Wenn uns Luftmassen tragen, bedeutet das nicht, wir können ohne Fallschirm springen...
Wer zu früh kommt, ist auch nicht rechtzeitig

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Aktuell erleben wir alle eine Lehrstunde in Föderalismus. Deutschland ist eine Bundes-Republik. Das ist auch prinzipiell gut so. Länder mit einer gewissen Portion Selbstverwaltung und eigener Verfassung. In normalen Zeiten vor Corona hatte ich oft die Sorge, dass die herrschende Politiker-Kaste mehr Richtung Berlin - also weg vom föderalen Prinzip "unterwegs" gewesen ist. Einige Veränderungen der letzten Jahre hatten mir persönlich in diesem Zusammenhang wenig behagt. Ich wäre vielleicht nach der Wiedervereinigung auch eher für die Bundeshauptstadt Bonn gewesen, statt den teuren Umzug nach Berlin mit allen möglichen Behörden zu vollziehen. Allerdings wissen wir alle, wie es gekommen ist, so wird es nun auch bleiben.

Allerdings regieren möglicherweise neben den gewählten - demokratisch legitimierten - Ministerpräsidenten in den Ländern, möglicherweise in diesen Tagen auch noch mehr als sonst, die Meinungs- und Umfrageinstitute mit: Laschet beispielsweise spickte seinen Experten-Rat u.a. mit Leuten von Rheingold, Allensbach und RWI. Nirgends in diesem Team sogenannter Experten findet sich ein Vertreter der Massen. Also weder Kirchen noch Gewerkschaft, andere Parteien oder gesellschaftlich relevante Gruppen. Da kann es schnell geschehen, dass die versammelten Experten nur durch die eigene kleine Brille schauen. 

Als Angela Merkel öffentlich kritisiert, dass diese "Öffnungszeitendiskussionsorgien" aufhören müssen, NRW vielleicht in einigen Schritten am Ziel vorbei galoppiert, reagiert Laschet nicht nur zügellos (um das Bild mit dem Galopp beizubehalten) sondern mit einer Ausrede, doch in seinem Bundesland unbedingt die Küchenbauer wirtschaftlich retten zu müssen. 

Sind Toilettenpapier und Einbauküchen für die Menschen in NRW wirklich wichtiger als das Leben?

Oder zumindest wichtiger als das Leben anderer Menschen in unserem Land. Könnte man jedenfalls so verstehen... meine ich, wenn ich den gestresst wirkenden Landesvater so betrachte.

Dabei denke ich, wurde von Anfang an, in dieser gesellschaftlichen Krise, nicht offen und ehrlich kommuniziert. Augenscheinlich könnten die Menschen in unserem Land gedacht haben, als sie vor Wochen den Ministerpräsidenten Laschet gehört und gesehen haben, wie er mit einem sehr dringenden Appell für den sogenannten Shutdown geworben hat, es wäre akut etwas wegen Corona zu tun. Von wegen Impfung etcetera. Dieser shutdown kam zu einem Zeitpunkt, an dem viele Menschen in die Entscheidungsfindung nicht im Ansatz einbezogen waren. Der Nutzen hätte aus meiner Sicht größer sein können, bei besserer Aufklärung. Man hätte den Menschen deutlich sagen sollen, worum es eigentlich geht. Dann wäre man zeitlich auch realistischer gewesen, statt an eine Maßnahme von wenigen Tagen zu denken.

Erstens hat eine große Zahl von Menschen in unserem Land nicht erreicht, dass der Virus auf unterschiedlichen Wegen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die einzelnen Bundesländer kam. Das kann dem geschuldet sein, dass Experten und Politiker das selber nicht wussten. Hier aber sollten eben diese Leute für die Zukunft lernen, solche Punkte dann ehrlich vorzutragen. Ich meine, ich kann z.B. auch kein Auto reparieren, woraus ich kein Geheimnis mache. Niemand kann alles. Auch nicht wissen. Parallel zu dem Parlamenten sollte unsere Gesellschaft auch immer noch einen "Rat" installieren. Ohne politische Befugnisse - und nicht vergleichbar mit dem Senat der Ältesten im alten Griechenland. Aber wir brauchen solche Leute. Die Juristen, die nun Politiker sind, reden sonst wochenlang um den heißen Brei. Das macht die Vertrauenskrise zwischen Bevölkerung (Souverän) und Politikern (Vertreter des Systems, nicht das System selbst) immer größer. 

Zweitens denke ich, haben die Menschen nicht die offene und ehrliche Aussage bekommen, dass der Shutdown nicht GEGEN das einzelne Virus war, sondern FÜR den Erhalt unseres medizinischen Versorgungssystems. Die Politiker und Experten haben also das System geschützt. Nicht das Individuum. Daher sind die ablebenden Opfer der Corona-Pandemie sowas wie Kollateralschaden. Muss man nur persönlich nehmen, wenn man selber stirbt. Nein, im Ernst - alle Menschen haben die Corona-Sache anfänglich nicht so gesehen, wie sie ist. Der Frosch fühlt sich auch wohl, wenn das Siedewasser sich erwärmt. Bis... na ja. Das werden wir noch mit dem Klimawandel erleben, ob wir aus Corona gelernt haben. Auch hier sehe ich eine Gefahr, dass Menschen und System sich parallel weiterentwickeln werden, aber nicht mehr zusammen, wie es eigentlich sein sollte.

