Bücherkompass: DAS SCIENCE FICTION JAHR 2012

Bevor ich mit der eigentlichen Rezension anfange, ein paar Worte zur Einleitung:

1. Ich BIN SF-Fan! Das erste Buch, das ich bewußt gelesen(mit 7) habe, war Raumkapitän Nelson aus der Perry Rhodan - Reihe. Sowas prägt und so bin ich praktisch mit den Großen des goldenen und silbernen Zeitalters der SF, wie Heinlein( bevor die Frage kommt: Ja, ich mag die Lyrik von Rudyard Kipling), van Vogt, Clarke, Asimov; Silverberg, um nur einige zu nennen, aufgewachsen. Jahrzentelang hab ich alles gesammelt, was der Markt hergab. Ein bisserl Ahnung vom Genre hab ich also schon.
2. Ich hab mich nicht nur nicht darum gerissen, diese Rezension zu schreiben, ich wurde dazu GEZWUNGEN (OK, Jungs, ich hab alle eure Forderungen erfüllt, ihr könnt sie jetzt wieder freilassen).
3. SF war für mich immer DIE Literaturgattung, in der alle anderen Genres ihren Platz fanden und finden. Von der klassischen Space Opera über Westernmotive, von Krimis über Thriller zu nacktem Horror, von der Komödie bis zu Reisen ins innerste Selbst und nicht zu vergessen leisen, sanften, melancholischen Werken oder deutlichen Warnungen vor uns selbst.
Ob Gesellschaftskritisch, reaktionär oder experimentell, sobald die Handlung sich in die Zukunft verlagerte oder irgendwelche technischen Gimmicks zum Tragen kamen, Schwupps, wars SF. Dabei ist die SF immer als Randliteratur gesehen worden, als typisch für Nerds(auch wenn die früher anders hießen) oder pubertierende Jugendliche. Auch wenn SF viel mehr ist, wird sie heute nicht anders gesehen, nur... Der Nerd von heute liest lieber Fantasy oder Horror, die typische Leserschaft und damit auch der Stellenwert der SF ist deutlich kleiner geworden...was einblick auf die Regale der Buchhandlungen beweißt. Deshalb sehe ich mmt. schwere Zeiten für die SF, wozu die Art und Qualität vieler aktueller Publikationen nicht unwesentlich beiträgt... nicht viel Neues unter den Sternen.
Was ich sehr schade finde.
Wer trotzdem mal Lust hat, sich auf eine Reise in die wunbderbare Welt der SF zubegeben, zu wirklich neueb Welten... Ich leuchte euch gerne ein wenig den Weg...Ihr müßt nur fragen...
So, jetzt aber los...zurück zum Thema.

DAS SCIENCE FICTION JAHR 2012
Wilhelm Heyne Verlag, München
ISBN 978-3-453-52972-4
32,99€

Da sitze ich nun, frisch aus dem Urlaub zurück und starre auf DAS BUCH. Imhandlichen DIN-A4 Format, rechteckig, praktisch, gut. Kann man wunderbar mit Fliegen totschlagen. Oder es als Briefbeschwerer nutzen...Knapp 1000 Seiten voller Facts, Features und Rezensionen aus Print und Multimedia... He, moment mal! Rezensionen? Soll ich nicht eine Rezension über dieses BUCH schreiben? Wie zum Geier soll ich eine Rezension schreiben über etwas, das zur Hälfte aus Rezensionen besteht (Und zu einem weiteren Viertel aus Auflistungen von Titeln)!? [Ja, Mädels, soo hab ich auch gekuckt, genau so!]
Egal, ich mach's einfach...

