Bernd Rademacher dienstältester Schauspieler am Schauspielhaus Bochum:
Ohne Spaß geht’s nicht!

Schauspieler Bernd Rademacher hat 6 von insgesamt 11 Bochumer Intendanten seit Schauspielhaus-Gründung 1919 erlebt. Pressefoto Schauspielhaus Bochum.
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  • Schauspieler Bernd Rademacher hat 6 von insgesamt 11 Bochumer Intendanten seit Schauspielhaus-Gründung 1919 erlebt. Pressefoto Schauspielhaus Bochum.
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Von Peymann, Simons und anderen Theater-Wundertieren:

Bochum. Dienstältester Schauspieler, was heißt das in diesem Beruf? Bernd Rademacher hat als Ensemble-Mitglied des Schauspielhauses Bochum inzwischen unter sage und schreibe sechs, sehr unterschiedlichen Intendanten gearbeitet. Das sind, bei insgesamt nur elf Intendanten seit Gründung 1919, einer mehr als die Hälfte aller Chefs, die hier je gewirkt haben. Grund genug für ein Gespräch im 100. Geburtstagsjahr dieses Theaters.

Der Vollblutschauspieler Bernd Rademacher ist zur Zeit unter anderem in Johan Simons´“Hamlet“-Inszenierung als Ophelias Vater Polonius in abgründig-trockener Hochform, mit der einzigartigen Sandra Hüller in der männlichen Titelrolle zu sehen. Außer seinem Staatsrat Polonius sind hier alle ein bisschen „lunatic“ / mondsüchtig überdreht. So wie die großartige Gina Haller, die hier zwischen neurotisch-komisch und überaktiv bis tödlich verzweifelt als Ophelia gegen Hüllers Hammer-Hamlet eine eigene Form gefunden hat, die trägt. Manchmal zieht der große weiße Mond in einem Riesen-Mobile von einer schwebenden Kupfer-Wand gegenüber (in der sich auch Figuren schon mal geisterhaft spiegeln) in der Balance gehalten, über einem eis-weißen „Playground“ seine Kreise. Trauer, Liebe, Hass, Selbstmord, Mord, Totschlag und das Erkennen tiefer menschlicher Abgründe wirken lange nach. Die Ausnahme-Inszenierung (die Süddeutsche Zeitung schrieb überwältigt schlicht: „Diesen Hamlet muss man gesehen haben!“) ist bis zum Ende der Spielzeit restlos ausverkauft. Der Vorverkauf für die nächste Spielzeit ab Oktober beginnt daher schon jetzt am 4. Juli!

Bernd Rademacher ist eigener Einschätzung nach von Natur aus eigentlich kein Schwärmer:

Geboren in Gelsenkirchen, früh verzogen nach Recklinghausen, wo die Eltern ein Häuschen bauen konnten, Otto-Hahn-Gymnasium Herne - und natürlich mit der Schule ins Schauspielhaus nach Bochum Theatergucken gefahren! Aus Herne, wie schon sein großer Ensemble-Vorgänger Ernst Schröder Jahrzehnte zuvor. Wann genau sich der junge Bernd mit dem Theatervirus infiziert hat, kann er im Rückblick nicht mehr genau sagen. Wahrscheinlich schon als Abiturient. Da war er Statist in der Peter-Zadek-Inszenierung „Die Möwe“ hier, mit Rosel Zech als Nina und Lola Müthel als Arkadina. Die Zuschauer saßen für die Kamera sichtbar mitten im Geschehen und mussten bei allen Einstellungen dieselben sein... Der WDR zeichnete deswegen mehrere Tage im Schauspielhaus auf, um alle Blickwinkel einfangen zu können. Bühne: der berühmte Wilfried Minks.

