"Nie 8 Stunden-Tag gehabt" - VHS-Leiterin Rita Weißenberg im Ruhestand
Bildung und Gleichstellung als Steckenpferde

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Enttäuscht war Rita Weißenberg schon. 1982 hatte sie ihr Lehramtsstudium in Geschichte und Soziologie gerade erfolgreich abgeschlossen, da gab es den Einstellungsstopp. Sie schaute sich um und schrieb erst Mal ein Buch über die 1926 stillgelegte Zeche Hermann in Selm Beifang. Mit Interviews ehemaliger Bergarbeiter und „Zeitzeugen“ begann ihr Weg in der Volkshochschule. Dass die drei Buchstaben ihr Berufs- und wohl auch Lebensinhalt werden sollten, ahnte sie nicht. Jetzt verabschiedete sich Rita Weißenberg(65) ohne viel Aufsehen in den Ruhestand.

Aus dem Geschichts-Gesprächskreis in ihrem Heimatort Selm entstand eine erfolgreiche Ausstellung, Fotos und Dokumente brachten die „Kumpel“ mit. „Dann ist ein Buch daraus geworden.“ Ortsgeschichte auf diese Art erlebbar und zugänglich für alle zu machen bereitet ihr Freude. „Uns wurde nichts geschenkt“ wurde zur Aktion „Schachtzeichen“ neu aufgelegt, auf der alten Zeche hielt sie einen Vortrag.
1. Frauenbeauftragte in Unna
Danach war Rita Weißenberg zur richtigen Zeit am passenden Ort. Denn in der Kreisstadt musste die neu eingerichtete Stelle als „Gleichstellungsbeauftragte“ besetzt werden. Sie war die 38. Frauenbeaufragte in der Bundesrepublik überhaupt. Sie erinnert sich:“Das war etwas Neues und in der Region war Unna vor Dortmund, Gelsenkirchen hatte bereits eine Stelle.“ Bei bundesweiten Treffen passten alle Teilnehmerinnen in einen Seminarraum. In Unna sei das Thema von den Frauen stark forciert worden. „Aber die Verwaltung wusste nichts damit anzufangen.“ Ihr Vorteil: „Ich konnte selbst gestalten.“ Doppelte Arbeit, denn intern musste das neu gestaltet werden und nach aussen verständlich kommuniziert werden. „Eine spannende Zeit.“
Ihr Herz schlug aber auch für Bildung und Medien. Von Seiten der Stadt Unna wurde sie angesprochen, ob sie nicht als Leiterin der Volkshochschule Verantwortung übernehmen wolle. Es entstand die Idee, Bibliothek und VHS zusammen zu fassen.
VHS ins zib
Nach dem Wechsel zwischen verschiedene Standorten bildete das ehem. Amtsgericht in der Hertinger Straße die letzte Station vor dem Wechsel in das zib. „Das Gebäude bestand hauptsächlich aus dem Treppenhaus, hatte aber große Räume.“ Auf den Lindenplatz plante die Stadt zunächst nur die Bibliothek. Das Land NRW befand das als „ausbaufähig“ und es sollten weitere Nutzungen integriert werden. Gerne übernahm Rita Weißenberg auch die Entwicklung des Lichtkunstkellers Ende der 90er Jahre. „Von unten aus sich in die oberen Etagen vorzuarbeiten reizte mich.“ VHS und Bibliothek sind seit 2004 als maßgebliche Bildungseinrichtungen der Stadt Unna im zib integriert. Im Laufe ihres Berufslebens erkannte Rita Weißenberg: „Veränderungen sind immer da, beim zweiten Mal macht man einiges anders.“ Das betrifft auch das zib als Bürogebäude. „Die Hitze ist ein Problem. Es braucht eine Verschattung oder Klimatiasierung der Büros. Mit Blick auf künftige heiße Sommer.“
Dozentin
Die Aufgabe bei der VHS lernte Rita Weißenberg von der Pike auf. Als Dozentin hatte sie als „Steckenpferd“ das Thema Natur-Exkursionen. Der Bereich war anfangs kaum besetzt und Natur ist eines ihrer Hobbys, hatte Freude an Museen und Gärten. Das Thema Garten und Gestaltung brachte sie in der VHS nach vorne. Unter ihrer Leitung wuchs aber vor allem das Gesamtangebot der Bildungseinrichtung. Besonders im Bereich setzte sie mit politischer Bildung, größeren Veranstaltungen gegen Rassismus und Gewalt ihre Akzente. Rita Weißenberg baute eine enge Kooperation mit dem kommunalen Integrationszentrum des Kreis Unna auf. Und sie überlegte Möglichkeiten, eine neue Form der Bürgerbeteiligung aufzubauen. Das „Bürgerschaftliche, ehrenamtliche Engagement“ entstand. „Da ist etwas enstanden, worin auch eine Form politischer Bildung zu sehen ist.