Das Leiden an den bestehenden Verhältnissen: „Reise! Reiser!“ am Prinz Regent Theater spannt eine Brücke über die Zeiten

Sébastien Jacobi (stehend) und Christoph Iacono erforschen die Geschichte des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Gegebenheiten - und die Musik Rio Reisers. | Foto: Hupfeld
  • Sébastien Jacobi (stehend) und Christoph Iacono erforschen die Geschichte des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Gegebenheiten - und die Musik Rio Reisers.
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Das Prinz Regent Theater greift zur Eröffnung der Spielzeit 2018 / 2019 auf Bewährtes zurück: „Reise! Reiser!“ wurde 2011 in Frankfurt uraufgeführt. Das Stück verzahnt das Ringen um individuelle Emanzipation in repressiven Verhältnissen im späten 18. Jahrhundert mit dem Kampf um gesellschaftliche Veränderungen in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre und den politischen Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts.

Seit 2016 steht „Reise! Reiser!“ auf dem Spielplan des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken. Das Ganze ist nicht leicht einzuordnen, lässt sich vielleicht am ehesten als revueartiges Musiktheater mit dezidiert politischem Impetus beschreiben.
Wie der Titel schon vermuten lässt, spielen Rio Reiser und seine Musik eine wesentliche Rolle in „Reise! Reiser!“. Dabei konterkarieren die beiden Akteure des Abends, Sébastien Jacobi und Christoph Iacono, die mittlerweile überhandnehmende Heldenverehrung, die dem Sänger und Songschreiber entgegengebracht wird, indem sie ins Gedächtnis rufen, wie halsbrecherisch manche seiner Texte gereimt sind. Hört man die Originale, fällt das kaum auf, weil Rio Reiser vielleicht nicht besonders schön, aber mit unerreichter „Kraft und Macht“ singt, wie Blixa Bargeld es einmal auf den Punkt gebracht hat. Regisseur Jacobi und Arrangeur Iacono, die „Reise! Reiser!“ selbst auf der Bühne umsetzen, können da nicht mithalten, kompensieren das aber mit viel Witz und Charme.

Romanhandlung als Korsett

Das Korsett des Abends bildet die Handlung jenes Romans, nach dem Rio Reiser, 1950 als Ralph Möbius geboren, sich benannt hat: Karl Philipp Moritz' „Anton Reiser“. In dem Roman geht es darum, wie ein junger Mann sich bemüht, der repressiven kleinbürgerlichen Welt seines Vaters zu entfliehen. Er flüchtet sich in eine Phantasiewelt und verliert mehr und mehr den Bezug zur Realität. Seine intellektuellen und künstlerischen Ambitionen versucht er, beim Theater auszuleben – Schauspiel hat auch Rio Reiser, immerhin Träger des Filmbandes in Gold, zeitlebens fasziniert.
Am Ende von „Reise! Reiser!“ werden das Scheitern Anton Reisers und der frühe Tod Rio Reisers, der sich – vielleicht zu griffig – als Scheitern beim Versuch, sich mit der herrschenden Ordnung zu arrangieren, verstehen lässt, verschmolzen.
Die Frage, ob sich Rio Reiser und seine Band „Ton Steine Scherben“ zu Beginn der siebziger Jahre klarer vom aufkommenden Linksterrorismus hätten abgrenzen müssen, klingt in diesem facettenreichen Stück ebenfalls an. Was den Gebrauch revolutionärer Gewalt betrifft, bleibt auch „Der kommende Aufstand“, jener berühmte linkspolitische Essay, der 2007 in französischer Sprache erschien und starken Widerhall fand, zweideutig. Er lotet Möglichkeit und Notwendigkeit einer zukünftigen Erhebung gegen die bestehende Ordnung aus.
Auch diesen Text greifen die Macher von „Reise! Reiser!“ auf – und schlagen damit einen Bogen über die Zeiten: inspirierend und originell.

Termin
Das Gastspiel „Reise! Reiser!“ ist am Samstag, 6. Oktober, um 20 Uhr zum zweiten und letzten Mal im Prinz Regent Theater, Prinz-Regent-Straße 50-60, zu sehen.
Reservierung unter E-Mail:  info@prinzregenttheater.de oder Tel.:  77 11 17.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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