Wenn Rademacher von den aktuellen Proben und Vorstellungen erzählt, kommt er aber doch ein bisschen ins Schwärmen:

Jeden morgen Fitness-Training: “Der Johan ist wirklich fit. Der leitet selber das Training oder nimmt teil. Und es gibt keinen Tag, wo wir nicht alle mal herzlich lachen. Er weiß bei seinem Bemühen, Bochum wieder zu einer der ersten Theateradressen in Deutschland zu machen: Ohne Lachen, ohne Spaß geht`s nicht! Es macht wirklich Freude in diesem Ensemble zu spielen. Schon Tage vor den Vorstellungen schicken wir uns gegenseitig SMS.“

Der „Dienstälteste“ genießt die Proben mit den Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt und mit solchen „Wundertieren“ wie Sandra Hüller: „Die ihre Bodenhaftung aber nicht verloren hat und ganz im Gegenteil - einfach eine wunderbare Kollegin ist. Es gibt Regisseure, die glauben, man muss Schauspieler quälen, um etwas aus ihnen rauszuholen. Die spielen Spielchen und haben Vergnügen an der Macht. Das ist albern und unnötig und hat nichts mit unsrer Kunst zu tun. Viel mehr holst Du aus den Leuten raus, wenn sie Dich lieben! Da ist einer, wie der Johan, der seine Leute liebt, ein richtiges Glück!“. Für Ensemble und Zuschauer, möchte man ergänzen.

Auch in „Iphigenie“, Regie von Dušan David Parizek, ist ein überzeugender und emotional berührender Bernd Rademacher präsent und prägend:

Und z.B. als mykenische Königin Klytämnestra zu sehen. Seine Interpretation des mal grade zweitausendfünfhundert Jahre alten Textes von Euripides „erwischt“ auch die heutigen Zuschauer vollends. Im klassischen Griechenland wurden schließlich alle Rollen von Männern gespielt. In Parizeks Inszenierung ist die traditionelle Geschlechter-Rollen-Aufteilung schlicht egal geworden: Bernd Rademacher verkörpert die, vom eigenen Ehemann und Vater ihrer Tochter Iphigenie getäuschte, unter dem Vorwand einer Heirat der Tochter mit Griechenlands größtem Helden Archilles in den Hafen von Aulis gelockten Mutter. Die fassungslos realisiert, dass ihre Tochter „den Göttern“ nur für günstigen Wind für die Kriegsschiffe nach Troja geopfert werden soll ... Damals wie heute möchte bei Rademachers Spiel manch Zuschauer/in „Geht´s noch?“ schreien - und ist mitten drin im Wahnsinn des Krieges und seiner tödlichen Eigen-Dynamik: Logik und Vernunft sind ausgeknockt – haben hierbei nie existiert. Und ist das hoch aktuell? Wenn man es richtig spielt.

Teil der Deutschen Theatergeschichte:

Das Schauspielhaus Bochum hat mit seinen unterschiedlichen Intendanten-Persönlichkeiten und spektakulären Inszenierungen unzweifelhaft deutsche Theatergeschichte geschrieben. Als Zadeks „Hamlet“ (in einer Werkshalle in Bochum-Hamme) klemmte sich Ulrich Wildgruber die barbusige Ilse Ritter untern Arm. Als abfärbender schwarzgeschminkter „Othello“ warf er Eva Mattes als erwürgte Desdemona über eine Wäscheleine.

Es sind aber auch die kleinen zu diesem Theater gehörenden Geschichten,wie das „Hausverbot für Hunde“ unter dem langjährigen Intendanten Schalla, die nicht vergessen werden sollten:

Würde es heute noch existieren, Bernd Rademacher hätte Probleme „als Single mit Hund“. Seinerzeit hatte zuvor nur eine Kollegin einen Hund. Und als einmal „ein kleiner See“ ausgerechnet vor dem Intendanten-Büro - wohl von diesem als deutlicher Kommentar zu seiner Autorität verstanden - aufgefallen war, fiel der Verdacht natürlich sofort auf dieses vierbeinige Ensemble-Mitglied. Schalla gab kein Pardon: Absolutes Hunde-Hausverbot! Hinterher kam raus, dass es gar nicht der guterzogene Vierbeiner gewesen war. Ein gekündigter Zweibeiner hatte sich zum Ensemble-Abschied „gerächt“. Da ist es Jahrzehnte später doch ganz gut, dass Intendant Johan Simons selbst einen Theaterhund hat und „die Coco“ auch mal mitbringt. Der Loukas vom Bernd versteht sich gut mit Coco - von Theaterhund zu Theaterhund, versteht sich.

