Oer-Erkenschwick stellt sich gegen Rechts

Seit fünf Jahren wohne ich nun in Oer-Erkenschwick. Vorher in Gelsenkirchen. Jahrelang politisch aktiv, besonders gegen Rechts, war ich überrascht, dass es in Oer-Erkenschwick keine wirkliche politische Kultur zu geben scheint. Frei nach dem Motto „über Politik und Religion reden wir nicht“ oder „was sollen denn die Nachbarn sagen?“ liegt ein Schleier des Nichtgesagten über dieser Stadt.

Ich musste aber auch erst lernen, dass es einen Unterschied macht, ob man in einer 260.000 Einwohnerstadt wohnt, oder die Anzahl der BürgerInnen nur etwa 30.000 ausmacht. Hier kennt jeder jeden und man hält zusammen. Da kommt eine von außen und will uns was von Politik erzählen? Da kommt man als Neuling nicht durch.

Umso niedriger hatte ich meine Erwartungen angesetzt, als es hieß: Oer-Erkenschwick wird sich auch an den Demonstrationen gegen Rechts und der AfD beteiligen. Ein entsprechendes Bündnis hätte sich gegründet und eine Kundgebung für etwa 300 Personen angemeldet.

Langsam kam ich dem Berliner Platz näher. Gebäude nahmen mir noch die Sicht, aber ich sah schon eine kleine Menschenansammlung. Und jeder Schritt weiter zeigte mir noch mehr Menschen. Ich war aufgeregt. Sollte es doch möglich sein, in Oer-Erkenschwick DemokratInnen auf die Straße zu bekommen? Die Veranstalter sprachen am Ende von ungefähr 600 Teilnehmern. Das sind immerhin 2%. Zum Vergleich: In Gelsenkirchen waren am selben Tag 6.500 DemonstrantInnen unterwegs. Das sind 2,5%. Da ist überall noch Luft nach oben.

Vernunft und Gefühl

Nachdem das Netzwerk „Correctiv“ über ein Treffen in Potsdam informiert, indem endlich auch die breite Öffentlichkeit nicht mehr leugnen kann, was die AfD, Werteunion, manch ein Unternehmer, etc. im Rechten Spektrum planen, ist die Empörung bei den BürgerInnen zu spüren. Endlich bimmelt es bei der Vernunft. Mensch hat verstanden. Nicht alle, aber der Anfang ist gemacht.

Ist die Vernunft erst mal erreicht, macht man sich auf den Weg, um Gemeinschaften zu finden. Ganz schnell waren Bündnisse aktiv und nun haben wir bundesweit viele, viele Tausende Menschen auf den Straßen, die sich offen und mutig gegen Rechts stellen.

Seitdem triggert meine Gefühlsskala bei 10 von 10 Punkten. Endlich, endlich wird den Menschen klar, dass wir nicht mehr nur zuschauen dürfen. Wir müssen was tun und davon viel.

Als ich dann bei der Kundgebung in Oer-Erkenschwick in der Menge stand, war ich gerührt. Um mich herum Kinder mit bunten Schildern und sie hatten sichtlich Spaß. Ich hatte den Eindruck, man hat ihnen auch erklärt, wie wichtig das ist, was auch sie tun. Alte, junge, kleine, große Menschen. Alle waren da.

Ein kleiner „Dinosaurier“ flitzt mit einem Schild herum: „Dinosaurier hätten AfDler gefressen“. Es war zu knuffig. Und die Menschen werden sicher gemerkt haben: Demonstrieren macht auch Spaß. Wenngleich der Anlass sehr bedrückend ist.

Bedrückend und traurig wurde es, als Horst Nilius (Seniorenbeirat und unheimlich aktiv in OE) an seinem 90. Geburtstag seine Erfahrung mit dem faschistischen Hitlersystem mit uns teilte. Die ZuhörerInnen wurden leise, hörten zu. Nilius berührte die Herzen und das Gefühl ist unwahrscheinlich wichtig, wenn man sich für eine Sache stark macht. Uns wurde noch einmal mehr klar, wieso wir hier stehen. Horst Nilius, an dieser Stelle einen herzlichen Dank für Ihre Worte!

Auschließeritis oder vereinen

Horst Nilius hat was ganz Wichtiges gesagt:

„Den Menschen geht es nur noch um die radikale Ausgrenzung. Die radikale Ausgrenzung von Medien. Die radikale Ausgrenzung von Bildung. Es geht ihnen um ‚ich bin derjenige, der zu sagen hat. Und danach habt Ihr zu parieren.‘ Nur wird es schön gesäuselt umschrieben, damit man es bloß nicht so merkt“.

