Es ist ja nicht nur ein alter Kleiderbügel...

Mitte der Dreißiger Jahre: Die Schalker Straße in Gelsenkirchen. Rechts im Bild das Geschäft der Gebr. Goldblum
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"Als ich am Dienstag den Artikel zur "Woche der Erinnerung" in der WAZ las, mußte ich sofort an den Kleiderbügel denken" sagt Anita Sontopski (87). "Deshalb habe ich sie angerufen. Seit meiner Hochzeit 1947 habe ich diesen Bügel aufgehoben. Nun will ich ihn in guten Händen wissen." Es ist ein einfacher, hölzerner Kleiderbügel, den uns die alte Dame da übergibt. Einer, wie man ihn unzählige Male findet.

Doch dieser Kleiderbügel ist ein besonderer: "Gebr. Goldblum, Gelsenkirchen" steht in schwarzen Buchstaben darauf. Die Aufschrift zeugt von jüdischem Leben im Gelsenkirchen der NS-Zeit, zeugt von einer zerstörten jüdischen Existenz, von Entrechtung, Verfolgung und Enteignung. Anita Sontopski erzählt: "Gebr. Goldblum, das waren zwei jüdische Brüder, die an der Schalker Straße, Ecke Grillostraße ein Geschäft hatten. Der eine Bruder war Herrenausstatter, der andere verkaufte Schuhe. Mein späterer Mann hat sich dort 1936 von Herrn Goldblum einen Anzug machen lassen, und zu diesem Anzug gab es damals diesen Kleiderbügel. Als mein Mann Soldat wurde, wanderte der Anzug nebst Bügel in einen Karton, der die Kriegszeit im Keller überdauerte. Erst 1947, zu unserer Hochzeit, wurde der Anzug wieder hervorgeholt. Seither bewahre ich diesen Kleiderbügel als besonderes Erinnerungsstück an die Familie Goldblum auf."

Auch die Kaufmannsfamilie Isidor Goldblum gehörte zu den frühen Unterstützern des FC Schalke 04. Bereits 1904 nach Gelsenkirchen gekommen, hatte das Ehepaar das bekannte Bekleidungsgeschäft in Schalke aufgebaut. Die Söhne des Ehepaars Isidor und Rosa Goldblum, geborene Katzenstein führten das Geschäft, bis sie 1935 und 1937 vor den Nazis in die USA flüchten konnten. Das Geschäft der Familie Goldblum "übernahm" ein "arischer" Deutscher. Den Eltern gelang erst nach der so genannten "Reichskristallnacht" im November 1938 mit der Tochter die Flucht in die USA.

"Ich kann mich gut an jüdische Geschäfte in Schalke erinnern, an Jampel, an Katzenstein, an das Kaufhaus am Schalker Markt, dass dann Szepan "übernahm", an die kleinen Geschäfte an der Gewerkenstraße. Da gab es den Herrn Blitz, der war Jude. Als Hausierer ging er mit Bett- und Tischwäsche in Schalke von Tür zu Tür. Einmal ließ er meiner Mutter eine Tischdecke da, obwohl sie kein Geld hatte. Herr Blitz kam dann alle 10 Tage und holte den Kaufpreis in kleinen Raten ab. Auch der Herr Blitz war eines Tages plötzlich verschwunden" erinnert sich Frau Sontopski nachdenklich. "Dieser Kleiderbügel hat mich Zeit meines Lebens an das Unrecht erinnert, dass den jüdischen Menschen in Gelsenkirchen und anderswo angetan wurde. Wenn ich nicht mehr bin, soll er nicht einfach "entsorgt" werden. Es ist ja nicht nur ein alter Kleiderbügel" sagt uns Anita Sontopski zum Abschied.

Zum Leidensweg des Ehepaar Blitz fanden wir anschließend heraus: Der aus Galizien stammende Hermann Hersch Blitz wurde am 22. November 1939 in Gelsenkirchen verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingewiesen, wo er am 26. Januar 1940 ermordet wurde. Sein Leichnam wurde eingeäschert, eine Urne an seine Frau gegen Gebühr übersandt. Die Urne wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ückendorf bestattet. Seine Frau Cilli wurde am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga und weiter in das KZ Riga-Kaiserwald und von von dort in das KZ Stutthof bei Danzig verschleppt. Cilli Blitz wurde schließlich im KZ Stutthof ermordet.

Autor:

Heike Jordan aus Gelsenkirchen

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