Das Musiktheater im Revier geht mit Regisseur Volker Lösch dieser Frage nach
Bedeutet Arbeit Leben?

Regisseur Volker Lösch ist bekannt für seine Stücke des bürgerlichen Bildungskanons mit Beiträgen von Laiendarstellern. Er möchte gesellschaftliche Probleme in den Fokus rücken und dabei Unterprivilegierte zu Worte kommen lassen. Foto: Thilo Beu
  • Regisseur Volker Lösch ist bekannt für seine Stücke des bürgerlichen Bildungskanons mit Beiträgen von Laiendarstellern. Er möchte gesellschaftliche Probleme in den Fokus rücken und dabei Unterprivilegierte zu Worte kommen lassen. Foto: Thilo Beu
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Volker Lösch widmet sich mit seinen Projekten häufig den Sinnfragen des Lebens. Dabei geht es um die Gesellschaft in der wir leben, wie sie zu dem wurde und wie die Realität der Gesellschaft sich tatsächlich darstellt. Dazu nutzt er häufig Laiendarsteller, die durch ihre Biografien einen oft neuen Blick auf die Gesellschaft bieten. So nun auch in Gelsenkirchen.

Bereits vor zwei Jahren gab es erste Gespräche zwischen MiR-Intendant Michael Schulz und Volker Lösch rund um ein stadt-soziologisches Projekt, bei dem Menschen aus Gelsenkirchen neben Ensemblemitgliedern des Musiktheater im Revier auf der Bühne stehen sollten. Nun folgt ein neuer Anlauf und zur Spielzeiteröffnung 2021/22 soll die Premiere von "Stadt der Arbeit" gefeiert werden.
"Arbeit ist gerade im Ruhrgebiet und hier in Gelsenkirchen ein großes Thema. Darum soll es um das lebensweltliche Fundament der Arbeit gehen und den überholten Begriff der Vollbeschäftigung für alle", schildert Volker Lösch die Idee hinter dem Stück.
Denn das Ruhrgebiet und Städte wie Gelsenkirchen wurden einst groß und geprägt durch die Arbeit. Sie zogen Menschen von überall her an, weil es hier Arbeit für viele gab. "Für die Malocher im Ruhrgebiet ist der Arbeitsbegriff wichtig gewesen. Und es gilt ja heute immer noch: Wer Arbeit hat gehört dazu und wer nicht, ist außen vor. Das war und ist ein klares Gesetz", erinnert Lösch und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass die Politik in den letzten Jahrzehnten die Erkenntnis verpasst hat, dass es keine Lohnarbeit für alle mehr gibt.
Mit dieser Produktion reiht sich Gelsenkirchen ein in den Reigen von Berlin, Dresden, Hamburg, Stuttgart und vielen anderen bekannten Großstädten, in denen Lösch bisher schon den Finger in die Wunde der Gesellschaft gelegt hat. Denn er sagt: "Gelsenkirchen ist die Stadt, die von Arbeitsmythen und dem Malochen noch heute zehrt. Die kann aber nicht mehr allen Arbeit bieten. Und darum wagen wir gerade hier den Blick in den Abgrund, denn es wird auch zukünftig immer weniger Arbeit geben, auch wenn die Politik es noch wissen will."
Mit "Stadt der Arbeit" geht der Regisseur der These nach, dass Arbeit schon lange nicht mehr so lebenswert ist, wie man immer noch glaubt. "In Zeiten des Neoliberalismus nimmt auch die Ruhrgebiet so hoch gepriesene Solidarität zunehmend ab. Und genau darum wollen wir hier solidarisch arbeiten und uns engagieren. Wir wollen Menschen ein Forum bieten, ihre Geschichten rund um die Arbeit zu erzählen und dabei Teil einer großen Inszenierung am Musiktheater im Revier zu werden", verrät Regisseur Volker Lösch.

Es werden noch Mitspieler gesucht!

Elf Gelsenkirchener haben sich bereits gefunden, die wie Lösch es sagt "aus der Arbeit gefallen sind, die langzeit-arbeitslos oder immer wieder arbeitslos sind oder die die Veränderung des Arbeitsbegriffs biographisch beglaubigen können." Sie werden auf der Bühne Fragmente ihrer Geschichten erzählen, eingebunden in Schauspiel und Musik, die Profis des MiR beitragen. Denn mit dabei sind auch zwei Sängerinnen, zwei Schauspielerinnen und Musiker.
Die Geschichten der Gelsenkirchener werden in Form von Interviews erfasst und fließen in einen Text des Autors Ulf Schmidt ein. "Es gibt einen musikalischen Leiter, einen Sprechchorleiter und alles, was bei einer Produktion des MiR üblich ist. Die Gelsenkirchener stehen mit den Profis auf der Bühne, alle sind gleichgestellt und jeder macht das, was er kann", verspricht Lösch.
Bis zur Premiere am 21. September finden zwei Probenrunden statt. Die erste startet am Dienstag, 8. Juni, und geht dann über vier Wochen, die zweite beginnt am 23. August und dauert bis zur Premiere. Danach wird das Stück bis Dezember vermutlich noch zehn Mal gespielt.
Am Montag, 7. Juni, findet noch einmal ein Casting statt, das aber eher ein Kennenlernen ist, wie der Regisseur erklärt: "Die einzigen Voraussetzungen sind, dass die Interessierten Zeit haben und gesund sind, im Sinne von körperlich belastbar, und dass sie einen biographischen Bezug zu Arbeitslosigkeit haben."
Bisher gibt es Mitspieler im Alter von 22 bis 70 Jahren. Für die Teilnahme gibt es eine Proben- und Vorstellungsgage. Volker Lösch verspricht: "Die Interessierten werden in neun Wochen per Schnellkurs zu Schauspielern. Und es wird Spaß machen! Man muss dazu nicht gut singen können, denn jede und jeder wird so eingesetzt, wie es es inszenatorisch funktioniert. Und alle sind am Ende Bestandteil einer solidarischen großen Inszenierung des Musiktheaters im Revier."
Wer nun auf den Geschmack gekommen ist und seine Geschichte rund um Arbeit und Arbeitslosigkeit erzählen möchte, der kann sich zum Casting am 7. Juni anmelden per Mail an: Mitmachen@musiktheater-im-revier.de oder unter Tel. 0178/14 91 863.

Über den Regisseur Volker Lösch

Volker Lösch gilt als einer der wichtigsten politischen Theatermacher der Gegenwart und hat bisher über 100 Inszenierungen realisiert.
In seinen Arbeiten bringt er häufig Vertreter verschiedener sozialer Gruppen mit professionellen Darstellern zusammen.
Im Musiktheater inszenierte er zuletzt Beethovens "Fidelio" am Theater Bonn, verknüpft mit aktuellen Geschichten von politischen Gefangenen in der Türkei und deren Angehörigen.
In den letzten Jahren intensivierte Lösch die Arbeit mit Autorenkollektiven, um noch gegenwartsbezogener arbeiten zu können. Seine letzte Schauspiel-Inszenierung fand mit "Volksfeind for Future" am Düsseldorfer Schauspielhaus statt, eine Überschreibung von Ibsens "Volksfeind", unter Hinzufügung von bearbeiteten Interviews mit Klimaaktivisten.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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