Auswirkungen der Corona-Maßnahmen
Verletzte Kinderseelen

Anne-Christine Kloep (li) und Melanie Karlisch vom LC Märkisches Sauerland beim Vortrag in der Aula des WBG in Menden. | Foto: Karolin Rath-Afting
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Es wird Frühling. Die Corona-Regeln sind gelockert und die Masken fallen wie die Blätter im Herbst. „Freiheit“ genießen ist angesagt, Freizeitangebote wie Sportveranstaltungen finden wieder rasanten Zulauf. Unter anderem finden auch wieder Schwimmkurse statt. Die Schwimmtrainerin Anne-Christine Kloep von der Schwimmschule „Gut Nass“ in Menden ist zugleich auch Psychologische Psychotherapeutin. In einem Vortrag in der Aula der Walburgisschule in Menden, organisiert vom Ladie´s Circle Märkisches Sauerland, hat sie Interessierte über die psychischen Auswirkungen und Maßnahmen der Corona-Pandemie auf Kinder- und Jugendliche informiert. Ein Grund, um mal detaillierter nachzufragen wie es in vielen Kinderseelen derzeit aussieht. 

Es galt in vielen Familien Homeoffice – ein Fluch oder Segen?

„Die Familie ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren zur Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit“ so Anne Kloep. Doch die Infektionsschutzmaßnahmen wie Quarantäne und Kontaktbeschränkungen hätten schlagartig das Leben von 13 Millionen Kindern und Jugendlichen verändert. Schulen und Kitas waren geschlossen, Spielplätze gesperrt, zahlreiche Freizeitmöglichkeiten und soziale Kontakte seien von jetzt auf gleich weggefallen. Diese Veränderungen hätten nicht nur einen gravierenden Einfluss auf Kinder und Jugendliche, sondern auch auf ihre Eltern gehabt. Hervorgerufen durch die Doppelbelastungen wie Home-Schooling und Arbeit gab es Eltern/Kind oder auch Paar-/Ehekonflikte. „Kinder waren auch teilweise einem erhöhten Risiko häuslicher Gewalt ausgesetzt. Viele Eltern sind an ihre Grenzen der Belastbarkeit gestoßen“, so Kloep weiter, „und etwa 2/3 der Eltern gaben an, sich Unterstützung im Umgang mit ihrem Kind zu wünschen. Und wenn sich Eltern psychisch für nicht gesund betrachten kann dies, sowie die beschriebenen abrupten Veränderungen bei Kinder und Jugendliche, auch zu psychischen Problemen führen.

Sind die Sorgen der Eltern auch die der Kinder?

Durch die Änderung der täglichen Routinen und der Verarbeitung der Informationen zur Pan-demiebekämpfung (u.a. Maskenpflicht, Hygienemaßnahmen, Kontaktbeschränkungen oder sogar -verbote zu engen Familienmitgliedern wie Großeltern oder dem besten Freund oder der besten Freundin) wurde den Kindern der Weg zur Bildung, zur sozialen Kompetenz sowie auch zur Verselbständigung und Selbstpositionierung erschwert. Diese veränderte Lebenssituation sei auch mit der Grund für den Anstieg psychischer Probleme, Depressionen und Ängste.

Welche Altersgruppe ist besonders betroffen?

Anne Kloep ist sich sicher: „Die größte Zunahme von psychischen Problemen in der Altersgruppe zwischen 11-19 Jahren sind Sorgen und (Zukunfts-)Ängste sowie Nervosität. Die drei größten Herausforderungen oder Probleme während der Corona-Pandemie werden von Kindern und Jugendlichen wie folgt benannt: Keine Hobbies/keine Feiern, Homeschooling/Schule und keine sozialen Kontakte mehr.“

Haben soziale Kontakte für die Kinder/Jugendlichen an Wert gewonnen?

Als wichtige Ressource für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden sieht Anne Kloep die sozialen Kontakte - und viele Kinder und Jugendlichen hätten diese stark vermisst. Handys und Online-Chats konnten das nicht kompensieren. Sie rät den Kindern- und Jugendlichen in der kommenden Frühjahrs- und Sommersaison die persönlichen Chats wieder verstärkt zu nutzen. Weiter habe die Pandemie durch die Beschränkungen auch eine Zunahme von Cannabis, Alkohol- oder Medienkonsum unter älteren Jugendlichen hervorgerufen bei dem Versuch, Konflikte oder beengte Lebensräume auszublenden und sich in spannendere, aufregendere Welten zu flüchten.

Gibt es auch körperliche Auswirkungen?

