Mit den Spessarträubern ist nicht zu Spaßen
Überfall

Überfall der Spessarträuber
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Erst war es der Räuber Hotzenplotz und Robin Hood, die mich als Kind begeisterten.

Später war es der Spessart als Mittelgebirge zwischen Vogelsberg, Rhön und Odenwald in Bayern und Hessen, der mich mit seinen Räubergeschichten faszinierte und meine Kreativität beflügelte.

Schuld daran waren meine Eltern, welche mir eines Tages eine Langspielplatte mit dem Hörspiel „Das Wirtshaus im Spessart“ schenkten und mit mir Ausflüge in den Spessart unternahmen.

Ich liebte die Räubergeschichten rund um den Räuberhauptmann Schinderhannes und seiner Räuberbande im Hunsrück zur Zeit der napoleonischen Besatzung, sowie die Geschichten rund um die Spessarträuber mit ihrem Räuberhauptmann.

Aber nicht nur ich, sondern viele andere Menschen sind heute noch vom waldreichen, sagenumwobenen Spessart beeindruckt und erliegen seiner magischen Ausstrahlung.

Kein Wunder: Der geschichtliche Hintergrund des Grimmschen Märchens von Schneewittchen ist im Spessart angesiedelt. Viele Märchen und Sagen finden nicht zufällig im Spessart statt.

Zwischen 1801 und 1806 waren die Räuber im Spessart mit ihrem Unwesen auf dem Höhepunkt.

Auch der im November 1802 in Stuttgart geborene Schriftsteller Wilhelm Hauff wurde vom Spessart und seinen Räubern inspiriert und magisch angezogen. Neben dem Schreiben von Märchen verfasste er 1826 die Novelle „Das Wirtshaus im Spessart“. Auf einer Reise von Nördlingen nach Frankfurt soll Wilhelm Hauff in einem Gasthof „Alte Post“ in Mespelbrunn übernachtet und hier die Grundlage für seine Erzählung geschaffen haben.

Zweimal wurde das Wirtshaus im Spessart verfilmt, 1923 und 1957 mit Regisseur Kurt Hoffmann.

Mit Liselotte Pulver in der Hauptrolle wurde der Film zu einem großen Erfolg in Deutschland der 50er Jahre.

Ich liebe diesen Film und schaue ihn mir mindestens einmal jährlich an.

Noch heute pilgern die Menschen zu dem heute noch sehr gut erhaltenen Drehort am und im Schloss Mespelbrunn, einem mystischen, sagenumwobenen Ort, an dem zufälligerweise Wilhelm Hauff im Jahre 1826 ganz in der Nähe des Schlosses die Idee zu seiner Novelle hatte.

Aber was ist bis heute aus den Spessarträubern geworden?

Angeblich sollen sie immer noch ihr Unwesen in den Wäldern des Spessarts treiben und Schrecken verbreiten.

Von dem Gerücht wollte ich mich bei einem Besuch im Spessart selbst überzeugen.

Also wanderte ich am Samstag, dem 17.09.2022 von Mespelbrunn durch den Wald zur Waldgaststätte Hohe Warte. Es regnete an diesem Vormittag in Strömen, aber der dichte Laubwald schützte mich etwas vor dem Regen. Einige hundert Meter von meinem Ziel hörte ich plötzlich Schreie und einen Schuss.

Auf einem Parkplatz mitten im Wald stand ganz alleine ein Reisebus, umringt von finster aussehenden und als Räuber gewandeten Menschen, ausgerüstet mit Gewehren, Pistolen und Messern.

Ich traute meinen Augen kaum und versteckte mich hinter einem Baum.

War ich plötzlich in einer anderen Zeit gelandet? Wurde ich Zeuge eines Verbrechens?

Vor dem Bus lag ein Baumstamm, so dass der Busfahrer nicht weiterfahren konnte.
Die Räuber rissen die Bustüren auf und brüllten „Überfall, alle aussteigen, aber schnell und ZACK, ZACK.“

Während die Businsassen aus Wiesbaden folgsam den Bus verließen, blieb der Busfahrer im Bus sitzen und wählte mit seinem Mobiltelefon verzweifelt immer wieder den Notruf. Vergebens, hier im Wald war ein Funkloch. Kein Empfang. Keine Verbindung. Kein Netz.

