Ein ganz normaler Tag im Leben eines naturkundlichen Reiseleiters

Ein handbemaltes Tuch aus Indien.
  • Ein handbemaltes Tuch aus Indien.
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Der Tag, an dem wir mit Elefanten zum Tiger geritten sind. Abschrift aus meinem Reisebericht zur Indien-Nepal-Reise vom 01. bis 23.02.1991

Donnerstag, 07.02.1991: In dem Zug haben wir recht gut geschlafen. Auch hat sich die Mitnahme einer kleinen Getränke-Reserve als sinnvoll herausgestellt. Wer allerdings empfindlich ist bei der Benutzung orientalischer Zug-Toiletten sollte hier lieber den Durst ertragen. Um 06:50 Uhr geht die Sonne auf. Vom fahrenden Zug aus schwebt die Landschaft an uns vorbei; ein Hochgefühl; ganz vorne, in der ersten Reihe von Raumschiff Erde. Wenn van Gogh das gesehen hätte, wären seine Sonnenblumen heute zweite Wahl. Wem das keinen Erlebniswert vermittelt, der mag seine Gedanken damit füttern, dass wir erst um 07:30 Uhr, mit 100 Minuten Verspätung, in Umaria ankommen; bei 19 °C. Sunny, unser örtlicher Reiseleiter, erwartet uns mit zwei Jeeps. Eine Stunde später werden wir an der White Tiger Lodge stürmisch begrüßt. Wir sollten nur kurz unser Gepäck abladen, dann ginge es weiter. Die Elefantentreiber haben bereits den Liegeplatz eines Tigers für uns ausfindig gemacht. Der Tiger hat in der letzten Nacht einen Axishirsch erbeutet. So werden wir ruck-zuck mit neuen Eindrücken überschüttet. Mit den Jeeps geht es in den Bandavgarh Park,wo auch die Elefanten auf uns warten. Von den Jeeps klettern wir auf die Elefanten. Die Elefantentreiber strahlen eine gewisse Würde aus. Der Umgang mit speziellen Tieren prägt doch auch den Menschen (womit ich nicht auf die Geldbörsen-Mäuse als Lieblingstier vieler Menschen hierzulande anspielen möchte). Nun geht der Ritt los. Er ist der Fahrt mit einer Nußschale bei stürmischer See nicht unähnlich. Im Anblick des Tigers tritt wieder Ruhe ein. So nahe habe ich einen Tiger noch nicht einmal im Zoo gesehen. Elefanten und Tiger kennen sich oft schon seit Jahren. "Wo keiner stören will, können viele in Harmonie leben", sagt der Indianerhäuptling Dan George. Um 10:00 Uhr sind wir zum Frühstück zurück an der Lodge. Noch nicht da sind unsere Fahrer von Agra, mit unserem Großgepäck. Sie haben Verzögerungen an verschiedenen Polizeikontrollen und kommen, sehnlichst erwartet, erst nach dem Abendessen. Bis zum Lunch "Birdwalk around the Lodge", bei knapp 30 °C. Beim Lunch macht der Reiseleiter den Peperoni-Test. Fast kann er die Mitreisenden zur Nachahmung animieren, doch dann bricht er bei einem besonders scharfen Exemplar dieser Spezies in Tränen aus. Um 15:00 Uhr erneute Abfahrt in den Park. Die Elefanten bringen uns zu einem weiteren Tiger; ein dreijähriges Männchen, das am Ende eines trockenen Bachbetts ruht. Danach drehen wir mit den Jeeps eine Runde durch den Park, mit faszinierendem Wild- und Vogelreichtum. Um 18:30 Uhr sind wir zurück an der Lodge. Nach dem Dinner entwickelt sich ein Gespräch zu einem sonst nicht üblichen Thema; Sterben auf einer Reise. Auf Grund der einer Teilnehmerin bekanntgewordenen Probleme mit einer Überführung erwächst die Empfehlung, in Zukunft bereits vor dem Antritt einer Reise eine Einäscherungseinwilligungserklärung auszufertigen und mitzuführen.

Nachsatz: Viele der damals in Indien zu beobachtenden Tiger und Geier leben heute nicht mehr. Die Tiger fielen Wilderern und dem Aphrodisiaka-Wahn zum Opfer. Solche Potenzmittelchen, wie von Tiger, Nashorn und anderen gefährdeten Arten, sind inzwischen weltweit der drittgrößte Schmuggelmarkt, gleich nach Waffen und Drogen.

Das Wegsterben der indischen Geier ist ein anderes Problem. Vertretern der Pharmaindustrie ist es gelungen, in Indien Überzeugungsarbeit zu leisten, ihre heiligen Kühe mit Voltaren zu behandeln. Das wäre ein Vergleich, wie Inuits Kühlschränke anzudrehen. Es hilft den Kühen nichts. Nur, die Geier sterben dann an der mit dem Mittel behandelten Kuh. Wie mir Dr. Haas, ein deutscher Geier-Spezialist in einem persönlichen Gespräch erklärte, waren die indischen Geier früher die zahlenmäßig häufigsten Greifvögel der Welt. Und sind jetzt vom Aussterben bedroht.

Ich hoffe, es ist okay, wenn ich mit meinem Reisebericht nicht nur Freude mache, sondern auch zum Nachdenken anrege.

Autor:

Uwe Norra aus Selm

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