“ Die Idee, sich einzubringen, zu gestalten und damit auch die Identifizierung mit der Stadt zu stärken trägt bis heute, über die Zeit der Flüchtlingswelle hinaus. Rita Weißenberg ist Mitgründerin des Café der Begegnung. Sie erarbeitete Integrationsmaßnahmen für den beruflichen Bereich mit. „Das gab es vorher nicht an der VHS.“ Vom bis dato rein freiwilligen Angebot wollte sie hin zu verpflichtenden Maßnahmen. „Der Bedarf an Sprachmaßnahmen war da und wir spürten, die VHS muss das machen.“ Erfolgsgeschichten sind etwa das Patenprojekt „Ausbildung“, bei dem Berufsexperten und erfahrene Senioren den Jugendlichen bei der Orientierung zur Seite stehen. Ein Mentoringprojekt für junge Frauen mit Migrationshintergrund zählt ebenfalls dazu.
Gleichzeitig galt es für Rita Weißenberg immer, die Entwicklung der VHS nach vorne zu bringen. Auf rund 1.000 Kursangebote, etwa 500 pro Semester ist das Bildungsangebot der VHS angewachsen. Heute melden sich zwischen 8 und 10 Tsd. Teilnehmer an. Dass die 100-Jahrfeier in ihren Berufszeitraum fällt macht Rita Weißenberg stolz. „Ein Zeichen, Veränderung im Auge zu behalten und schauen wo stehen wir gerade und wohin geht die Fahrt.“
i-Punkt und Lerntrakt
Bei der Bibliothek hat sie den Umzug vom Alten Rathaus am Markt ins zib mitgestaltet. Sie legte den Akzent auf Kinder und Jugendliche, die heute von einem kostenlosen Nutzerausweis profitieren. Die Umstrukturierung in Richtung Selbstverbuchung gestaltete sie mit. „Viel Arbeit, alle Medien mussten umgearbeitet werden.“ Rita Weißenberg merkte, dass Lernräume und Verweilplätze im zib fehlten. Im Lerntrakt finden heute unterschiedliche Angebote ausreichend Platz. Es wurden neue Einrichtungen geschaffen wie der Medien-Kunstraum und nicht zuletzt der I-Punkt. Touristenbüro, Ticketverkauf und VHS Anmeldung liefen früher über ein Büro im Rathaus. Der I-Punkt vereint diese Aufgaben.
Für Rita Weißenberg bedeutete die Arbeit für VHS und Bibliothek immer Veränderung. Sie übergibt den Lerntreff, der sich gerade in der Umstrukturierung befindet. Ab September stehen Teilnehmern hier virtuelle Brillen zur Verfügung, um Sachgebiete zu erkunden.
In ihrer Zeit war Rita Weißenberg die Vernetzung mit anderen Weiterbildungseinrichtungen in Europa wichtig. Dazu zählte der Aufbau des Frauenbüros und des Königsborner Ein-Eltern-Projekt.
„Ein Frauenhaus einzurichten stieß auf viel Unverständnis.“ Ebenso die Einführung von Frauenparkplätzen, heute selbstverständlich. „Es gab immer die Situation, dass ich etwas aufgebaut habe.“
Ihre Maxime war „nicht zurücklehnen, sondern genau auf die Entwicklungen schauen.“ Das Angebot muss aktuell bleiben. Bewährtes wusste Rita Weißenberg zu erhalten: Etwa die Bibliothek im Schulzentrum Süd. Umstritten war das Thema, aber die Einschätzung „Lernort Schule braucht einen Bildungs- und Verweilort“ setzte sich durch.
Frauenstraße 24
Ihr Bereich umfasste auch die VHS-Nebenstellen in Fröndenberg und Holzwickede. Die Entwicklung aller drei VHS-Einrichtungen im Blick zu haben betrachtete Rita Weißenberg als zusätzliche Herausforderung. Bei der Vielfalt an Aufgaben fand sie wenig Zeit für Hobbys. Das kann sich jetzt ändern. Zwei Söhne stehen kurz vor Abschluss ihrer Berufsausbildung. „Ich weiß, dass ich an mehreren Stellen was machen werde. Zunächst sei sie im Kräutergarten im Kurpark Königsborn eingestiegen. An ihrem Wohnort in Lünern gibt es zudem einige Inititaiven, die aus dem Forum Generationen entstanden und die sie gerne unterstützen möchte. Dazu könnte der Verkauf im Dorfladen gehören oder die Mitarbeit im „Sonntags-Café“, das derzeit von der Viruskrise hart getroffen ist.
Aber ein Projekt liegt Rita Weißenberg besonders am Herzen. An ihren Studienort Münster möchte sie gehen und an einem Buch mitschreiben. Thema: „Frauenstraße 24“. Ein Haus, dass in den 70er Jahren besetzt wurde und sich zum Kulturzentrum entwickelt hat. Interviews mit „Zeitzeugen“ möchte Rita Weißenberg führen, wie damals mit den Kumpels. Mit dem Buch könnte sich der Wirkungskreis der Selmerin, die in Unna für Volkshochschule, Gleichstellung, Lichtkunst und zib steht, schließen.

Autor:

Stefan Reimet aus Holzwickede

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