Ruhrtriennale 2014: Neither - die Anti-Oper

Neither, Jahrhunderthalle Bochum, 2014 | Foto: Ruhrtriennale, Foto Stephan Glagla, 2014
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Komponist und Schriftsteller sind sich einig - bloß keine Oper wie sie üblicherweise gespielt wird.
Morton Feldman, der amerikanische Komponist, fängt dann auch schon mal an, die Overtüre zu komponieren, obwohl er noch nicht weiß, um was es später gehen soll.
Samuel Beckett, der irische Schriftsteller liefert den Libretto-Text nach - genau 87 Worte Kurzprosa mit 9 Leerzeilen. Mach was daraus!

Entstanden ist eine Anti-Oper wie ein Gemälde des amerikanischen Expressionismus oder wie ein gesungener Film noir.

Rätselhaft, ohne erkennbare Handlungsstränge - alles ist irgendwie, oder auch anders, oder gar nicht : Neither / Weder.

Dabei ist alles vorhanden, was eine Oper ausmacht: Sopranistin, großes Orchester, Statisten, Technik-Effekte, Schauspieler und mitspielende Tiere.
Der italienische Regisseur Romeo Castellucci greift mit seinem rätselhaft dunklen und in Einzelszenen gegliederten Bühnenbild hervorragend das Thema auf: Neither/ Weder.

Gibt es nun das Familienexperiment mit Geigerzähler und der toten Katze oder lebt die Katze und nur der Plüschtieger liegt in der Kiste?
Sind die Möbel feststehend oder beweglich - mobil wie im Wort "Möbel" steckt?
Wird die Sängerin in der Wohnung verhaftet, weil sie die Katze getötet hat? Sie wurde falsch verdächtigt, die Katze lebt. Aber warum wird ihr Kind entführt - um wenige Takte später als dampfende Statue wieder aufzutauchen.
Mann-Frau-Kind sind in der heilen Eingangsszene versammelt. Später ändern sich die Beziehungen: Frau-Kind-Oma, Frau-Statue eines Kindes, Frau-Pferd (soll es für den Mann stehen?), Frau-Hund (der treue Gefährte?)... Deutungsmöglichkeiten, rästelhafte Verweise häufen sich.

Die Musik aus leise gewebten Klangteppichen ist von langgezogenen Vokaltönen der Sängerin durchdrungen. Alles überlagert sich wie die Muster im Nomadenteppich, der als Anregung gedient hatte. Zwölf Töne stehen mal einzel, mal als Intervall, mal alterieren sie und schaffen Komplexität durch die Wirklichkeit des Tons und seiner Reflexion.
Kann die Differenz in der Wahrnehmung gerettet werden oder ist sie der Verführung der Wiederholung erlegen?
Ein feines Gitter aus Takten legt sich über die langgezogenen, absichtlich unverständlich vorgetragenen Textpassagen. Die amerikanische Sopranistin Laura Aikin brilliert mit feinster klarer Stimme in den höchsten und pianissimo vorgetragenen Klangrätseln.

Romeo Castellucci greift die Idee des Schattens, des Zweifelhaften, des Gewebten und Unentschiedenen auf und transformiert sie in ein ebenso rätselhaftes Bühnenbild. Ein Scheinwerfer am Kran winkt wie ein ferner Mond durch das Hallendach und wirft unter Einbeziehung der vorhandenen Industriearchitektur gespenstische Schatten. Schließlich überfährt eine Dampflokomotive die Sängerin - Arbeitsunfall? Das Bein wird vor das Mikrofon gehalten, die Sängerin scheint nur noch stumm schreien zu können.
Leben - Tod, Selbst - Unselbst.
Das Individuum, das Unteilbare, ist nicht mehr unteilbar. Weder - noch hat sich aufgelöst. Der Kreis zur Eingangsszene schließt sich. Atomspaltung im Versuchskasten der heilen Familie.

Neither, die Anti-Oper, hinterfragt den Mythos von Erinnerung und Rettung, auf dem die traditionelle Oper ruht.
In der Erscheinung wie ein Film noir beeindruckt sie durch Musik, Gesang, Bühnen-Technik und alles verwebende Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit.
Eine Tragödie der Wahrnehmung: Ist es so, oder anders, oder überhaupt nicht? Neither / Weder bezogen auf Ort, Person, Geschehen.

Weitere Aufführungen des spannenden und hörenswerten Opern-Experiments am 14., 19. und 20. September 2014 in der Jahrhunderthalle Bochum.

Neither, Jahrhunderthalle Bochum, 2014 | Foto: Ruhrtriennale, Foto Stephan Glagla, 2014
Neither, Jahrhunderthalle Bochum, 2014 | Foto: Ruhrtriennale, Foto Stephan Glagla, 2014
Autor:

Dorothea Weissbach aus Oberhausen

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