Dr. Kai Rawe ist der neue Leiter des Stadtarchivs – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
Ein offenes Haus für alle Geschichtsinteressierten

Der Historiker Dr. Kai Rawe ist im Stadtarchiv ganz in seinem Element. | Foto: Molatta
  • Der Historiker Dr. Kai Rawe ist im Stadtarchiv ganz in seinem Element.
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„Seit dem 1. Dezember 2019 bin ich hier am Stadtarchiv“, erzählt Dr. Kai Rawe, der das Haus an der Wittener Straße, das auch das Zentrum für Stadtgeschichte beherbergt, als Nachfolger von Dr. Ingrid Wölk leitet, und fährt fort, „zurzeit bin ich noch dabei, das Haus und seine Mitarbeiter kennenzulernen.“

Rawe ist zwar im sauerländischen Altena geboren, kennt Bochum aber schon seit Langem, da er an der Ruhr-Universität studiert hat und seit nunmehr 25 Jahren hier wohnt. Im Fach Geschichte promovierte er bei Prof. Klaus Tenfelde über Zwangsarbeit im Bergbau während des Ersten Weltkriegs. Im Jahre 2008 wurde er Leiter des Mülheimer Stadtarchivs. Mit der Umwandlung des dortigen Archivs in das „Haus der Stadtgeschichte“ war nicht nur ein Wechsel in andere Räumlichkeiten, sondern auch eine Erweiterung der Aufgaben der Institution verbunden.
Kai Rawe gibt Einblick: „Das Mülheimer Haus der Stadtgeschichte ist mehr als ein bloßes Archiv – es hat den Anspruch, die ihm anvertrauten Dokumente zu erschließen und Wissen über die Stadtgeschichte zu vermitteln. Das Haus zeigt Ausstellungen und seine Bildungsarbeit richtet sich an Schulen und Geschichtsvereine, aber auch an alle anderen Interessierten. Ziel ist es, der Bevölkerung die Bestände des Archivs nahezubringen – auch durch niederschwellige Angebote.“
Das Kapitel Mülheim ist für Rawe nun abgeschlossen und in Bochum warten neue Aufgaben auf ihn. Der Wahl-Bochumer und Gesinnungsruhri, wie Rawe sich selbst nennt, hat keinesfalls vor, in seinem neuen Domizil nahe des Bochumer Hauptbahnhofs „alles auf links zu krempeln“. „Ich gehe mit positiver Neugier an die Sache heran und frage erst einmal die Mitarbeiter, die schon länger hier sind, wie die Arbeitsabläufe geregelt sind“, geht er gelassen an seine neue Aufgabe heran. Allerdings steht ihm eine Mammutaufgabe bevor: Im Jahre 2021 feiert Bochum sein 700-jähriges Stadtjubiläum. Doch erst einmal stehen die Alltagsaufgaben an.

Geschichte für jedermann

Auch in Bochum ist es Rawes erklärtes Ziel, ein „offenes Haus“ zu führen. „Unsere Kernaufgaben sind es, Dokumente zu überliefern, zu bewahren und zugänglich zu machen“, erklärt er, „und soweit gesetzliche Sperrfristen dem nicht entgegenstehen, kann jedermann Einsicht nehmen. Konservatorische Notwendigkeiten müssen dabei natürlich berücksichtigt werden. Unsere Zeitungsbestände sind allerdings mikroverfilmt, was die Benutzung erleichtert.“
Hemmschwellen abzubauen, ist Rawes Credo: „Vom Wissenschaftler über den Familienforscher bis hin zum Fußballfan, der die Ergebnisse seines Herzensvereins aus vergangenen Jahrzehnten recherchieren will, sind uns alle willkommen. Ich möchte das Stadtarchiv als Anlaufpunkt für alle Fragen der Stadtgeschichte im öffentlichen Bewusstsein verankern, ohne einen Alleinvertretungsanspruch geltend zu machen.“

Erinnerung wachhalten

Das Projekt „Stolpersteine“, das auch in Bochum an NS-Opfer erinnert, liegt Rawe sehr am Herzen: „Wir unterstützen nicht nur die Recherche, sondern laden auch die Stolperstein-Paten ein, ihre Forschungsergebnisse bei uns zu präsentieren. Das ist umso wichtiger, als kaum noch Zeitzeugen existieren. Wir brauchen die Erinnerung, um Handlungsperspektiven für die Gegenwart entwickeln zu können. Bis in die achtziger Jahre hat sich die Forschung zum Nationalsozialismus einseitig auf die Zentren der Bewegung wie Berlin, Nürnberg und München konzentriert. Aber auch an den Nationalsozialismus in Bochum müssen wir uns erinnern.“
Aber auch die „Freude an der Stadtgeschichte“ soll an der Wittener Straße ihren Platz haben, so Rawe: „Die Opel-Ausstellung war da ein positives Beispiel, an das wir anknüpfen können. Ich möchte durchaus auch unkonventionelle Wege gehen. Noch vor dem Stadtjubiläum planen wir eine Vortragsreihe zur Stadtgeschichte, die Spaß machen soll, ohne die gebotene Seriosität zu vernachlässigen. Auch unser Archivkino ist etwas ganz Besonderes: Seit Anfang der fünfziger Jahre wird in Bochum jedes Jahr ein Stadtfilm produziert – das gibt es sonst in Deutschland meines Wissens nicht. Diese Filme muss man natürlich zeigen. Das verstehe ich unter historischer Grundversorgung.“

Zeitgemäßes Ausstellungsprogramm

Die Dauerausstellung „Bochum – das fremde und das eigene“ soll einer gründlichen Revision unterzogen werden. „Sie ist mittlerweile zehn Jahre alt und wurde mehrfach umgestaltet“, blickt der neue Leiter des Stadtarchivs zurück und erklärt, „sie ist für Familienführungen ein wenig zu sperrig. Auch unseren Internet-Auftritt möchte ich neu gestalten.“
Aus Mülheim hat Rawe die Ausstellung „Die Reichskanzler der Weimarer Republik. Zwölf Lebensläufe in Bildern“ mitgebracht, die von der „Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ in Heidelberg konzipiert wurde. Die Verabschiedung der Weimarer Verfassung liegt mittlerweile 101 Jahre zurück. Philipp Scheidemann, Gustav Stresemann, Franz von Papen und Kurt von Schleicher sind Geschichtsinteressierten noch ein Begriff. „Aber wer kennt Reichskanzler Hermann Müller?“, fragt Kai Rawe rhetorisch und fährt fort, „die Kanzler waren zum Teil sehr jung. Ihre Lebensgeschichten werden anhand einer Fülle historischer Fotos anschaulich gemacht, die auch kulturgeschichtlich sehr interessant sind. Bei der Ausstellungseröffnung am 13. Februar gibt es auch ein musikalisches Rahmenprogramm: Es werden historische Schellackplatten aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gespielt.“

Infos
- Die Ausstellungen im Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, Wittener Straße 47, können dienstags, mittwochs, donnerstags und freitags jeweils von 10 bis 18 Uhr besucht werden. Samstags, sonntags und an Feiertagen sind sie von 11 bis 17 Uhr geöffnet.
- Die Ausstellung „Die Reichskanzler der Weimarer Republik. Zwölf Lebensläufe in Bildern“ wird am Donnerstag, 13. Februar, um 19 Uhr eröffnet. Sie ist bis zum 10. Mai zu sehen.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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