Wie ein Unnaer dazu verhalf, dass ein Nazi-Verbrecher geschnappt wurde
Pfarrer Pohl enttarnte Adolf Eichmann

Lerschstraße 2 in Unna: Hier wohnte der Mann, der Adolf Eichmann enttarnte. Zeitzeugin Renate Heine erinnert sich. Foto: Anja Jungvogel
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Er nahm sein Geheimnis mit ins Grab, er hatte sein Wort gegeben, so lange er lebe zu schweigen. Denn Ende der 50er Jahre waren alte Nazi-Seilschaften immer noch mächtig. Das brisante Wissen hätte gefährlich werden können.
Die Rede ist vom Verrat Adolf Eichmanns in seinem argentinischen Versteck. Eichmann galt als einer der schlimmsten Nazi-Verbrecher des dritten Reiches. Er war maßgeblich an der Planung und Organisation des Holocausts beteiligt.

Lerschstraße 2 in Unna: Hier wohnte der Mann, der Adolf Eichmann enttarnte. Zeitzeugin Renate Heine erinnert sich. Foto: Anja Jungvogel
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Der SS-Obersturmbannführer kümmerte sich beispielsweise persönlich um die Massendeportationen ungarischer Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager. Der Begriff "Schreibtischmörder" wurde nahezu für ihn erfunden.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung brachte den Stein in Rollen. Foto: Dieter Klussmann
  • Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung brachte den Stein in Rollen. Foto: Dieter Klussmann
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Einem Unnaer Militärpfarrer namens Giselher Pohl (1926-1996) scheint es zu verdanken zu sein, dass Eichmann in Buenos Aires aufgespürt werden konnte. Denn dort war der gesuchte Nazi-Verbrecher unter dem Namen Ricardo Klement untergetaucht und führte ein unauffälliges Leben als Arbeiter in einer Automobilfabrik.
In seinem Prozess in Jerusalem wurde Eichmann im Jahre 1961 für den millionenfachen Mord an Juden zur Verantwortung gezogen und 1962 hingerichtet.

Die  Geschwister Dr. Gerhard Gräwe und Renate Heine wurden von Stadtarchivar Dr. Ahland eingeladen, um darüber zu berichten, was ihnen über Pfarrer Pohl in Erinnerung geblieben ist. Foto: DIeter Klussmann
  • Die Geschwister Dr. Gerhard Gräwe und Renate Heine wurden von Stadtarchivar Dr. Ahland eingeladen, um darüber zu berichten, was ihnen über Pfarrer Pohl in Erinnerung geblieben ist. Foto: DIeter Klussmann
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All das ist aus zahlreichen Zeitungsartikeln, geschichtlichen Büchern und später auch aus Fernsehberichten bekannt. Doch nicht einmal die beiden Töchter des Unnaer Pfarrers wussten davon, dass ihr Vater damals anscheinend dazu verhalf, den gesuchten Nazi-Verbrecher aufzuspüren. Das blieb bis weit nach seinem Tod ein großes Geheimnis.

Zeitzeuge Dr. Gerhard Gräwe hat Pfarrer Pohl in guter Erinnerung. Foto: Dieter Klussmann
  • Zeitzeuge Dr. Gerhard Gräwe hat Pfarrer Pohl in guter Erinnerung. Foto: Dieter Klussmann
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In den Geschichtsbüchern steht jedenfalls (noch) nichts davon. Lediglich Ehefrau Rosemarie wusste Bescheid. Sie überlebte ihren Mann und erzählte ihren Kindern viel später, was damals geschah.
„Für Unna ist diese Nachricht eine kleine Sensation“, wagt Stadtarchivar Dr. Frank Ahland anzumerken. Eine Historikerin und eine Journalistin, die für die Süddeutsche Zeitung schreibt, haben lange recherchiert und ihre Erkenntnisse nun in einem dreiseitigen Bericht veröffentlicht.