Drittens hat aus meiner Sicht eine etwaige Profilneurose einiger Politiker dazu beitragen müssen, dass das Thema unsachlicher, machtbezogener und hysterisch kommuniziert wurde. Es gab kaum Graustufen zu erkennen, sondern mehr ein Schwarz und Weiß. Dabei wäre es mir lieb, würden wir alle daraus Perspektiven für die Zukunft finden, eine bessere Normalität zu erreichen. Wie wenn in jedem Böses auch was Gutes steckt. Deshalb denke ich immer noch laut über das Bedingungslose Grundeinkommen nach. Eine echte Alternative zur Altersarmut, zur Unterversorgung von Kindern, als solide Grundlage für Familien, aber auch für Alleinstehende. Für Freiberufler, Klein-Unternehmer und Mittelständler. Diese Diskussion wurde aber oft im Keim erstickt, wie auch die Erhöhung von Kurzarbeitergeld abgeschmettert worden ist. Laschet wollte sich am Wochenende zu solchen Themen nicht einmal äußern, sagte er z.B. in dem Interview mit dem Deutschlandfunk. 

Abschließend und viertens habe ich mir in den letzten Tagen noch einmal sämtliche Verlaufskurven, Genesungskurven und Infektionsraten angesehen. Vor allem von den Staaten, die unterschiedliche Wege gehen. Das Vereinigte Königreich, wo das Virus später aufgetreten ist, als in Deutschland. Schweden, die zunächst keine Schutzmaßnahmen für erforderlich hielten, weil auch hier Covid19 später auftauchte. Deutschland mit dem Shutdown. Die Vereinigten Staaten mit dem arroganten Trump, der viel zu spät überhaupt irgendwas erlaubt hat, was Gegenmaßnahmen angeht. Dabei sind mir einige Werte ins Auge gesprungen. 

Wenn man die Siedlungsart dieser Staaten betrachtet, stellt man schnell unterschiedliche Konzepte fest. Die USA sind vielfach eher dünn besiedelt, wie auch Schweden. England und Deutschland kann man hier vergleichen, mit einigen mehreren gut verteilten Großstädten. 

Dann habe ich mir die Bevölkerungsgröße an sich betrachtet. Die USA hat etwas mehr als 330 Millionen Menschen. Deutschland hat etwa 80 Millionen Menschen. Das Vereinigte Königreich etwa 70 Millionen. Schweden ungefähr 10 Millionen. 

Jetzt ist spannend, wie sich die Zahl der Infizierten gesamt und in der Entwicklung gezeigt hat. Dabei hat die USA beim Stand gestern beinahe 800.000 Infizierte mit steigender Tendenz bei den Neuinfektionen. Deutschland steht mit etwa 148.000 Infizierten und stabiler Tendenz bei den Neuinfektionen deutlich besser da. Das Vereinigte Königreich mit England hat etwa 130.000 Infizierte, wobei Covid19 hier wesentlich später aufgetreten ist, wie auch in Schweden. Dort hat man etwa 15.000 Infizierte. 

Es ist aus meiner Sicht auch für Nicht-Experten wie mich relativ leicht, die Zahlen in ein Verhältnis zu setzen. Egal, was die sozialen Medien erzählen. Wir können uns so ein eigenes Bild machen. 

Die USA hat etwa 45.000 Tote infolge von Corona. Deutschland etwa 5.024. Das Vereinigte Königreich etwa 17.320. Schweden circa 1.765.  In absoluten Zahlen berufen sich vermutlich deshalb einige Schlauköpfe in den sozialen Medien darauf, es in Deutschland so machen zu wollen, wie in Schweden. Dort wird bekanntlich nichts bis wenig unternommen. Man kann vor dem Sterben ein Eis genießen, in der Fussgängerzone, oder im bekannten Möbelhaus shoppen gehen. Von Masken war in der jüngsten Vergangenheit auch wenig zu sehen, in England. 

Ich komme bei Betrachtung dieser ganzen Zahlen zu einem deutlichen Ergebnis:

Und das wird noch deutlicher, wenn man sich die Anzahl der vom Corona-Virus genesenden Menschen ansieht. Von 800.000 Infizierten in den USA genesen etwa 10% - also in absoluten Zahlen 75.000 US-Amerikaner. Von 148.000 Infizierten in Deutschland genesen etwa 95.200 - also gut zwei Drittel, ungefähr 60%. Im ehemaligen EU-Mitgliedsstaat sind es bei 130.000 Infizierten immerhin beeindruckende 638 Menschen, die wieder gesund werden konnten. Das ist lächerlich, wenn es nicht so traurig ist. Offenbar schließen in England die Krankenhäuser, wenn die Pubs öffnen... In Schweden genesen von 15.000 Infizierten gerade einmal 550 Menschen. Auch kein Ergebnis, worauf man stolz sein darf.

