Haben die Himmelträger heute den nötigen Corona-Abstand?
Erinnerung an Fonleichnam in der Pfalz

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("Es ist immer dasselbe: Plötzlich ist Fronleichnam und man hat sich noch gar keine Gedanken gemacht.")

Hochachtung vor dem Brauchtum kann man haben, auch wenn man den Inhalt nicht (mehr) teilt. Der Grund liegt wohl in der liebevollen Gestaltung durch die Mitmenschen und in der Erinnerung an die Kindheit.

Wie lange war es her, dass ich Fronleichnam hautnah erlebt hatte? Was wir da in diesem kleinen Dorf am Rande der Haardt gesehen haben, entfaltete sich wie ein geträumter Besuch in der Welt meiner Kindheit. Wir zogen an diesem sonnigen Morgen mit Hund die menschenleere steile Dorfstraße hinauf und rieben uns immer wieder verwundert die Augen: Die Gehsteige waren beiderseits mit Farnkräutern und Blumenkübeln geschmückt. Auf den Fensterbänken lagen rote Deckchen mit goldenen Buchstaben: JHS! Aus zahlreichen Hofeinfahrten leuchteten prachtvoll gestaltete Altäre, deren verschwenderische Gestaltung man hier gar nicht erschöpfend beschreiben kann. Am auffälligsten ein Engelaltar mit der Aufschrift: Angelorum!

In der Luft lag ein für das kleine Weindorf untypischer Blumenduft, als wir uns auf die Suche nach seinen Einwohnern machten. In der Kirche waren sie jedenfalls nicht. Plötzlich einsetzende Blasmusik brachte uns aber auf die richtige Spur. Unter einer alten Kastanie am oberen Ortsausgang stand der Altar, an dem ein Priester im feierlichen Ornat die Messe zelebrierte. Die Gemeinde, es mögen knapp 100 gewesen sein, stand über die Straße verteilt, Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Ein kleiner Chor mit einem leidenschaftlich gestikulierenden Chorleiter begann zittrig zu singen, und ich entdeckte den Himmel. Er war, etwas eingefallen, am Straßenrand abgestellt. Jetzt hörte man die lebhaften Wechselgebete zwischen Pastor und Gemeinde, und es dauerte nicht mehr lange und der Himmel wurde aufgenommen und die Prozession setzte sich unter den Klängen der tapferen örtlichen Bläservereinigung in Bewegung. Wir reihten uns am Schluss ein. Für die überrascht hinter sich blickenden Südpfälzer war unser Hund wohl der erste, der mit einer Fronleichnamsprozession lief.

Wir bogen allerdings bald ab, um den frommen Zug auf einer Seitenstraße zu überholen. Unser Ziel war die Ecke, wo die Hauptstraße einen Knick macht. Diese war besonders aufwendig geschmückt, und vor allem war hier, am plätschernden Wasserspender von 1527, eine schöne Bank, auf der man den Zug, der langsam von Altar zu Altar zog, bequem erwarten konnte. Für Unterhaltung sorgte ein Urlauber aus Moers, dessen Frau mitlief. Er erzählte uns von einem ehemaligen Organisten des Dorfes, der jedes Jahr mit seiner französischen Frau anreist, um an der Prozession teilzunehmen. Die Frau habe immer dieselbe französische Kappe auf. Jetzt kamen die Gesänge näher. Ich verließ die Bank und machte einige Fotos, und da war es, das alte Paar aus Frankreich, würdig und bewegt. Vor dem Altar an der Biegung wurde Halt gemacht und es begann ein weiterer Teil der Zeremonie. Über dem blumengeschmückten weißen Altar schweifte mein Blick zu einer halbrunden Mauernische mit einer Madonnenfigur, deren eiserne Vergitterung zur Feier des Tages weit offen stand, so als seien alle Schranken zwischen Himmel und Erde gefallen.

Ich kehrte zur Bank zurück und bemerkte erst nach dem Platznehmen zu meiner Linken ein kleines Mädchen, das immerzu in sein Streukörbchen blickte, an den Rosenblüten zupfte, sie vor sich auf die Erde streute und gleich wieder aufhob. Meine Frau machte mich stumm auf ihre Beinprothese aufmerksam. Neben ihr, direkt am Wasserspender, waren, während die Gemeinde sang und betete, zwei Jungen lebhaft beschäftigt. Sie hatten das kleine steinerne Wasserbecken in ein Haifischbecken umfunktioniert. Blätter waren ihre Haifische. Sie ließen sich von ihrer Mutter nicht davon abbringen und lachten in die Gebetspausen hinein. Dann ging die Prozession unter den Klängen der Kapelle weiter, den abschüssigen Teil der Hauptstraße hinab. Ich stand auf und schoss noch einige Überkopfaufnahmen. Als ich dann zu Frau und Hund zurückkehrte, war die Bank leer. Auch das Mädchen mit dem Blütenkorb war verschwunden. Es war wohl mit der Prozession gegangen und hatte sich nur ausgeruht. Ich wurde an Lourdes erinnert und war berührt.
Auf dem Weg in die Ferienwohnung am Rande der Weinfelder wurde mir wieder einmal klar, dass das Herz katholisch bleibt, wie sehr auch der Kopf sich davon entfernt hat.

Franz Firla, 2016, Weyher/Pfalz

Autor:

Franz Bertram Firla aus Mülheim an der Ruhr

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