Der Albtraum auf dem Traumschiff

Das letzte Foto: Am Abend vor dem Unglück feierten Gerlinde und Werner Estermann ihre Goldene Hochzeit an Bord. Zur Feier gab es einen Kapitänsempfang - es war das erste und einzige Mal während der Reise, dass sie Kapitän Schettino sahen. Foto: privat | Foto: Foto: privat
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Gerther Ehepaar zählt zu den Geretteten der Costa Concordia

Wenn im TV die Bilder des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia auftauchen, wie es vor der italienischen Küste auf der Seite liegt, dann verlässt Gerlinde Estermann (70) schnell den Raum. Sie mag gar nicht hinschauen, zu frisch ist die Erinnerung. Denn die Bochumerin und ihr Ehemann Werner (70) gehören zu den Geretteten. Was ein ganz besonderes Erlebnis zu ihrer Goldhochzeit werden sollte, entwickelte sich zu einem Albtraum.

„Unsere Goldhochzeit haben wir uns anders vorgestellt“, sagt Werner Estermann. Anders als seine Frau hat er die langen, quälenden Stunden bis zur Rettung besser verarbeitet. Gabriele Estermann ist seither in psychologischer Behandlung. „Das schlimmste waren die Schreie der Kinder und alten Leute. Diese Schreie höre ich immer noch.“
Dabei hatte alles so schön begonnen. Die Reise „Westliches Mittelmeer“, schon die siebte Kreuzfahrt des Bochumer Ehepaares, sollte am nächsten Tag enden und die „Costa Concordia“ wieder in den Hafen von Savona einlaufen. „Wir hatten die Koffer schon gepackt und feierten mit Bekannten Abschied, als es plötzlich diesen Ruck gab und die ersten Gläser umfielen“, erinnert sich Gerlinde Estermann. Die Gertherin war sofort beunruhigt - ganz im Gegensatz zu ihrem Mann. Werner Estermann sah, dass sich das Schiff ganz in der Nähe des Festlandes befand - und konnte so seine Frau ein wenig beruhigen.
Doch plötzlich geriet das Schiff in Schräglage und die ersten Passagiere in Panik. Was dann folgt, dafür hat Gerlinde Estermann nur ein Wort: „Chaos“.
„Es gab Durchsagen, um uns zu beruhigen, doch als die ersten Flaschen aus den Regalen fielen, wurden auch die Angestellten nervös.“ Und: „Der Strom war ausgefallen, es war stockduster.“ Sie machten sich auf den Weg zu den Rettungsbooten. „13 Boote gab es auf jeder Seite. Zwei gingen nicht runter. In einem davon saßen wir.“
Inzwischen hatte sich das Schiff völlig auf die Seite gelegt. „In diesem Moment habe ich auch für zwei, drei Minuten gedacht, jetzt ist es aus“, berichtet Werner Estermann. „Aber ich habe mich wieder gefangen und gedacht: Alter, Du musst kämpfen, gestern haben wir noch Goldene Hochzeit auf dem Schiff gefeiert. Das darf nicht das Ende sein.“
Über eine schmale Leiter mussten alle wieder zurück aufs Schiff - schwierig und gefährlich. Inzwischen war es Viertel vor elf geworden. Was sie noch nicht ahnte: Es sollte noch bis halb 5 Uhr morgens dauern, bis sie das Schiff endlich verlassen konnten. Während der ganzen Zeit saßen sie dort, auf der Außenwand des gekenterten Luxusliners - zusammen mit knapp 300 anderen Passagieren. „Es war kalt, es war nass. Überall schrieen und weinten Leute.“ Auch Gerlinde Estermann verlor die Fassung: „Ich weinte, ich erstarrte, ich war am Ende.“ Über eine Jakobsleiter wurden die Passagiere schließlich gerettet. Einzeln mussten alle die Leiter hinab steigen. „Unten ging es fast senkrecht zum Kiel des Schiffes hinab. Dann musste man sich umdrehen und in das Rettungsboot der Küstenwache springen. Dort waren tapfere Männer, die jeden aufgefangen haben“, schildert Werner Estermann die Rettung. Besonders schwierig war die Aktion, weil das Rettungsboot nirgendwo am Schiff festmachen konnte. „Die Wellen haben es immer wieder vom Schiff weggetrieben.“
Auf einer kleinen Felseninsel wurden die Geretteten zuerst registriert, dann zum Festland gebracht. „Dort haben uns Einheimische empfangen, sie hatten Decken, Jacken und Pullovern für uns dabei. Das war sehr berührend - wir waren ja schließlich total ausgekühlt“, erzählt Gerlinde Estermann und ihre Augen schimmern immer noch feucht. „In einer Turnhalle konnten wir uns aufwärmen, dann wurden wir mit Bussen nach Savona gebracht, wo wir versorgt wurden, bevor es mit Bussen nach Hause ging.
Daheim machten sich derweil die Töchter größte Sorgen um ihre Eltern: „Wir hatten noch vom Schiff aus anrufen und unsere Lage schildern können. Dann war der Akku leer“, schildert die Gertherin. Untereinander tauschten die Geretteten auf der Rückfahrt die Handys, so dass die Lieben zuhause verständigt werden konnten. Am Sonntagmittag schließlich endete die Odyssee am Dortmunder Hauptbahnhof. „Dort haben uns alle Kinder und Enkelkinder empfangen. Es war ein minutenlanges Umarmen und Weinen. Und auch Zuhause wurden wir toll begrüßt - alle Nachbarn wussten ja schließlich, wo wir waren und haben um uns gebangt.“
Die Reederei hat jedem Geretteten inzwischen eine Entschädigung von 11.000 Euro angeboten - doch das Trauma, es wird Gerline Estermann noch lange begleiten. Ob sie je wieder auf ein Schiff steigen wird? „Natürlich. Aber ich werde eine Zeit brauchen.“

Das letzte Foto: Am Abend vor dem Unglück feierten Gerlinde und Werner Estermann ihre Goldene Hochzeit an Bord. Zur Feier gab es einen Kapitänsempfang - es war das erste und einzige Mal während der Reise, dass sie Kapitän Schettino sahen. Foto: privat | Foto: Foto: privat
Gerlinde Estermann      Foto: Vesper
Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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