Schwimmerin Vera Thamm (21) aus Haltern startet bei den XIV. Paralympics

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Die Olympischen Spiele 2012 von London sind seit letzter Woche Geschichte, das nächste fulminante sportliche Großereignis in der englischen Hauptstadt aber steht bereits vor der Tür. Vom 29. August bis zum 9. September kämpfen 4200 seh- und körperbehinderte Sportler um Medaillen. Mit dabei bei den XIV. Paralympics der Behindertensportler: Schwimmerin Vera Thamm (21) aus Haltern.
Neulich im Freibad Aquarell. Vor dem Start muss die junge Frau erst ihre Prothese ablegen, ihr fehlt der rechte Unterschenkel, ihre beiden Arme enden am Ellenbogen: 19 Grad Außentemperatur zeigt das Thermometer, als Vera Thamm in das Schwimmerbecken springt. Dort, wo morgens um Sieben auch die Frühschwimmer ihre Runden ziehen, trainiert sie „zwei Einheiten“ zu jeweils zwei Stunden – und das täglich. „Köpper“, Drehung unter Wasser, nach sieben Metern auftauchen, Rückenlage – und ab geht’s. „Das ist meine schnellste Mischung“, erläutert die 21-Jährige die ungewöhnliche Kombination von Kopfsprung und Rückenschwimmen und verrät, was der Betrachter am Beckenrand nicht sieht: Während der Drehung unter Wasser führt sie mit dem linken Bein Delfin-Kicks aus. Weil dies ihre ganz eigener Stil ist, geht sie bei den Paralympics über 50m und 100 m Freistil an den Start. Mit einer Zeit von 1:10.90 Minuten über 50m Freistil erfüllte sie bei den Landesmeisterschaften in Hamm die erforderliche Norm für die Teilnahme in London. Die vom Deutschen Schwimmverband vorgegebene Qualifikationszeit liegt bei 1:13.08min.
Im Aquarell kennen alle die junge Frau, die stoisch ihre Runden zieht, Tag für Tag, Bahn für Bahn. Die Frühschwimmer, das Personal an der Aquarell-Kasse, die Bademeister – sie alle drücken natürlich die Daumen für London.
Menschen mit Behinderungen, die Leistungssport betreiben, üben auf das Publikum irgendwie eine ganz besondere Faszination aus. Sie sind Botschafter der Hoffnung, Menschen, an denen sich alle ein Beispiel nehmen können, weil sie nicht nur ihr Schicksal meistern, sondern trotz ihres Handicaps zu unglaublichen körperlichen Leistungen fähig sind. So stellt auch Vera Thamm fest: „Die Akzeptanz wird immer besser.“
Von klein auf hat sie trainiert, besuchte Regelschulen von der Grund- bis zur weiterführenden Schule. Ungläubig reagierte der Leiter ihrer damaligen Grundschule auf die Nachricht, dass sie jetzt schwimmen könne. Als sie in der Oberstufe an einer Skifreizeit teilnehmen wollte, hatte die Schule Bedenken. Auf der Piste absolvierte die durchtrainierte Frau die Abfahrtsstrecke – als Erste in der Klasse. Derzeit macht sie Führerschein.
London war stets ihr großes Ziel. Als am 21. Juli die Nominierungskommission des Nationalen Paralympischen Komitees für Deutschland Thamms Teilnahme verkündete und der Anruf von Bundestrainerin Ute Schinkitz sie zu Hause erreichte, hat sie sich „total gefreut“.
Die 21-Jährige ist seit ihrer Geburt körperbehindert und insofern eine Ausnahme-Teilnehmerin. Zumeist sind die Paralympic-Sportler nicht mehr ganz junge Unfallopfer mit „nur“ einer einseitigen körperlichen Beeinträchtigung und spiegeln nicht das gesellschaftliche Bild wider: Lediglich 2,2 Prozent der Menschen mit Behinderungen sind Unfallopfer. Einige der Paralympic-Teilnehmer waren schon vor ihrem Unfall sportlich aktiv.
Vera Thamms Umgang mit der eigenen Behinderung ist offensiv. Während Haltern am See sie (noch) nicht als Werbeträger für die Stadt entdeckt hat, wirbt ihr Verein, der TSV Bayer 04 Leverkusen, für den sie seit 2010 startet, mit ihr und den Teamkollegen als „Schwimmerin des Top-Kaders“ und als „Lokalheldin“ auf großen Fotos in der Innenstadt von Leverkusen. (ist)

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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