Ich schüttele den Kopf. „Das glaub ich nicht. Sie wissen es nur nicht.“ Später bei meinen Recherchen muss ich feststellen, die Quote ist hoch. 1,3 Millionen Deutsche trinken, 74.000 Menschen sterben jährlich an den direkten und indirekten Folgen.

Anna erzählt mir von ihrer „Karriere“. „Am Anfang hab ich nur kompensiert. Wenn ich Stress hatte, wenn ich mich ausgelaugt gefühlt habe, wenn ich was zu feiern hatte, wenn ich traurig war. Am Ende war es ein komischer Blick auf dem Wochenmarkt, der mich veranlasste, dass alles mit Alkohol runterzuschlucken.“ „Was trinkt man denn so für Sachen, wenn man trinkt“, frage ich ganz naiv. Anna lacht, im ersten Moment, habe ich das Gefühl, sie lacht mich aus. „In Gesellschaft merkt es kein Mensch, im Gegenteil, Alkoholiker sind eher defensiv in der Öffentlichkeit. Das liegt daran, dass sie sich vorher schon um ihren Pegel gekümmert haben.“ Annas Stirn liegt in Falten, sie wirkt nachdenklich. Ich möchte wissen, wann es angefangen hat. Sie erzählt mir, dass sie bis zu Ihrem 20. Geburtstag keinen Tropfen Alkohol getrunken habe. Ihre Mutter habe getrunken, war irgendwann abgestürzt und von der Familie ab dem Zeitpunkt totgeschwiegen worden. „Total bekloppt, ich hab das alles selbst erlebt, und dann ich.“ Sie schüttelt den Kopf, Tränen laufen ihre Wangen hinunter, sie blickt zu ihrer Tochter und mit einem Male scheint sie wie verändert.

Was aus ihrer Mutter geworden ist, weiß sie nicht. Ihre Therapeuten haben ihr abgeraten, sich in der kritischen Phase (Mediziner Sprechen von einer Rezidivrate von 51 Prozent in den ersten vier Jahren) damit zu befassen. Die Konfrontation mit noch immer nicht aufgearbeiteten Traumata sei zu gefährlich für Anna, dass sie rückfällig werden könne. „Wie ist es für Sie, wenn Sie andere Menschen trinken sehen? Weihnachtsmärkte, Restaurants, Familienfeste, der Pfarre mit dem Messweine?“ Sie grinst mich an, die Reihe der Möglichkeiten ließe sich ellenlang fortführen. „Mein Weg ist etwas ganz besonderes. Ich glaube, nur die Wenigsten können tatsächlich nachvollziehen, was mir widerfahren ist.“
Anna wusste, dass sie es niemals alleine schaffen würde, also begab sie sich in eine Therapie - heimlich. „Freunden erzählte ich, dass ich eine Auszeit brauchte. Was ich dort erlebte war einerseits grausam und gleichzeitig so erbauend, dass ich noch heute zitter, wenn ich mich erinnere. Immer wieder habe ich gedacht, ‘Wahnsinn, was die für mich tun‘, und dann der Kampf mit mir selbst. Irgendwann hab ich meine Sachen gepackt, dachte, ich wäre stabil, wollte zurück in mein Leben, dann der Absturz. Die Begegnung mit meinem Ex-Freund, ich hab so viel getrunken, wie nie zuvor.“

„Wer hat Ihnen dann geholfen?“ „Niemand. Das Schicksal selbst hat mir geholfen.“ Anna K. war das fast Unmögliche widerfahren. Dieser verbrauchte, kaputte, fast, wie sie selbst sagt „totgesoffene Körper“ trug neues Leben in sich. „Es war undenkbar, unglaublich und wunderschön“, erzählt sie mir. „Von da an habe ich nie wieder nur einen Schluck Alkohol getrunken. Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Es klingt total bescheuert, aber wenn ich unruhig werde, wenn ich gestresst bin, fang ich an zu putzen. Für mich ist das therapeutisch, danach geht es mir besser.“
Ich bin beeindruckt von so viel Ehrlichkeit, so viel Mut und Courage. Das Klischee, dass Alkoholismus die sozial schwacheren Schichten dominiert, ist einfältig. Der Akademiker unterscheidet sich da in nichts von dem einfachen Arbeiter. Alkoholismus ist der schwache Versuch, sein Herz und seinen Schmerz zu sedieren, anstatt die Probleme aufzuarbeiten. Der Anfang ist so auffällig harmlos, das Ende grausam brutal. Und das ist der Grund, warum Anna sich mit ihrer Geschichte gemeldet hat. „Ich hab Ihren Aufruf in der Zeitung gelesen, seine ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Ich möchte ein Stück weit Mut machen, denn egal in welche Situation man gerät, es gibt immer einen Weg zurück.“ Wir blicken beide zu ihrer kleinen Tochter, die noch immer mit ihrem Spiel beschäftigt ist und laut vor sich hin plappert.

Und dann sagt Anna den Satz, den ich so schnell nicht vergessen werde: „Mit jedem Lächeln, das sie mir schenkt, sagt sie ‘ich liebe Dich‘, mit jedem Lächeln sagt sie ‘danke‘ und mit jedem Lächeln sagt sie ‘Mama, ich bin stolz auf dich‘“.

Autor:

Regina Katharina Schmitz aus Dinslaken

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