Hier beim Gespräch in der „Aubergine“, keine 100 Gassi-Schritte vom Bühneneingang, Ecke Pieperstraße hat Loukas seine persönliche Decke und wird heimlich mit Leckerchen verwöhnt. Theatertiere insgesamt, egal, ob auf vier oder zwei Beinen, sind hier immer gut gelitten. Und die schauspieler-freundliche Küche serviert auch noch nach den Vorstellungen was feines Warmes und Leckeres. Für Herrchen Bernd Rademacher, der sich ein bisschen erkältet hat, gibt es sogar Hustensaft. Die Stimme muss ja sitzen.

Mit Ex-Intendant Claus Peymann, der hier auch immer noch gern einkehrt, wenn er in der Gegend ist, hatte Rademacher erst kürzlich ein besonderes Theater-Erlebnis:

Zur Spielzeit-Eröffnung 2018 / 2019 inszenierte Simons-Schauspieler Benny Claessens „ White People´s Problems / The Evil Dead“. Bernd Rademacher hatte laut im Spiel mit Kate Strong über das Alter von Regisseuren nachzudenken, sinngemäß: „Der Johan Simons, der ist jung. Der Peymann,... Lebt der überhaupt noch?“ Eine allein dem Bernd vom dunklen Parkett her noch nach Jahren vertraute Stimme tönte: „Mehr oder weniger!“ – es war Peymann selbst, der heimlich in der Vorstellung saß. Treffer. Und - am Theater werden über Anekdoten Grundweisheiten unter Schauspielern weitergegeben.

Doch, sehr verehrter Dienstältester, Eins nach dem Anderen:

Rademachers Erst-Engagement nach der Folkwang-Schule führte ihn 1980 direkt in die Peymann-Ära nach Bochum, wo er mit Regisseur Alfred Kirchner arbeitete. Danach ging es übers Schauspiel Essen, wo er wegen des vorübergehenden Schauspielchefs David Esrig („ausgerechnet ein Commedia dell`Arte-Spezialist - ausgerechnet aus Transsilvanien“) „erstmal vollkommen die Lust am Theater-Spielen verlor“. Und deswegen zunächst als Regie-Assistent am Nationaltheater Mannheim anheuerte.

Dort stemmte er erfolgreich seine erste eigene Inszenierung („Die Wälder“ von David Mamet) mit Walter Sittler (der heute den „Kommissar und das Meer“ mit Inger Nilsson, also mit der Original-„Pippi Langstrumpf“ persönlich (!) spielen darf“). Und mit Hedi Kriegeskotte (zuletzt im Hape-Kerkeling-Film als Oma zu sehen): „Hedi werde ich nie vergessen: Bei ihr habe ich erstmals und bislang letztmals eine Frau mit Vollbart küssen dürfen. Denn sie war damals eine - neben allem anderen - begnadete Alte-Männer-Darstellerin.“. Das ist eben das Tolle am Theater, hier kann man wahrhaft außergewöhnliche Dinge erleben. Auf und hinter der Bühne. „Hedi war mit meiner damaligen Frau (einer Malerin aus Bochum) befreundet und sicherlich etwas verwirrt von meiner Aktion. Aber - das war es wert.“

Lieblingsrollen?

Irgendwann in seinen Staatstheater-Zeiten in Karlsruhe und Wiesbaden fand Rademacher auch die Lust am Spielen wieder. Die übliche Frage nach Lieblingsrollen findet er eigentlich doof. Denn jede neue Rolle ist auch eine Lieblingsrolle. O.K., fürs Protokoll: Besonders gern hat er den „Mephisto“ in Goethes Faust in der Regie der späteren Konstanzer Intendantin Ritzel gespielt. Oder Tschechows „Onkel Wanja“ in der Regie von Daniel Karasek beides in Wiesbaden.

