Schalke-Mediendirektor Thomas Spiegel im Interview: „Die Halbwertzeit einer Nachricht ist Wahnsinn!“

Direktor Medien und Kommunikation ist der offizielle Titel von Thomas Spiegel. Pressesprecher sei mittlerweile nicht mehr zeitgemäß, so Spiegel. Neben Printmedien seien einfach extrem viele weitere Kanäle dazu gekommen.
  • Direktor Medien und Kommunikation ist der offizielle Titel von Thomas Spiegel. Pressesprecher sei mittlerweile nicht mehr zeitgemäß, so Spiegel. Neben Printmedien seien einfach extrem viele weitere Kanäle dazu gekommen.
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Wie sieht es eigentlich auf der „anderen Medien-Seite“ aus? Der Stadtspiegel Gelsenkirchen sprach mit dem ehemaligen Journalisten Thomas Spiegel, Direktor Medien und Kommunikation bei den Königsblauen, über die Entwicklung des Journalismus und die Sichtweisen von ihm und seinem Team über die tägliche Arbeit.

 
Stadtspiegel: „Du hast Publizistik studiert, als freier Journalist gearbeitet und dann auch tatsächlich für den „RevierSport“ begonnen, über den S04 zu schreiben. Was war die schwierigste Geschichte für dich damals?“
Thomas Spiegel:
„Als Jörg Berger S04-Trainer war, wusste ich im Frühjahr 1996 von nahezu allen Spielern, dass es nicht mehr zwischen ihm und den meisten Akteuren passte. Damals hatte man als Journalist noch deren private Telefonnummern. Die Mannschaft war ehrgeizig, während Berger hinsichtlich sportlicher Ziele deutlich auf die Bremse trat. Als ich einmal Kritik aus der Mannschaft veröffentlicht hatte, war Berger sauer auf mich gewesen und drohte, nicht mehr mit mir zu reden. Der damalige Pressesprecher Andreas Steiniger musste vermitteln. Ich war zumindest nicht überrascht, als es zur Trennung kam. Erst danach habe ich meine weiteren Informationen veröffentlicht. In dem Zusammenhang darf man dennoch nicht vergessen, dass der S04 dank Jörg Berger den Klassenerhalt 1994 schaffte, der die Basis für den Einzug in den Uefa-Cup und den Erfolg 1997 war.“
 
„Du hast dein Portfolio immer mehr erweitert und hast unter anderem für den „SID“, den „Tagesspiegel“ und „Die Welt“ über den S04 geschrieben, ehe auch der Verein selbst auf dich zukam.“
„Erst Andreas Steiniger und später auch sein Nachfolger Gerd Voss kamen auf mich zu und haben mich gefragt, ob ich fürs Stadionmagazin „Schalker Kreisel“ schreiben würde. Als ich 2001 beim S04 angefangen habe, war dies mein zentraler Arbeitsbereich. Damals waren wir nur insgesamt zu fünft in der Abteilung.“
 
„Von Gerd Voss hast Du viel gelernt. Was würdest Du behaupten, hat dich am meisten geprägt und prägt Dich vielleicht immer noch?“
„Wir sind nach wie vor sehr gute Freunde, aber auch davon abgesehen war er einer der besten Medienverantwortlichen, die je diesen Job in der Bundesliga gemacht haben. Noch heute orientieren wir uns an den Grundsätzen, die Gerd vorgegeben und gelebt hat: souveräner Umgang mit den Medien also keine Abschottung: Ein konstruktiver Dialog mit den Medien gehört dazu. Gleichzeitig größtmögliche Loyalität zum Club und den Verantwortlichen.“
 
„Auf welche Zeit blickst Du überhaupt nicht gerne zurück?“
„Die schwierigste Phase war die bei Felix Magath, der ja auch Kommunikationsvorstand war. Damit meine ich nicht die persönliche Zusammenarbeit. Magaths Spielregeln waren hart, wenn man sie beachtet hat, konnte ich jedoch vernünftig mit ihm arbeiten. Sehr schwierig war es mit Abteilungsleiter Rolf Dittrich, der sich mehr als mehr Magaths persönlicher Pressesprecher denn als Medienverantwortlicher des Vereins verstand.“
 
„Welche Aufgabe magst Du gar nicht oder weniger?“ 
„Ich stehe selbst ungern in der Öffentlichkeit. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber die Leitung der Pressekonferenzen - Mediengespräche finde ich den besseren Ausdruck - haben mich anfangs schon Überwindung gekostet.“
 
„Besteht Dein Tag „nur“ aus Telefonieren und Organisieren?“
„Wir haben mittlerweile eine sehr große Abteilung, die mir sehr viel Arbeit abnimmt. Trotzdem telefoniere ich noch sehr viel, bin aber mindestens ebenso häufig in Besprechungen, da ich als Kommunikationsdirektor oft ins Boot geholt werde. Daher analysiere ich viel und konzipiere eher Strategien, statt zu organisieren.“
 
„Wie viele Artikel lest ihr?“
„Wir lesen sehr viel. Nicht alles, sondern meist quer, weil wir einfach nicht die Zeit haben, alles zu verfolgen. Davon ab ähneln sich einige Geschichten vom Sachverhalt her. Wir schauen dann mal bei Bewertungen genauer hin, durch welche Brille der jeweilige Autor die Lage sieht. Auch wir hinterfragen uns, ob wir bei den zahlreichen Themen rund um Schalke 04 alles richtig dargestellt und eingeschätzt haben.“
 