Nun ist genau diese Ausgrenzung mein Erfahrungsschatz in Oer-Erkenschwick. Mit meiner politischen Haltung gegen Rechts geht es mir stets darum, an die Ursachen heranzugehen. Wann kippt die Stimmung in der Gesellschaft? Wenn es den Menschen nicht gutgeht, wenn sie Existenzängste haben und nicht ernst- oder mitgenommen werden. In diese emotionale Lücke die den Verstand manchmal nicht mehr erreicht, kann sich rechte Propaganda einschleichen. Da bin ich immer bereit, mich entgegenzustellen.

Die Konsequenz war der Ausschluss bei Facebook aus Ortsgruppen, der Ausschluss durch Herrn Bürgermeister Wewers auf seiner privaten Facebookseite, nachdem ich in seiner Meinungsblase die einen oder anderen Informationen zu Fakenews von FB-Freunden postete. Es ist sein gutes Recht, auf seiner Privatseite Leute auszuschließen, die politisch nicht passen. Man darf sich nur fragen, wieso das so ist.

Als ich jedoch von der Facebook-Stadtseite gesperrt wurde, nachdem ich nach einem Impfbus in der Coronazeit fragte, wunderte ich mich dann doch. Das kommt einem Hausverbot im Rathaus gleich. Denn die Stadtinformationen sind auf der Internetseite nicht so aktuell, wie bei Facebook. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz eine nicht tragbare Situation. Es blieb aber nicht bei der Sperrung. Nach ein paar Monaten wurde ich gar blockiert. Wenn ich vorher wenigstens noch lesen konnte, finde ich nun gar keinen Zugang mehr zu städtischen Informationen.

Nun steht Herr Wewers also auf der Bühne und redet wahre Worte. Ich war überrascht. Und man fragt sich, wie das Reden und Verhalten miteinander konform geht? Wie kann ich ihm glauben, was er da sagt? Man will vereinen und sich gegen Rechts stellen. Das ist gut so. Aber müssen wir nicht auch miteinander reden können? Müssen wir nicht auch über unsere allgemeine Meinungsblase hinaus lernen, uns auszutauschen? Also ich wäre bereit. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Ich aber auch.

Faschismus hat seine Wurzeln und da müssen wir ran. Wir müssen uns alle selbst hinterfragen, wie es so weit kommen konnte. Wie oder wann wir uns spalten lassen. Wir müssen uns fragen, was wir tun können, um wieder miteinander reden zu können, ohne sich gleich klein zu fühlen, wenn jemand eine andere Argumentation hat.

Rechte mucken auf

Während die Kundgebung läuft, wurde der Berliner Platz mit der Deutschen Nationalhymne beschallt. Rechte Anwohner wollten stören und dafür sorgen, dass wir nichts mehr verstehen. Die Menge zeigte unbesehen, dass sie das nicht in Ordnung findet. Während die Rechten noch versuchten Naziparolen zu skandieren, riefen die Demonstranten: „Wir sind mehr, wir sind mehr“. Und schon war nichts mehr zu hören. So geht das! In der Menge vereint, das Gute gemeint und Nazis verneint.

Nachdem die Rechten im Laufe der Kundgebung nochmal versuchten, auffällig zu werden, sah man das Ordnungsamt ins Haus gehen. Ich kann nicht sagen, was dort passierte. Aber während der Veranstalter der Kundgebung über eine Beschallungserlaubnis verfügt, hätte das Ordnungsamt die Gelegenheit gehabt, die Rechten wegen Ruhestörung zu belangen. Es ist ein Unterschied, ob eine Veranstaltung öffentlich ist oder ob man privat laut ist. Aber mit Gesetzen, Bildung und politischen Wissen haben die Rechten es nicht so. Es wäre schön, wenn das Ordnungsamt entsprechend vorgegangen ist.

Fazit

Der erste Schritt gegen Rechts wurde in Oer-Erkenschwick gemacht. Das Bündnis gegen Rechts ließ uns wissen, dass es weiter geht. Ich wartete nur auf Informationen über Organisationstreffen, wann und wo sie denn stattfinden sollen. Diese Info blieb man uns dann doch schuldig. Initiativarbeit ist schwer zu organisieren. Wo kann man Termine bekannt geben? Wo kann man sich treffen? Das ist viel Arbeit und kann breit geschultert werden. Oer-Erkenschwick hat angefangen, nun muss es auch weitergehen. Diskussionsrunden, Aktionen, Informationsveranstaltungen wären da jetzt angesagt. Wie bereit ist Oer-Erkenschwick dazu?

Diese Kundgebung war eine gelungene Veranstaltung.

Immerhin fühlte ich mich vierzig Minuten lang als Oer-Erkenschwickerin.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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