Das Wochenende in der Mendener Innenstadt vor dem Lockdown light
Verzweiflung. Wut. Verständnis. Hoffnung...

Dieses Bild entstand im März während des ersten Lockdown: In den nächsten vier Wochen sind die Stühle in der Außengastronomie und auch in den Restaurants erneut verwaist. | Foto: K. Rath-Afting
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Ein Samstag Vormittag in der Mendener Innenstadt.Die Eisdielenbesitzer und Gastronomiebetriebe stellen ihre Stühle nach draußen. Frühlingstemperaturen sind angekündigt, noch ist der Himmel allerdings grau und verhangen. Ein Musikant spielt auf. Die ersten Besucher suchen sich einen Platz und bestellen sich einen Cappucino oder ein Frühstück. Eigentlich ein Samstag Vormittag wie immer. Fast.

Wäre da nicht Corona. Und gäbe es nicht diese hohen Inzidenzzahlen. Und wäre es nicht das letzte Wochenende vor dem sogenannten Lockdown light, der am Montag, 2. November, beginnt. Bernd Kapler und Andreas Wessels haben noch etwas Leerlauf. Beide sorgen im Team um Jozeh Ramazani immer auch für Nachschub auf den Tellern und in den Gläsern der Gäste. "Heute Abend sind wir noch einmal voll ausgebucht", sagt Inhaber Ramazani. Wobei sich "voll ausgebucht" auf die derzeit zulässige Gästeanzahl bezieht, welche speisen möchten. Seine drei Betriebe "Salsa", im "Woanders", im "Diebels Keller" und auch in der "Hölle" sind seit dem ersten Lockdown gar nicht wieder aufgemacht worden. "Es war gut, dass wir zumindest hier im Salsa so etwas wie einen Normalbetrieb nach dem Frühjahr laufen lassen konnten," so der Chef. Das jetzt alle Gastronomiebetriebe ab Montag schließen müssen, sieht er, wie seine Angestellten, mit gemischten Gefühlen. Die Meinung, dass etwas passieren musste, ist in Anbetracht der steigenden Zahlen, unbestritten. "Aber," so Ramazani weiter, "auch die Gäste verstehen nicht ganz den Sinn. Einerseits dürfen Frisöre öffnen, Nageldesigner hingegen nicht. Wir haben alle Regeln umgesetzt und extra für die kältere Jahreszeit eingekauft. Wir haben Heizstrahler besorgt, Plexiglasabtrennungen - alles damit der Betrieb zumindest an der freien Luft aufrecht erhalten werden kann. Wir desinfizieren, fragen Namen und Telefonnummern ab. Und trotzdem müssen gerade wir schließen." Viele Stammgäste hätten ihm auch schon gesagt, in vier Wochen seien sie wieder da. Aber ob er dann wieder öffnet? Jozeh Ramazani blickt eher skeptisch in die Zukunft. In der ersten Woche renoviert er vielleicht noch weitere Räumlichkeiten. Dann überlegt er, einen Abholservice für Gerichte einzurichten. Aber ob sich das lohnt, da sei er noch unsicher. Falls er sich dazu entschließen sollte, wird es auf seiner Homepage oder auch auf Facebook bekannt gegeben, so der Wirt. Seine Mitarbeiter teilen sein bedrückendes Gefühl. "Auch wenn wir hier wie eine große Familie agieren und uns auch so fühlen", so Andreas Wessels, "lernt man doch die Zeit sehr schätzen, wo einem das Geld ganz normal zur Verfügung steht" spricht er zudem einen Punkt an, der viele Menschen um ihren Schlaf bringt. Die Angst um ihren Job, um Lebenshaltungskosten die nicht beglichen werden können, um Schulden, die gemacht werden müssen, weil die Einnahmen wegfallen oder weniger werden. Zumindest Wessels ist positiv überrascht, dass der Antrag auf Kurzarbeitergeld so zügig bearbeitet worden sei. Was macht man in der nun arbeitsfreien Zeit? Der Eine besucht, wenn es die Regeln zulassen, vielleicht die Familie in der Schweiz. Der andere weitet seine Spaziergänge mit dem Hund aus. Und schaut sich vielleicht nach einer neuen Wohnung um, seine alte wird ihm zu teuer.

"Stadt wird unattraktiver"

Mittlerweile ist die Sonne da. Winfried van Ackeren nutzt die Gelegenheit noch einmal mit seiner Frau, um sich in der Sonne ein Bierchen zu trinken. "Die Stadt wird unattraktiver, keine Frage", so ihr Fazit. "Aber der exponentielle Anstieg muss durchbrochen werden. Es ist zwar schade. Aber irgendwo muss man ja anfangen. Wir kommen auf jeden Fall wieder, wenn wieder geöffnet ist". Bei der Bäckerei Kamps sitzt ein Pärchen bei einem Cappucino am Tisch. Herr Skowron ist selber in der Pflegebranche tätig. Er zeigt für die nun in Kraft tretenden Maßnahmen vollstes Verständnis. "Das Virus kennt keine Grenzen", sagt er. "Also müssen die Regelungen überall umgesetzt werden. Alle müssen an einem Strang ziehen." Eigentlich seien diese Maßnahmen noch nicht intensiv genug, so seine Meinung. Auch das Paar vor der Eisdiele sieht die Notwendigkeit der Maßnahmen. "Aber wir kommen auch in die Stadt wenn wir keinen Kaffee trinken oder kein Restaurant besuchen können!" Schließlich hätten ja noch die Geschäfte in der Stadt geöffnet und auch dort könne man gut den Abstand wahren.

"Wie ein Schlag vor den Kopf"

Als die Sonne untergeht, öffnet sich "bei Roller" die Tür und der Heizstrahler wird vor das Zelt im Biergarten gestellt. Auch im Zelt unter den Bäumen am Turm sind einige Heizstrahler montiert. "Die habe ich jetzt nicht extra wegen Corona angeschafft", so Frank Roelvinck. Aber auch er sieht die aktuelle Lage als sehr bedrückend an. "Wir haben alle Regeln eingehalten. Und die Schließung ist jetzt wie ein Schlag vor den Kopf" meint der Inhaber. "Die jungen Leute machen jetzt zu Hause Party. Ich rechne nicht mit einer Öffnung im Dezember", blickt Roelvinck pessimistisch in die Zukunft. Eine Passantin geht am Zelt vorbei, sieht das die Lampions angehen, und meint: "Schade eigentlich dass Sie zumachen müssen". Ja - und dann wird weiter vorbereitet. Es ist Samstag Abend und heute wird der Biergarten noch einmal belebt sein. Mit Heizstrahlern, Maske und Abstand.

Autor:

Karolin Rath-Afting aus Menden (Sauerland)

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