Renate Heine hat in den Gottesdiensten von Pfarrer Pohl Harmonium und auch Orgel gespielt. Foto: Dieter Klussmann
  • Renate Heine hat in den Gottesdiensten von Pfarrer Pohl Harmonium und auch Orgel gespielt. Foto: Dieter Klussmann
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Demnach hatte der Unnaer Pfarrer Giselher Pohl im Jahre 1959 von einem Studienfreund (Gerhard Klammer), der zu dieser Zeit in Argentinien war, die Adresse des in Südamerika untergetauchten Adolf Eichmanns erfahren. Diese heikle Information gab er an den Militärbischof Hermann Kunst weiter, der seinerseits den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einschaltete. Bauer hatte seinerzeit eine gewisse Berühmtheit als harter und erfolgreicher Nazi-Jäger erlangt. Durch ihn kam es schließlich zur Verhaftung Eichmanns.
An diese Geschichte soll sich die Witwe Rosemarie Pohl kurz vor ihrem Tod 2013 erinnert haben. In einem Gespräch der Süddeutschen Zeitung mit der Tochter Sigrid hätte diese gesagt, dass sich die Eltern der großen Tragweite nicht bewusst gewesen seien.

Tagebucheintragungen der Mutter Rosemarie Pohl: Dort steht zwar in keiner Zeile etwas über Adolf Eichmann geschrieben. Dennoch hat die Ehefrau Treffen mit Gerhard Klammer, der Argentinien gelebt und Eichmann identifiziert hatte, in diesen Büchern dokumentiert. Foto: privat (Quelle Süddeutsche Zeitung)
  • Tagebucheintragungen der Mutter Rosemarie Pohl: Dort steht zwar in keiner Zeile etwas über Adolf Eichmann geschrieben. Dennoch hat die Ehefrau Treffen mit Gerhard Klammer, der Argentinien gelebt und Eichmann identifiziert hatte, in diesen Büchern dokumentiert. Foto: privat (Quelle Süddeutsche Zeitung)
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Generalstaatsanwalt Bauer hätte die Pohls am 25. November 1959 in Unna besucht, um Dokumente und Fotos abzuholen, die zur Identität und zur Ergreifung Eichmanns geführt hätten.
Der Jurist habe die Pohls übrigens noch ein zweites Mal in ihrer Wohnung in der Lerschstraße 2 besucht, um den Dank des Staates Israel auszurichten. Man lud Giselher und Rosemarie zu einer dreiwöchigen Tour durch das Land ein.
Zeitzeugin Renate Heine erinnert sich noch gut an den freundlichen Unnaer Pfarrer und beschreibt ihn als engagierten, aufrichtigen Geistlichen mit einer „guten Portion Humor“.
Renate Heine hatte genau zu dieser Zeit (1957 bis 1962) als studentische Hilfskraft bei Pohl gearbeitet und von seinem Geheimnis nicht das Geringste geahnt. „Über politische Themen hat er nie gesprochen. Von solchen Hintergründen habe ich nichts gewusst.“
Auch ihr Bruder Dr. Gerhard Gräwe, der heute noch in Unna wohnt, hat Pfarrer Pohl gut gekannt und er ist ihm bis heute in guter Erinnerung geblieben. „Ein Vorbild auch für alle, die nach ihm kamen“, bringt er es auf den Punkt.
Ob jetzt die Geschichtsbücher noch mal umgeschrieben werden müssen, wagt Archivar Dr. Frank Ahland nicht zu hoffen, doch Unna könne stolz auf den couragierten Geistlichen Giselher Pohl sein.

Über Giselher Pohl

Der 1926 geborene Sohn eines Pfarrers studierte, nach seinem Einsatz an der Front, ebenso wie sein Vater Theologie und nahm zwischen 1955 und 1956 eine Stelle als Hilfsprediger in Methler an und wurde anschließend Militärpfarrer in Unna.
Nach Eichmanns Hinrichtung im Jahre 1962 arbeitete Giselher Pohl für die Bundeswehr in den Niederlanden und ging danach nach El Paso/Texas, um 50 verschiedene Ausbildungsstandorte im atlantisch-pazifischen Raum zu betreuen. 1968 kehrte der Geistliche zurück nach Deutschland, um eine Pfarrstelle in Bochum-Engelsburg zu übernehmen. Anschließend führte es ihn in den Kreis Soest nach Welver, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1984 verblieb.
Bis zu seinem Tod am 9. Oktober 1996 sprach Giselher Pohl anscheinend mit niemanden, außer mit seiner Frau Rosemarie, über seine Rolle bei der Fahndung nach Adolf Eichmann.

Autor:

Anja Jungvogel aus Unna

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