Das BUCH hat gegenüber dem Vorjahr einige Veränderungen erfahren, weg von der bisherigen starren Einteilund in feste Rubriken im Trend und Featureteil. Dafür hin zu einer bunten Textmischung aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, mal analytisch, mal humorvoll oder einfach als Smalltalk. Das ist gelungen und bringt m. E. den Leser dazu auch mal über den Tellerrand seiner Lieblingssparte zu schauen. Passenderweise widmet sich das diejährige Feature zumeist auch Menschen, die genau diese Fähigkeit besitzen oder besäßen. Letztlich ist das Buch dadurch sogar straffer und übersichtlicher geworden.
Es ist in drei große Bereiche unterteilt, das bereits erwähnte Feature, das Rewiew, weiterhin nach Sparten geordnet, das den größten Teil einnimmt und den Facts, ein sehr kompletter Überblick über die Szene in den USA, BG und Deutschland sowie weiteren Übersichten, Nachrufen und Listen.
Schauen wir mal auf die Features. Zum Auftakt gibt es ein Essay von Magaret Atwood (Schriftstellerin, bekannt durch die Antiutopie " Die Magd) in dem sie unter dem Titel Meine Abenteuer im Unfugland nicht nur ihr eigenes Heranwachsen in die SF beschreibt, sondern auch die gängisten Figuren und Themen in Bezug zum historischen Kontext und zur Mythologie setzt. Das ist mal lustig, mal nervig aber immer sehr persönlich.
Gefolgt von Die ewigen Pioniere, wo Gary K. Wolfe (Der nicht nur als Literaturprofessor in der Szene einen Namen hat) gut lesbar über die Übernahme und Weiterentwicklung klassischer Westernmotive in die SF als ewige Jagd nach der (letzten) Grenze schreibt.
Rainer Eisfeld hat im nächsten mit Siedler an einer fremden Grenze einen wunderbaren undpassenden Nachruf auf Ray Bradbury geschrieben. Bradbury, der sich selbst nie als SF-Autor sah und sich lieber in Horror oder Fantasy tummelte (Geh nicht zu Fuß durch stille Strassen und Das Böse kommt auf leisen Sohlen kann ich da wärmstens empfehlen), hat mit Die Marschroniken (gabs mal ne fürchterlich TV-Verfilmung) und Fahrenheit 451 (auch als Film sehr gelungen) zwei Werke geschaffen, die das Genre beeindruckend mitgeprägt haben.
In Die lange Reise zum Mars schreibt David Hughes über die faszinierend und fast unendliche Geschichte der Marsromane von Edgar Rice Burroughs (Den Autor von Tarzan). Nachdem das Filmchen dann doch fertig war, wünschten sich allerdings viel (auch ich), es wäre nie gedreht worden.
Dietmar Dath widmet sich in verrückte Vernunft einem meine Lieblingsautoren, Phil K. Dick, vor allem seinem Spätwerk. Hat ers mal gelassen... Das ist nicht nur dem Laien ohne umfangreiche Kenntnis zu Autor und Gesamtwerk völlig unverständlich, sondern geht auch stilistisch knapp an sämtlich Sinnen vorbei.
Der treffende Nachruf auf Hans Kneifel, den die meisten als einen der Väter der Perry Rhodan Reihe kennen, versöhnt aber wieder etwas.
Peter M. Gaschler schreibt über Rainer Werner Fassbinders fantastische Verfilmung von Daniel F Galouyes Roman Simulacron 3 unter dem Titel Welt am Draht. Für mich die beste SF-Verfilmung aus Deutschland und obwohl der Film aus den 70er kommt, weit aktueller, als man denkt. Ist bei YouTube als Orginal ansehbar. Ein MUSS man gesehen haben.
Jetzt wirds mir das Leben der Urzeitkrebse echt finster. Hans Kaspar(Nomen est omen) spricht mit dem Autor Heinrich Steinfest über sein Werk. Da dieser mehr so skurile Krimis schreibt, hab ich nicht verstanden, was das mit SF zu tun hat und über Stil und Inhalt sage ich, um Klagen zu vermeiden, nichts. Ausser das ich den brennenden Wunsch habe, den Verfasser zu überzeugen, sowas nicht noch mal zu machen.
Ein echtes Highlight ist dagegen mit Auf der Spur des absoluten Bildes der richtig gelunge Nachruf auf den Zeichner Jean Giraud, vielen besser bekannt als Moebius, von A. Platthaus, verbunden mit einem guten Überblick über sein Werk. Moebius ist, neben Enki Bilalmein absoluter Lieblingscomicschöpfer. Er hat mit seinen Werken nicht nur das jeweilige Genre geprägt sondern quasi immer wieder neu erfunden, sei es noch als Giraud mit den Western um Blueberry oder als Moebius mit John Difool.
Your Movie wants you ist ein recht lustiger Bericht über die skurille Entstehung des Low Budget Sf Trash Film IRON SKY. Nicht nur die Story (Die Nazis haben in einer Hakenkreuzförmigen Raumbasis auf der Rückseite des Mondes überlebt und überfallen jetzt die Erde mit ihren Raumflotten) ist der Hammer, auch die fast komplett über die Internet-Community erfolgte Finanzierung ist voll gierig.
Der Film ist übrigens so doof, das er das Zeug zum Kult hat. Wer Star Wrek mochte, wird ihn lieben.
Carsten Görigs Von Nerds und Raketenbauern ist ein nettes Porträt vom Spielweltenschöpfer John Cormack und das Interview Der Kompost der Vergangenheit mit Cory Doctorov (ist zwar nicht mit E.L. Doctorov verwandt, ich schätze ihn, nicht nur als Autor, trotzdem sehr.) ist unbedingt lesenswert.
Uwe Neuhold hat dagegen in Bestehen Delfine den Turing-Test ein Gespräch mit Professor Mainzer vor allem über KI geführt, das echt nur was für Hardcore Science Fans ist.
Mit Testament für die Technoevolution bildet ein fiktiver Report über ein Inter-Intelligenz-Symposium in einer Gesellschaft, die auf den Romanen von Stanislaw Lem beruht. Ist wahrscheinlich als Satire gedacht, liest sich aber bestenfalls bescheiden und ist selbst für den eingefleischten Lem - Fan fast unverständlich.

