Ein Liebestöter - zwischen Schein und Sein

Der Liebestöter
Wissen Sie noch was ein Liebestüöter ist?    
Diese
altehrwürdigen Unterhosen, die keinen Platz für Blicke, geschweige denn Genüsse ließen? Aber jetzt meine ich etwas anderes, nämlich solche Begebenheiten oder Verhaltensweisen bei einem ersten Date, die sich als untragbar herausstellen und bei denen man leider bereit ist, ein doch sehr unkonventionelles Gegenüber auf der seelischen Müllhalde entsorgen zu wollen.
Man sollte mit seinen Mitmenschen großzügig sein, tolerant, man sollte, doch in den meisten Fällen ist man es nicht, entscheidet nach innewohnenden Mustern, seinen Bauchgefühlen, die einen gewissen Wert haben, aber mehr auch nicht.
Im Sonnenmonat Mai, als alles frisch erblühte, leuchtete und strahlte, freute ich mich nun ganz besonders auf dieses neue Blind Date.
Man hatte gemailt, man hatte telefoniert und fand sich sympathisch oder zumindest nicht unsympathisch, und ein persönliches Treffen wurde geplant.
Ich badete lang und ausgiebig, erwog eine Ganzkörperrasur, die ich dann aber doch für etwas zu verfrüht hielt und unterließ. Ich kämmte und föhnte die Haare, legte Schminke auf und zog meinen besten Mantel an, der mich sehr chic und schlank aussehen ließ. Perfekt gestylt gefiel ich mir ausgesprochen gut, attraktiv, wie ein perfekter Stil einer perfekten Inszenierung.
Man hatte sich auf einer Wiese an einem Restaurant verabredet. Meine Blicke suchten den Herrn auf der weitläufigen großen Wiese, da er gesagt hatte, er brächte seinen Hund mit. Ich erspähte zunächst den Hund, ein überschwängliches Energiebündel, das mich sofort stürmisch begrüßte und an meinem sauberen Mantel hochsprang.
Der dazugehörige Herr war groß, breitschultrig, mit dünnen weichen Haaren, die flusig um seine beginnende Kopfkahlheit wehten.
Er trug eine uralte verbeulte Hose und eine schwarze Gummijacke, die wohl noch nie eine Reinigung gesehen hatte. Seine Schuhe waren voller Lehm.
Sehr verwundert, wenn nicht verärgert, dachte ich, so gestaltete sich also jetzt das Date, für das ich mich so schick gemacht hatte? Nach der Begrüßung fragte ich ihn : „ Willst du die Jacke nicht mal waschen?“ - „Nee“ entgegnete er „dann fällt sie ja auseinander.“
Eine zumindest selbstbewusste Schlampigkeit!
Wir setzten uns auf eine Bank. Ein junges Mädchen mit einem Kuchentablett kam vorbei. „Willst du mir nicht Kuchen abgeben?“ sprach er sie an. Zum Glück beachtete ihn das Mädchen nicht. Peinlich berührt sagte ich : „Die hält dich wohl für einen Penner.“
Wir machten einen Spaziergang quer durch das matschige Feld, meine Pumps versanken im Schlamm und auch der Hund nahm keine Rücksicht auf meine Garderobe.
Da hätte ich doch lieber gleich im Jogging Anzug mit Turnschuhen aufkreuzen sollen, was zumindest adäquat gewesen wäre.
Ein regelrechter Liebestöter, dachte ich, sich beim ersten Treffen so vergammelt zu präsentieren, trotz gutem Beruf und Eigenheim. Ich küsste ihn auf den Mund und ging, enttäuscht vom Herrn und Hund, dem Verlauf des Dates und einer sterbenden Hoffnung.
Doch brachte mich genau dieses Event in ein ausschweifendes Grübeln.
Der Versuch war es wert, festzustellen, in wieweit Schein und Sein zusammengingen und ich würde es jetzt auch einmal aud diese Weise ausprobieren. Mochte man mich, dann nicht wegen eines Scheins, einer Pose, eines Habitus.
Mit Turnschuhen und Jogginganzug begab ich mich zum nächsten Date. Der Herr mit Sakko, gebügeltem Hemd und Jeans war ebenso glatt gebügelt wie sein Hemd, glatt, eben, ohne Falten. Ich fand bei ihm keine Spalte, ihn zu spüren, sah nicht, wie er hinter der Maske war. Nach einem kurzen Treff hatte er auf einmal sehr viel „zu tun“ und verschwand, ehe ich ihn richtig wahrgenommen  hatte.
Vielleicht war eine verdreckte Jacke, ein wilder Hund, eine matschige Wiese doch wesentlich angenehmer und ehrlicher als solch ein Glattrasierter? Auch wenn ich zunächst gedacht hatte, der Herr mit Hund sei ein „Liebestöter“?

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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