Da bin ich froh, dass ich in Deutschland lebe, muss ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen. "Anders wäre nämlich schlecht", um eine frühere Ministerin zu zitieren. 

Offenbar ist die USA im Augenblick nicht nur so tief in der Krise, wie lange nicht mehr, weil es den Virus gibt. Sondern die mangelnde Gesundheitsversorgung, die fehlende Krankenversicherung, Stichwort Obama-Care, könnten hier ein großes Thema sein. Tolle Krankenhäuser in den USA - medizinische Versorgung, mit schönen Ärzten - wie manche sie von den entsprechenden Soaps auf Pro7 kennen - muss man sich in den USA leisten können. Wer kein Geld hat, den bestraft Corona - mit dem Preis fürs Leben. 

Schweden und die Insel-Briten sind da ähnlich unterwegs. Konservative Kräfte haben viel abgebaut, was den Sozial- und Gesundheitsstaat angeht. Bei allem technischen Know-how, was ich beiden Staaten nicht absprechen kann, ist die Überlebensrate skandalös, finde ich. In Schweden ist ein Sechster im Lotto wahrscheinlicher, als Corona zu überleben, wenn man infiziert wurde. Jeder 11. Patient stirbt dort. 

Deutschland steht aktuell gut da. Das kann man nicht oft genug sagen und schreiben. 
Weil die Menschen das nicht verstehen, werden sie waghalsig und unvernünftig. 
Das sind die Politiker und die Medien schuld, wie sie das nicht kommunizieren.

Noch im vergangenen Jahr waren auch hier entsprechende Tendenzen spürbar. Und es gibt immer noch reichlich konservative Kräfte und sogenannte Liberale, die sich lieber an den USA und Schweden orientieren möchten. Vielleicht, weil sie sich im Krisenfall immer noch den Arzt ihrer Wahl auch leisten können. Aus meiner Sicht muss der Gesundheitsbereich aber nicht gewinnorientiert sein. Sondern ist eine gesellschaftliche Aufgabe.


Unsere Menschen im Lande sollten daher auf der Hut sein, ob wir aktuell nicht zu früh aus der Deckung gehen.

Vielleicht trifft uns das Virus dann ebenso hart beim nächsten Durchgang, wie die aufgezählten Beispielstaaten schon in der ersten Runde. Dann können wir nicht mehr beweisen, dass der Ausbau vom Sozialstaat in Zeiten ausuferndem Kapitalismus besser gewesen wäre. Dann gehen wir den Weg der anderen mit. Wie die berühmten maskierten Lemminge. Ich möchte das nicht.

Offenbar hat unsere Noch-Bundeskanzlerin in dieser Frage - vielleicht auch weil sie Wissenschaftlerin ist, nicht Juristin - hier mehr Skrupel als ihr potentieller Nachfolger. 

Heute würde ich Angela wählen. Nicht Armin. Bei den anstehenden Wahlen werde ich Armin ohnehin nicht wählen, woraus ich sicher noch keinen Hehl gemacht habe. Angela habe ich bis dato nie gewählt. Es ist nicht meine Partei. Schließlich will ich Gerechtigkeit und Solidarität. Kein freies Spiel der Kräfte.

Aber grundsätzlich kommt es immer auf den Zeitpunkt an. Der Zeitpunkt ist wichtig. Das wissen Männer und Frauen auch beim Sex. Wenn der Mann zu früh kommt, kann er kaum die Ausrede ziehen, die Frau habe ebenso viel Zeit gehabt... 

Ich denke, in der Gesamtschau aller öffentlich bekannten Fakten - und es kommen ständig neue hinzu - sollten wir uns in Geduld üben. Vielleicht einmal mehr an "Mutti" denken, um nicht zu früh zu kommen. Gerade in Bezug auf die Schutzmaßnahmen und die Öffentlichkeit. Schulen und Baumärkte sollten geschlossen bleiben, bis September. Dann ist klar, dass wir in der Zwischenzeit die unter den eingangs erwähnten Stellschrauben anpassen konnten. Bei 13.000 aktuell freien Intensivbetten in ganz Deutschland sehe ich andernfalls echt schwarz. Die haben wir binnen Stunden voll, wenn die zweite Welle uns härter trifft, als es die erste Infektionswelle getan hat. 

Und was nun, könnte man fragen... Im Augenblick fühlen sich jedenfalls einige Menschen in unserem Land durch ihre Unwissenheit so sicher, dass sie sich wie von Luftmassen getragen fühlen, auf den Fallschirm verzichten wollen. So sieht es aus, wenn Ihr heute durch die Straßen, Bau- und Möbelmärkte geht...

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

Webseite von Stephan Leifeld
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