Die Kirche der Solidarität
Eine Exkursion in die Vergangenheit

Rund 60 Besucher fanden den Weg in die Apostelkirche, nicht nur um in Erinnerungen zu schwelgen, sondern auch um mehr zu erfahren über das, was vor mehr als 20 Jahren hier  für große Aufmerksamkeit sorgte, aber auch dafür, dass keiner der Bergleute ins Bergfreie gefallen ist. Foto: Gerd Kaemper
  • Rund 60 Besucher fanden den Weg in die Apostelkirche, nicht nur um in Erinnerungen zu schwelgen, sondern auch um mehr zu erfahren über das, was vor mehr als 20 Jahren hier für große Aufmerksamkeit sorgte, aber auch dafür, dass keiner der Bergleute ins Bergfreie gefallen ist. Foto: Gerd Kaemper
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„Die 33 Mahnwachen und Andachten in der Kirche der Solidarität des Jahres 1997 waren die Highlight-Erfahrungen meiner Zeit als Industrie- und Sozialpfarrer. Die vielen stillen und dann wieder aufregenden Momente haben einen tiefen Eindruck hinterlassen und das nicht nur bei mir, wie diese Veranstaltung bewiesen hat“, erklärt Dieter Heisig, der Industrie- und Sozialpfarrer des evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid.

Das evangelische Industrie- und Sozialpfarramt Gelsenkirchen hatte in Kooperation mit dem Institut für Kirche und Gesellschaft der evangelischen Kirche von Westfalen zu einer Erinnerungsveranstaltung in die Apostelkirche eingeladen, die 1997 von Bergleuten der Zeche Hugo in Kirche der Solidarität umbenannt worden war.
Hintergrund der Veranstaltung war ein Seminar des Instituts für Kirche und Gesellschaft, das sich mit der Einstellung des Steinkohlebergbaus befasste. Dieter Heisig war der Ansicht, dass das Thema nicht nur theoretisch angegangen werden sollte und so kam es zur Exkursion in die Apostel-Kirche an der Horster Straße 35, die 1997 für 33 Tage zur Kirche der Solidarität wurde.
„Es ging mir darum, vor Ort darzustellen, was hier damals los war. Aber nicht, um das damalige Geschehen zu glorifizieren, sondern um eine Rückschau zu halten. Denn die aktuellen Erfahrungen im Hambacher Forst zeigen ja, dass Kirche und Bergbau auch anders funktionieren kann als damals“, schildert Heisig die Idee zur Veranstaltung.
Und so hatte er zu einem gemeinsamen Kaffeetrinken in das Gemeindehaus hinter der Apostelkirche eingeladen, zu dem sich Gemeindemitglieder, Bergleute und Interessierte einfanden. Anschließend wurde in der Kirche eine Andacht in der Form der Mahnwachenandachten abgehalten, in der der Frage nachgegangen wurde, was Kirche dazu treibt, sich mit dem Bergbau auseinanderzusetzen.
Bei einer offenen Diskussionsrunde waren Bergleute, einer von ihnen ein ehemaliger Betriebsrat auf Hugo, und Gemeindemitarbeiterinnen, die damalige Küsterin und eine Erzieherin, eingeladen als Impulsgeber. Sie berichteten jeweils aus ihrer Sicht das damalige Geschehen. Denn die in Absprache mit der Kirchenleitung und der Gemeinde erfolgte „Besetzung“ der Kirche durch die Bergleute war auch für die Gemeinde Neuland. Für die Bergleute bedeutete das Geschehene zwar nicht die Aufhebung der Entscheidung Hugo zu schließen, aber doch eine Verzögerung und bessere Sozialverträglichkeit des Endes.
Die Küsterin erinnerte sich, dass sie, typisch Frau, daran dachte, dass die Bergmänner sicher nicht mit den vorhandenen Kaffeemaschinen klar kämen und Kaffee war bei einer 24-Stunden-Mahnwache natürlich unverzichtbar. Also erklärte sie gleich zu Anfang den Umgang mit den Geräten. Einer von vielen kleinen und hilfreichen Schritten auf dem Weg zu einer guten Sache.
Die Apostelkirche wurde damals zu einer Anlaufstelle für die Menschen, Solisten des Musiktheaters im Revier, Schauspieler und Musiker brachten sich in einem Kulturprogramm ein, Politiker mischten sich unter das Volk und bekundeten ihre Solidarität und die Gelsenkirchener blickten mit Stolz auf das Geschehen in der Kirche.
„Die Mahnwache sorgte für sehr viel menschliche Nähe, sie war eine tolle Erfahrung für die Menschen, die daran teilnahmen, und so wunderte es nicht, dass nach 33 Tagen so manche Träne vergossen wurde. Ich erinnere mich an die Großdemonstration, bei der 20.000 Menschen in der Buerschen City für den Erhalt des Bergwerks Hugo demonstrierten, und viele weitere positive Facetten der gelebten Solidarität“, berichtet Dieter Heisig.
Und er weiß heute, wie wichtig es damals war, dass die Ängste und Sorgen der Bergleute von vielen anderen Menschen mitgetragen wurden, und sagt: „Gut, dass wir das gemacht haben.“ Darum konnte er die Frage, die sich in der Veranstaltung stellte, ob es richtig war, dass sich Kirche 1997 eingemischt hat, nur mit einem klaren „Ja“ beantworten und erfuhr die Zustimmung der anderen Teilnehmer.
Beeindruckend für ihn war der Respekt, den die Besucher der Veranstaltung trotz durchaus kontroverser Diskussionen in der Kirche an den Tag legten.
Eine „erfreuliche Erfahrung“ machte der Industrie- und Sozialpfarrer bei der Diskussion über die aktuellen Geschehnisse im Hambacher Forst, bei dem die Kirche nicht auf der Seite der Bergleute steht. „Hier gab es unterschiedliche Betrachtungsweisen, bei denen man sich aber einig war, dass der Protest richtig ist, aber man sich dabei an die Gesetze halten müsse. Nur den Besuchern war auch bewusst, dass auch bei einem Ausstieg aus der Braunkohleförderung die Verbrennung der Kohle nicht aufhört. Sie haben erkannt, dass es mehr als nur schwarz und weiß gibt. Und die meisten wissen auch, dass die importierte Kohle oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird. So kam man eigentlich zum Schluss, es wäre besser weiterhin hier vor Ort subventioniert Kohle zu fördern.“
Die Veranstaltung ließ noch einmal das Gefühl von 1997 aufleben, als nach 33 Tagen Mahnwachen in einer rund um die Uhr geöffneten Kirche, in der es hoch emotional bis hochpolitisch zuging und in der gesellschaftsübergreifende Solidarität erlebt wurde, so manch einer bedauerte, dass es vorbei sein sollte.

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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