Den Kontakt zu Bochum hatte „der Rademacher“ aber nie ganz verloren, schließlich war er hier verheiratet. 2002 holte ihn Intendant Matthias Hartmann in die Heimat zurück und hier erlebte er auch Elmar Goerden, Anselm Weber („Guter Mann, weil er hat das runtergewirtschaftete Theater vor der Pleite bewahrt!“), Olaf Kröck und jetzt: Johan Simons. Dass er, der oft der Jüngste in einer Truppe war, mal der Dienstälteste hier am Haus werden würde, das findet Rademacher schon irgendwie lustig.

Dann ist er jetzt quasi so was wie Tana Schanzara, das Bindeglied zur Stadt und zum Revier in dieser neuen internationalen Truppe?

Bernd Rademacher lacht, als wolle er sagen „Zuviel der Ehre!“, aber das sagen Schauspieler nie - und lächelt dann.

Sein Weg zum Theater?

Als Student spielte er an der Studiobühne in Köln, bekam über einen dortigen Bekannten ein Vorsprechen beim berühmten Folkwang-Professor Werner Kraut. Der für seinen eher unkonventionellen Stil bekannt war: „Ich hatte ihn mir sehr furchterregend vorstellt. Aber: Da saß beim Aufnahme-Vorsprechen ein kleiner Mann in einem Sessel und fragte: Was hast Du denn mitgebracht? Und zog sich erstmal eine fette Prise Schnupftabak rein. Nach dem unausweichlichen Niesanfall hing ihm was größeres Braunes ins Gesicht, die klassische Loriot-Nudel-Situation...

Bewerber Rademacher hat „durchgezogen“ und seinen Barlach-Text aus „Der jüngste Tag“ zu Ende vorgesprochen. Und wurde anschließend freundlich von Kraut mit: „Geh mal raus.“ vor die Tür geschickt. Wo er sich gefragt hat, ob das wohl auch nur ein Test war, wie professionell er mit solchen Irritationen umgehen würde. Er wurde er aufgenommen.

Der berühmte Schauspiellehrer-Kauz Prof. Werner Kraut war neben dem Schnupftabak berühmt für seinen immer völlig bekleckerten Pullover. Eines Morgens erschien er zur Überraschung seiner Schüler mit völlig sauberer Woll-Brust, obwohl er wieder im VW-Bus im Folkwang-Hof übernachtet hatte. Ein Raunen ging durch die Elevenschar: Er hat ihn tatsächlich gewaschen... das kann doch gar nicht sein. Konnte es auch nicht: Kraut hatte den Pullover nur falsch herum angezogen. Man sieht: eine schöne und lehrreiche Zeit, nicht die schlechteste Vorbereitung auf diesen Beruf. Wie war das: Am Theater werden über Anekdoten schauspielerische Grundweisheiten weitergegeben.

Und was steht als Nächstes an?

Da lächelt der Bernd Rademacher wieder glücklich, streichelt den Loukas, schaut sich um und verrät, dass es eine Änderung im Programm geben wird: Statt des angekündigten Koltès-Stückes „Quai Ouest“ in der Regie von Karin Henkel, wird diese Ödön von Horvaths wunderbares Stück „Geschichten aus dem Wienerwald“ im Schauspielhaus inszenieren, Bühne Thilo Reuter. Mit einem gewissen Bernd Rademacher, Bochum / Ruhrgebiet, in der begehrtesten Rolle des Wiener „Zauber-Königs“.

Die Vorproben für die 101. Spielzeit 2019/20 haben schon begonnen, beinah zeitgleich mit dem Vorverkauf für die im Herbst kommenden Hamlet-Aufführungen, mit den überregional pressebelobigten „Kabinettstückchen“ des Polonius-Darstellers B.R..

Hört sich an wie: Ein Haus hat seinen „Dienstältesten“ gefunden. Und gibt ihn sicher so schnell nicht wieder her.
(cd)

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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