„Wie oft greift ihr dann ein?“
„Die Medien ständig zu maßregeln oder zu belehren ist nicht unser Ansatz. Natürlich trete ich für das Unternehmen ein, für das ich arbeite. Aber selbst da ist für mich die Gerechtigkeit ein großes Thema. Dann kann es auch vorkommen, dass ich intern für den Journalisten eintrete und argumentiere, auch die Sichtweise der Medien zu verstehen. Im Falle falscher Fakten oder Kontexte suchen wir das klärende Gespräch. Das passiert aber sicher nicht täglich.“

„Muss vor jedem Mediengespräch - sei es vor einer Pressekonferenz oder einem Einzel-Interview - die befragte Person immer zu Vorbesprechungen mit Dir oder Deinem Team?“
„Eine grundsätzliche Vorbesprechung gibt es vor allem vor Mediengesprächen. Mein Ansatz hier ist – und ich würde behaupten, in anderen Branchen wird ähnlich gearbeitet –, dass ich den Protagonisten so gut es geht auf so viele Themen wie möglich vorbereite. Dabei ist es nicht das Ziel, Antworten auswendig zu lernen. Das haben wir noch nie gemacht und werden es auch nicht, selbst wenn das die landläufige Vorstellung ist. Christian Heidel sagt mir nach den Pressekonferenzen oft mit einem Augenzwinkern, dass ich in der Vorbesprechung viel mehr Themen angesprochen hätte, als Fragen gekommen sind (lacht).“
 
„Ist Deine Arbeit schwieriger geworden?“
„(überlegt länger) Das Arbeitsaufkommen ist gestiegen, aber gleichermaßen ist auch unsere Abteilung größer geworden. Am Anfang waren wir zu fünft, jetzt sind wir 19 - aber es gibt auch über 30 digitale Kanäle mehr, die wir bespielen, wir produzieren zudem eigene Bewegtbilder. Ich würde sagen, dass es nicht schwieriger geworden, aber die Halbwertzeit einer Nachricht Wahnsinn geworden ist. Als Journalist konnten wir vor 21 Jahren mit der Berger-Beurlaubung eine Woche das Blatt füllen. Heute hielte eine solche Nachricht keine drei Stunden, dann wird bereits über Nachfolger und andere Dinge gesprochen. Da muss ich auch mal eine Lanze für die Journalisten brechen. Medienarbeit ist deutlich schneller und vielseitiger geworden.“
 
„Wird es wie beim FC Bayern München demnächst mal 24 Stunden lange Schalke-TV geben?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei so großen Klubs wie Bayern München oder auch Real Madrid und Manchester United, die das ebenfalls anbieten, macht es vielleicht noch am ehesten Sinn. Wobei ich als United-Fan zugeben muss, dass mich das wenig interessiert. Als Fan genügen mir einzelne Clips.“
 
„Kannst Du denn die Kritik der Medien an diesem Format nachvollziehen?“
„Ein großes Thema in den Medien ist, dass Vereinskanäle - Homepage, Social Media, Club TV - durch selbst produzierte Inhalte in Konkurrenz zu externen Medien treten und diese ersetzen wollen. Letzteres wird meiner Meinung nach nie passieren. Ich nehme wieder das Beispiel Manchester United: Ich informiere mich als Fan gerne über die sozialen Medien des Clubs. Will ich aber eine detaillierte Analyse, lese ich Zeitungen wie den „Guardian“ oder informiere mich vor allem bei Twitter über Journalisten, deren Einschätzungen ich sehr schätze. Drittens hört man oft den Vorwurf von Fans, dass wir nach schlechten Spielen und/oder Niederlagen nicht kritisch genug gegenüber unseren Spielern wären. Das kann nicht unsere Aufgabe sein. Wir sind schließlich ein Vereinskanal, zum Club gehören natürlich auch unsere Spieler. Für alles andere gibt es die externen Medien, Foren und Blogs.“
 
„Wie sehr sehnst Du dich nach der Meisterschaft und wie sehr nervt diese Frage?“
„Gar nicht, beziehungsweise nicht mehr. Als ich fünf Jahre alt war, wurde Schalke Vizemeister und Pokalsieger. Als ich zehn Jahre alt war, erneut Vizemeister. Nach dem ersten Abstieg des S04 bin ich – getreu der damaligen „Jetzt erst recht“-Aufkleber – ab der ersten Zweitligasaison mit 14 Jahren zu jedem Heimspiel und zu vier, fünf Auswärtsduellen in Nordrhein-Westfalen gefahren. Als Fan bin ich dreimal abgestiegen. Damals war die Meisterschaft gefühlt noch viel weiter weg als jetzt. Da habe ich als Fan davon geträumt, dass Schalke einmal wieder im Europapokal spielt. Inzwischen hat sich der Verein weiterentwickelt und ist häufiger unter den Top 5. 2001 entstand aufgrund der besonders dramatischen und schlimmen Umstände eine Art kollektives Trauma: Wir müssen unbedingt Meister werden, um den 19. Mai aus den Köpfen zu bekommen. Für mich hielt das bis 2010 an. Felix Magath hat dann die Frage aufgeworfen, ob man für die Meisterschaft die Existenz des Clubs aufs Spiel setzen sollte bzw. das Wesen des Clubs. Klare Antwort: Nein. "Datt iss mein Schalke" ist wichtiger als die Schale. Ich habe vier DFB-Pokalsiege und den Uefa-Cup-Triumph miterleben dürfen, das waren sensationelle Erlebnisse. Aber eins ist ebenso klar: Käme jetzt eine Fee vorbei, wüsste ich, was ich mir als Erstes für uns wünschen würde (lacht).“

Autor:

Raphael Wiesweg aus Gelsenkirchen

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