Zerreißprobe im kreativen Liebesleid

Zerreißprobe
Der Wäscheschrank quoll über. Unter diversen Bettbezügen, die sicherlich noch tauglich waren, wenn ich mal ein Nachtlager für eine Kompanie errichten wollte, befand sich ein alter weißer Damast Bezug.
Was sollte ich damit?
Weder gab es hierzu ein passendes Kopfkissen, noch sah ich mich jemals geschmacklich in der Lage, ihn zu benutzen.
Ich brauche immer alte Lappen fürs Malen, um die spontane, durchaus temperamentvolle Angelegenheit wenigstens ein klein wenig unter Kontrolle zu halten. Also würde ich das Leinen zu passgerechten kleinen Lappen zerreißen und diese ordentlich gefaltet in meinen Künstlerutensilien verstauen. Ein paar kleine Schnitte mit der Schere, und mein Werk begann.
Wie immer in letzter Zeit musste ich an diesen Mann denken, der mich einfach nicht wollte, egal welche Kunststücke und Eskapaden ich mir auch hatte einfallen lassen.
Es waren so einige, kann ich Ihnen sagen.
Meine Stirn setzte sich in furchterregende Falten und ich begann, den Stoff zu zerreißen.
„Er liebt mich nicht!“ und – Ratsch – zerriss ich das erste Stück Stoff.
„Er liebt mich nicht!“ und – Ratsch – zerriss ich noch einfacher und gewaltiger das
Ratsch – Immer mehr, immer schneller entfachte sich das Reißen, je öfter ich an diesen niederschmetternden Satz dachte.
Der Berg an Lappen nahm schon immense Formen an und ich riss und riss und riss. Auf einmal, ganmz wie von alleine, nistete sich ein weiterer Gedanke in meiner Gehirnzentrale ein.
„Ich lieb ihn auch nicht!“ – Ratsch –
Der Ausspruch fühlte sich äußerst angenehm an und ich baute ihn weiter aus.
„Ich hab ihn sowieso nie geliebt.“ - Ratsch – „Was wollte ich denn mit dem!“ – Ratsch -
Die Arbeit begann, mir außerordentlich Spaß zu machen und ich schielte schon zum Schrank, ob sich nicht noch weitere Zerreißmöglichkeiten auftaten. Doch leider fand die energievolle Tätigkeit irgendwann ein Ende, wie eben alles mitunter ein Ende hat. Ich ordnete die Lappen minuziös mit einem kraftvollen Wurf in den Kunstkoffer.
Erledigt. Ich war frei. Sorglos. Ungezwungen.
Gut, dass es eine Nachbarin gab, bei der ich schellen konnte.
„Haben Sie eventuell noch alte Lumpen, die ich zerreißen kann?“
Sie sah mich ungläubig an, aber nach Klärung der Sachlage gab sie mir dann ein paar alte vergilbte Tischdecken. Ich hortete sie in meinem Schrank.
Nur für alle Fälle.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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