Gesetz in Schieflage? Kein Gefängnis für Herner Lehrer

Das Gefängnis wird er nicht von innen sehen, auch ein Berufsverbot wurde nicht verhängt. Zwei Jahre Haft auf Bewährung lautete das Urteil des Bochumer Landgerichts im Fall des Herner Lehrers, der zwischen dem 22.10.10 und dem 04.03.11 eine seinerzeit 14-jährige Schülerin als Schulsanitäter ausbildete und deren Vertrauen und Zuneigung für sexuelle Handlungen ausnutzte. Drei Jahre und drei Monate Haft hatte die Staatsanwaltschaft gefordert. Die WAZ berichtete am 01.09. und 06.09.11.

Es mutet wie ein Schmeichel-Urteil an, für den sexuellen Missbrauch einer Jugendlichen, deren Vertrauen erschlichen worden ist, unter Auflage der Zahlung von 5.000,- € Schmerzensgeld Bewährung zu verhängen.
Eine Rechtsprechung in einem besonders verwerflichen Fall, das den Bürger, der mit dem Opfer leidet, ratlos und fassungslos zurück lässt.
„Justitia, bitte leih' mir Deine Augenbinde, damit ich dieses Urteil auch verstehen kann“, so in etwa lauteten unlängst die Worte eines Lesers der WAZ, dessen Namen ich mir leider nicht behalten habe. Er trifft damit den Kernpunkt des Empfindens vieler Menschen, die deutsche Rechtssprechung so oft nicht nachvollziehen können.

§ 174 StGB regelt den sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen. Darin heisst es bezogen auf den vorliegenden Fall in Abs.1: "Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist ...
unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit ... vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft." Bereits der Versuch ist strafbar.
In Abs. 4 heisst es, das Gericht könne von einer Bestrafung nach der zitierten Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist.

Die Anwältin des Opfers hatte in der Verhandlung am 31.08.11 keine konkrete Strafe gefordert. Sie werde sich gegen eine Bewährungsstrafe nicht sperren, berichtete die WAZ.
Die Tatsache, dass die Mutter des Opfers bei der Urteilsverkündung am 05.09. aufgebracht mit einem „derben Spruch“ (WAZ) den Saal verließ, wirft ein unklares Bild auf das Verhältnis von Opferanwalt und Mandant, lässt an mangelnde Absprache und Aufklärung bezüglich der möglichen Forderung nach einem angemessenen Strafmaß denken und am Auftrag eines Anwalts zweifeln, seinen Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen.

Der Ehemann der Anwältin ist ihren eigenen offenen Angaben zufolge Studiendirektor. Sie wird folglich wissen, dass das Urteil auch ohne Gefängnisstrafe und Berufsverbot die berufliche Laufbahn des Angeklagten beeinträchtigen wird, da er mit dem Urteil vorbestraft ist.
Ganz abgesehen vom psychischen Erleben, das auch den Täter nach der Einsicht seiner Tat oft genug belastet und ihn nach diesem Urteil nicht „frei“ sein lässt, wie mancher zunächst denken mag.

Wenn der Trieb stärker ist, als das Wissen, einem anderen Unrecht anzutun und Schaden zuzufügen, ist dringender Behandlungsbedarf gegeben. Der Verurteilte müsse eine Therapie machen, berichtete die WAZ. Auch die mittlerweile 15-jährige Schülerin nehme eine Therapie in Anspruch.
Es steht zu hoffen, dass sie mit ihren erlittenen psychischen Verletzungen umzugehen lernt und in der Lage ist, in eine neue Beziehung zu finden, die sie unbelastet von Erinnerungen leben und erleben kann. Manchmal hilft es auch bereits, den Täter vor Gericht zu wissen.

Der Hinweis auf die psychotherapeutische Behandlung mag das Gemüt des Lesers zunächst dahingehend besänftigen, dass dem Opfer Hilfe zur Seite steht und der Täter sich „kurieren“ muss. Eine Psychotherapie ist jedoch nicht grundsätzlich Garantie für die Bewältigung des Leidens und einer zu behandelnden Störung.
Die an manche Urteilsverkündung geknüpfte Auflage der Durchführung einer Therapie erscheint manchmal wie ein Alibi, an das Hoffnungen geknüpft werden, die sich nicht immer auch erfüllen. Der eine oder andere Sexualstraftäter hat Rückfälle erlitten. Eine Therapie kann wirksam sein und gute Resultate erzielen. Im Extremfall kann sie jedoch auch schädigen und ins Gegenteil verschlagen.

Beherrscht ein Therapeut sein Handwerk nicht oder zeigt das gewählte Therapieverfahren keine Wirkung, bleibt das Opfer einer Straftat am Ende der Behandlung mit den aufgewühlten Erlebnissen wieder sich selber überlassen. Und dann? Hoffen wir das beste für das junge Mädchen. Ich persönlich wünsche ihm viel Glück auf dem Weg der Bewältigung seines Erlebens.

Am kommenden Donnerstag und Freitag, 08.und 09.09.11, wird ein weiterer Fall sexuellen Missbrauchs verhandelt. Der heute 26-jährige Angeklagte soll als 15-Jähriger eine damals 11- oder 12-Jährige missbraucht haben. Auf das Urteil darf man sehr gespannt sein.

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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