Zu Beginn der Pandemie waren sogar Spielplätze gesperrt. Daneben seien sogar so alltägliche Bewegungen, wie der Weg zur Schule, die Pausen auf dem Schulhof oder auch der nachmittägliche Besuch bei den Nachbarskindern weggefallen, so die Psychologin weiter. Eine sogenannte COPSY-Studie habe über drei Erhebungszeiträume, beginnend von Mai 2020 bis Oktober 2021, Belastungserleben gemessen. Und dieses Erleben zeige sich insbesondere durch psychosomatische Stresssymptome wie Gereiztheit, Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit. Aber auch Kopf- und Bauchschmerzen hätten zugenommen. „Das Gesundheitsverhalten hat sich durch Homeschooling und weniger Sport und Bewegung verschlechtert. Die Ernährung war ungesunder und Süßigkeiten sind häufiger verzehrt worden. Und das merken wir als Schwimmschule Gut Nass auch teilweise noch heute.“

Wer ist durch die Pandemie stark betroffen?

Besonders betroffen seien Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten und wenig gebildeten Familien, sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund, so Kloep. „Aber auch Kinder und Jugendliche von Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen oder die, die auf beengtem Raum leben (<20qm2 Wohnfläche/Person)“. Dabei müsse man aber auch anmerken, dass der Großteil der Kinder und Jugendlichen die Auswirkungen der Pandemie glücklicherweise erstaunlich gut wegstecke und die Belastungen gut manage.

Wie kann man mit dieser Entwicklung umgehen?

Anne Kloep ist sich sicher, dass es flächendeckende, zielgruppenspezifische und niederschwellige Angebote der Prävention und Gesundheitsförderung bedarf. Vor allen Dingen sei eine gezieltere Schulung von Lehrern und Erziehern förderlich damit sie eine Art Frühwarnsystem bilden können. Zudem müssten Länderübergreifende Konzepte zu Homeschooling und schneller funktionierende Beratungsmöglichkeiten geschaffen werden. Wichtig sei zudem eine transparente und zuverlässige Kommunikation „zu unseren Kindern und Jugendlichen, um das, was sie beschäftigt und belastet, frühzeitig wahrzunehmen und Unterstützungsangebote zur langfristigen Förderung psychischer Gesundheit anbieten zu können.“

Den Tod erleben - Was belastet bis heute?

Die Psychologin ist sich sicher, dass bei den Kindern- und Jugendlichen auch die Angst um ihre Angehörigen eine große Rolle spielt. „Viele haben direkte Angehörige oder Freunde verloren. Ein adäquater Trauerprozess war oft nicht möglich. Eine Begleitung von Sterbenden oder eine Verabschiedung im Krankenhaus ist oft nicht aufgrund der strengen Schutzmaßnahmen für jeden möglich gewesen, Beerdigungen fanden in maximal kleinen Konstellationen statt. Und dieser nicht adäquate Trauerprozess belastet viele bis heute.“

Mein Kind braucht Hilfe – wo erhalte ich die?

„Der Kinder- oder Hausarzt ist immer ein guter Ansprechpartner und weiß hier um Rat“ ist sich Kloep sicher. „Passende Maßnahmen oder Unterstützungssysteme wie Kinder- und Jugendtherapeuten werden dann empfohlen. Es eignen sich aber auch Beratungsstellen oder beispielweise Schulsozialarbeiter an Schulen. Psychotherapeuten können selbstverständlich auch direkt kontaktiert werden, hier stehen dann sogenannte Psychologische Sprechstunden zur Verfügung, in denen dann überprüft werden kann, ob eine psychische Erkrankung vorliegt. Es wird eine orientierende Diagnostik durchgeführt und daraus das weitere Vorgehen und eventuell eine Therapie abgeleitet. Das Problem hier liegt mit Sicherheit in der langen Wartezeit (ca. zwischen 3-9 Monaten), bis ein Therapieplatz tatsächlich verfügbar und zugänglich ist.“ Bei gesetzlich versicherten Personen kann die Krankenkasse die Kosten übernehmen. Im Rahmen der Pandemie-Situation waren auch verstärkt Online-Sitzungen möglich gewesen, allerdings seien die Regelungen hier mit Ende der pandemischen Lage (ab dem 01.04.2022) sehr strikt geregelt: Maximal 30% einer Psychotherapie dürfe nur noch Online stattfinden.

Viel Arbeit also, die auf Eltern, Lehrer und Psychologen da zukommt. Aber jetzt heißt es erst einmal den Frühling und den Sommer genießen und vielleicht, vielleicht ist man dann für die nächste Wintersaison und generell für die Zukunft besser vorbereitet.

Autor:

Karolin Rath-Afting aus Menden (Sauerland)

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