Der Rückblick, das REVIEW ist dagegen übersichtlich nach Sparten geordnet und beginnt mit BUCH. Ich kann zur Stimmigkeit der Rezensionen nicht viel sagen, da ich viele der vorgestellten Bücher nicht gelesen habe. Das Spektrum (Der Qualität der Rs nach meinem Empfinden) reicht allerdings von Gut lesbar über Macht Lust auf das Buch weiter zu Völlig verquast bis zu Weckt den Wunsch das Buch niemals zu lesen. Auf die einzelnen Werke einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels allerdings weit sprengen.
COMIC liefert meinesErachtens eine guten Überblick über die Sparte, auch wenn hier bereits Fantasy und Horror munter reingemischt wird (1000 Seiten wollen ja auch irgendwie gefüllt werden), die Rezensionen bewegen sich im selben Rahmen wie bei BUCH...negativer Höhepunkt ist aber die R zu ZOMBIES, Die göttliche Komödie, wo ein Herr Endries sich seitenlang darüber ausläßt, warum der Comic nicht funktioniert, man aber genau gar NICHTS über die Handlung erfährt.
Sehr gelungen finde ich die Rubrik HÖRSPIEL, nicht wegen der Qualität der R, sondern weil überhaupt mal wieder was über Hörspiele gebracht wird. Die einzelnen Rezensionen waren aber häufiger geeignet mir ein lautes ARRRGH! zu entlocken.
FILM ist durchweg gut, die Rs geben fast durchgehend Inhalt und wichtige Fakten zu den Filmen wieder und wecken durchaus Interesse. Soweit ich die Filme gesehen habe, deckt sich meine Meinung auch großteils mit den Rezensionen.
GAMES ist richtig gut. Stimmung, Inhalt und Spieltiefe wird umfassend dagelegt und der Artikel zu Tetsuya Mizuguchi ist richtig interessant. Ist für mich die gelungenste Rubrik, auch wenn diese Art Spiele nicht wirklich mein Ding sind.

Der dritte und letzte Teil des BUCHs sind die FACTS. Hierbei erfasst der Überblick über die Szene in USA, GB und Deutschland so ziemlich alles, was erschienen ist und irgendwie mit SF zu tun hat. Sehr, sehr umfangreich...
Die Liste aller Heyne-Publikatione im Bereich Phantastik 2011, Nachrufe auf verstorbene Autoren und Listen aller Preisträger in 2012 schließen den 3. Teil ab.

Fazit: Es ist mir wirklich nicht leicht gefallen, dieses BUCH nicht nur zu rezensieren, sondern überhaupt als ganzes zu lesen. Das macht es mir ebensowenig leicht, ein halbwegs objektives Fazit zu ziehen.
Für den Durchschnittsleser, der einfach mal ins Genre schnuppern will, ist das BUCH zu komplex und erschlägt mit der schieren Masse an Facts. Die doch sehr unterschiedliche Qualität der Rezensionen machts dann auch nicht leichter. Für den Normal-Fan ist es ein Sollte, kein Muss, zum Rosinenpicken ist es empfindlich zu teuer. Richtig wohlfühlen mit dem BUCH werden sich wohl eher der Hardcore-Fan und der Sammler (Wobei auch für diese die Kaufentscheidung gut abgewogen sein will. Neben dem mehr als stolzen Preis kommt hinzu, das viele Listen das Jahr 2011, bestenfall bis 3/12 erfassen und damit nicht wirklich aktuell sind.

Nach langem Nachdenken kann ich das BUCH mit einigen Einschränkungen bedingt empfehlen, ich würde es mir selber aber nicht kaufen.

...es ist vollbracht

Autor:

Thorsten Ottofrickenstein aus Menden (Sauerland)

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