Franzosenliebchen - Historischer Ruhrgebietskrimi von Jan Zweyer

Weimarer Republik, Januar 1923, Herne - mitten im Ruhrgebiet:
Nachdem das Ruhrgebiet wegen nicht erbrachter Reparationsleistungen durch die französische Armee besetzt wurde, ist nichts mehr, wie es war. Bergwerke werden unter Aufsicht der Soldaten gestellt, die Gerichtsbarkeit und Polizei untersteht plötzlich auch nicht mehr der deutschen Verwaltung allein. Und dann wird auch noch eine junge Frau, Anna Trepmann, auf dem Heimweg von ihrem Arbeitsplatz in einer Herner Arbeitersiedlung ermordet.

Als ganz in der Nähe der Leiche ein französisches Armeekoppel aufgefunden wird, ist für die Herner Nachbarschaft der Toten in der Arbeitersiedlung, aber auch für die deutschen Polizisten vor Ort schnell die Täterschaft französischer Soldaten bewiesen. Doch das neuerdings zuständige französische Militärgericht spricht die in Verdacht geratenen Männer frei. Empörung macht sich breit, nationalistische Gesinnung ist bei den Arbeitern gefragt, und die machtlose deutsche Polizei will diese offenbare Ungerechtigkeit nicht hinnehmen. Ein solcher Vorgang erweckt daher das Interesse der obersten Polizeibehörde im fernen Berlin. Dort will man heimlich Beweise für eine französische Willkürhandlung im besetzten Gebiet sammeln, um politisch Druck auf die Besatzer ausüben zu können.

Daher wird mit Peter Goldstein ein junger Polizist, der aufgrund seiner elsäßischen Wurzeln fließend Französisch spricht, mit dem gefährlichen und geheimen Auftrag nach Herne entsandt. Er soll den wahren Mörder entlarven und überführen. Dies ist schwierig, da seine Tarnung als Händler für Metallwaren schnell durchschaut wird und auch die Besatzer Wind vom seinem Spinoageauftrag bekommen. Auf sich allein gestellt, erkundet Peter Goldstein sowohl die einfachen Arbeiter und Kumpel, die in der Arbeitersiedlung nahe des Tatorts leben, lernt aber auch französische Soldaten kennen, was wiederum nationalistische Widerstandskämpfer auf den Plan ruft. Auf dem Weg zur Wahrheit bekommt er Kontakt mit dem aufkommenden Faschismus, einzelnen ersten Nazigruppen, aber auch mit den einfachen Menschen und insbesondere mit der Ruhrpottfamilie Treppmann. Nach einigen falschen Fährten und Spuren mußt der Komissar schließlich erkennen, dass er zwar den wahren Mörder mit der Wahrheit konfrontieren kann, aber aus politischen Gründen kein anderer die Wahrheit bestätigen will und alles unter den Teppich gekehrt wird. Damit muß er fortan leben und entscheidet sich dafür, die Befehle "von oben" anzunehmen und sich nicht dagegen aufzulehnen.

Ich fand das Buch sowohl unterhaltsam als auch lehrreich, da es eine selten beleuchtete Facette der Geschichte des Ruhrgebiets beleuchtet: die Besatzungszeit durch die Franzosen 1923. Der hier geschilderte aufkommende Faschismus mit seinen Seilschaften und Vetternwirtschaft schafft neben der eigentlichen Krimihandlung zusätzlich noch eine beklemmende Atmosphäre.
Die Charaktere sind meist sehr autentisch, die Persönlichkeiten greifbar. Kommisar Goldstein ist allerdings durchaus fehlbar und nicht gerade ein Sympathieträger, wirkt aber sehr glaubhaft. Sehr genau und kenntnisreich wird das Leben in der Arbeitersiedlung am Bergwerk beschrieben, die Familie Treppmann mit ihren Ängsten und Sorgen wird sehr detailiert geschildert. Die Krimihandlung ist sehr lange mit viel Spannung angelegt, viele falsche heiße Spuren sorgen für Nervenkitzel. Alles in Allem kann ich das Buch empfehlen.

"Franzosenliebchen" von Jan Zweyer, erschienen im grafit- Verlag, 416 Seiten. ISBN 3-89425-605-2.

Autor:

Kerstin Winterberg aus Castrop-Rauxel

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