Der Mann

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Die nachdenkliche und sorgenvolle Miene des Mannes war selbst für nicht sehr emphatische Zeitgenossen unübersehbar. Mit großen, weit ausholenden Schritten stapfte er durch die beginnende Dunkelheit, welche sich wie ein graues Tuch über die Landschaft senkte. Zu allem Übel hatte es auch noch angefangen zu regnen. Zuerst nur ein leichtes Nieseln, doch nun mischten sich schon größere Tropfen unter die nebelartige Konsistenz. Ein Blick zum Himmel ließ nichts Gutes ahnen. Schwere graue Wolken zogen sich zusammen und ließen die Stimmung unseres Mannes noch weiter sinken.

‚Ein Schirm wäre nicht schlecht’ dachte er. Da er mittlerweile die belebte Innenstadt erreicht hatte, kaufte er sich einen handlichen, kleinen Taschenschirm.
Als er aus dem Laden trat, wusste er nicht wohin er sich wenden sollte. Der Wind hatte extrem zugenommen und peitschte ihm den Regen vor die Füße.
Er spannte seinen Schirm auf und ging erst einmal nach rechts, doch genauso gut hätte er nach links gehen können, da er sich momentan recht orientierungslos fühlte. Mit zögerlichen Schritten ging er an einer kleinen, weißen Kirche vorbei, ohne ein konkretes Ziel vor Augen zu haben.

Ein von außen einladendes Lokal zog ihn magisch an. Erst jetzt merkte er, wie hungrig er war. Mit neuem Elan öffnete er die Tür.
Sofort schlug ihm ein Schwall warmer, abgestandener Luft entgegen. Ob er sich hier wohl fühlen würde? Er bezweifelte es stark.
An der Theke waren noch genug freie Plätze. Er steuerte schon auf einen der Barhocker zu, als ihm einfiel, dass er ja eigentlich wegen des Essens gekommen war. Doch plötzlich hatte er gar keinen Appetit mehr.
Ein kühles Blondes, das war es, wonach ihm jetzt der Sinn stand.
Gedacht, getan. Wie das zischte. Herrlich. Er fühlte sich entspannt und erstaunlich gut.
Doch nach dem zweiten Bier fiel ihm wieder sein Elend ein. Der bekümmerte Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht zurück. Er zahlte und ging.

Der Regen hatte nicht nachgelassen, sondern eher noch an Intensität zugenommen.
Wo sollte er hin? Er wusste es nicht. Die Geschäfte hatten mittlerweile alle geschlossen und wie viele Schirme sollte er kaufen?
Die Einsamkeit erfasste seinen ganzen Körper. Ihm wurde kalt.
Nach Hause? Es hatte keinen Zweck. In die nächste Kneipe? Um noch mal das Gleiche zu erleben?
Doch irgendetwas musste er machen. Wer will schon draußen erfrieren oder sich im günstigsten Falle eine Lungenentzündung holen?
Immer in Bewegung bleiben. Seine Füße setzten sich von ganz alleine in Richtung Stadtpark.
Inzwischen hatte der Regen eine kleine Verschnaufpause eingelegt.

Der Weiher des Parks lag gespenstisch ruhig in der Dunkelheit.
‚Was mache ich eigentlich hier’? dachte er.
„Ich bin gerade im Begriff die Enten zu füttern“ flüsterte er.
‚Im Dunklen? Nein!!! Das konnte nicht wahr sein.’
So tief durfte er auf keinen Fall sinken.
Seine Schritte wurden immer langsamer und schlurfender, als er den Park verließ.

Er schaute zweifelnd auf seine Armbanduhr. Sollte er es wagen, war es nicht noch viel zu früh?
Der Regen setzte wieder ein und sein Entschluss stand fest. Zielstrebig bog er in die nächste Gasse ein und stand nach wenigen Schritten vor einem alten, sehr schön restaurierten Gebäude.
Duplizität der Ereignisse. Auch hier schlug ihm warme und abgestandene Luft nach dem Öffnen der Türe entgegen. Doch er hatte sein Ziel erreicht.

Sie war da. Zwar noch im Mantel, aber immerhin. Seit dem Beginn Ihrer langjährigen Beziehung kam seine Freundin zu spät.
Er schluckte seinen Ärger herunter, der sich unweigerlich in ihm ausbreitete. Durch ihre Unpünktlichkeit wurde er dazu gezwungen, regelmäßig mindestens zwei Stunden auf sie zu warten. Doch was sollte er ihr immer wieder erzählen, wie es ihm in dieser Zeit ergangen war. Sie wusste es.

Es wurde noch ein schöner Abend, ein sehr schöner. Als sie beide das Lokal verließen, schaute der Mann noch einmal zurück und sah seinen Schirm auf dem schon abgeräumten Tisch liegen.
Er ging weiter. ‚Wozu brauche ich einen Schirm?’
‚Vielleicht kommt sie ja nächstes Mal pünktlich.’ Er seufzte.

© pefito

Autor:

Petra Tollkoetter aus Dinslaken

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