Die Räuber hatten sich diese Stelle für ihren Überfall aus dem Hinterhalt nicht ohne Grund ausgewählt, damit ihnen ihre Beute erfolgreich ins Netz geht.

Einige der Businsassen erwiesen sich als besonders aufmüpfig, als sie aufgefordert wurden, ihre Wertsachen herauszugeben. Es erfolgte umgehend eine Bestrafung mit Halseisen und Armfesseln. Die Räuber erwiesen sich als nicht zimperlich bei ihrer Vorgehensweise. Die Menschen wurden von den Räubern befragt und mit dem Aufknüpfen an einem der nächsten Bäume bedroht. Das sorgt für Hohn und Spott bei den Räubern, als die Gefangenen um ihr Leben bettelten und Geheimnisse preisgaben.

Aber was tun? Ich entschloss mich, den gefangenen Businsassen zu helfen, näherte mich der Gruppe und fotografiere das Geschehen mit meinem Mobiltelefon. Schließlich benötige ich ja ausreichend Beweismaterial zur späteren Verwendung bei der Polizei.

Das gefiel der Räuberbande überhaupt nicht und sie drohten mir mit ihren Waffen, als sie mich entdeckten.

Doch was passierte jetzt?

Die Räuber lachten plötzlich laut und spendierten den überfallenen Opfern einen wohlschmeckenden Räuberschnaps. Der Überfall entpuppte sich als inszenierter Überfall auf Bestellung. Plötzlich sangen die Räuber Lieder und die noch eben verängstigten Gäste sangen und schunkeln fröhlich mit. So manches Lied kam mir da mehr als bekannt vor aus dem Film „Das Wirtshaus im Spessart“.

So manch einer der Räuber erinnerte mich an die Räuber Knoll und Räuber Funzel aus dem lustigen, berühmten Film von 1958. Nur eine Liselotte Pulver als Franziska Comtesse von und zu Sandau vermisste ich jetzt etwas.

Apfelwein wurde von den Räubern gereicht und so manch einer trankt dieses sehr säuerlich schmeckende Gebräu zügig in einem Zug hinunter. Man wollte damit bloß nicht bei den Räubern in Missgunst fallen und trank den Apfelwein wie angeraten.

Als sich die Situation entspannte, stellte sich Räuberhauptmann Günther Köstler mir und den Anwesenden als Laienschauspieler der Spessartbühne/Mespelbrunner Spessarträuber vor.

Ich war erleichtert.

Es war also nur ein Überfall auf Bestellung.

Die Räuberschar organisiert seit vielen Jahren über Hundert Überfälle pro Jahr.

„Wir sind käufliche Räuber“, so Günther Köstler, ein ehrlicher Bürger aus Mespelbrunn. „Fast zwei Jahre konnten wir aufgrund Corona keine Überfälle auf Reisegruppen, Wanderer, Firmengruppen organisieren, denn es kamen ja keine Gäste. Nun können wir endlich wieder unserer Leidenschaft als Räuber nachgehen. Ich hoffe sehr, dass wir eines Tages wieder unser Stück Das Wirtshaus im Spessart vor dem Schloss Mespelbrunn wieder aufführen können. Gerade der Film von 1958 ist uns Spessarträubern ein großes Vorbild".

Nach 45 Minuten verschwanden die Räuber wieder im dunklen Wald, während die Busgruppe aus Wiesbaden munter und erleichtert den Heimweg antrat.

Dann stand ich alleine auf dem Parkplatz mitten im Wald.

Aus der Ferne hörte ich die Spessarträuber noch fröhlich singen: „Ach könnte das schön sein, als ehrlicher Bürger“.

Bis zum nächsten Überfall.

Informationen zu den Überfällen gibt es bei Räuberhauptmann Günther Köstler unter Tel.: 0171 – 780 90 83.

Autor:

Andreas Vogt aus Düsseldorf

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