Diese Frau ging durch den Regenbogen zu sich selbst

Kerstin Mathiak bei der Lesung aus ihrem Buch.            Foto: Pielorz
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  • Kerstin Mathiak bei der Lesung aus ihrem Buch. Foto: Pielorz
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Kerstin Mathiak war 39 Jahre alt, als sie die Diagnose „Brustkrebs“ bekam. Wie immer bei diesen Diagnosen stürzen für die Betroffenen Himmel und Erde ein. Doch die tapfere junge Frau kämpfte sich mit einem ungewöhnlichen Projekt zurück ins Leben: sie nahm mit neun weiteren erkrankten Frauen an einer Studie der Sporthochschule Köln teil: sie pilgerte 800 Kilometer auf dem Jakobsweg. Darüber hat sie ein Buch geschrieben.

Bei ihrer ersten Lesung aus dem „Marathon der Emotionen“ blieb kein Platz frei. Die Eltern, der Lebensgefährte, Freunde und Verwandte, Mitpilger, die Therapeutin – sie alle waren gekommen. Viele von ihnen glaubten zunächst an eine Erzählung über die Reise und waren überrascht, als Kerstin Mathiak ihre Erlebnisse in einem Buch präsentierte. „Ich wusste schon zu Beginn der Reise, dass die wunderschönen Fotos nicht meine Gefühle würden zeigen können. Darum habe ich früh beschlossen, alles aufzuschreiben“, sagt sie.
Das hat sie getan und das Buch jeder Frau gewidmet, die jemals an Krebs erkrankt ist. Auf den Tag genau 14 Monate nach der Diagnose startete sie am 13. April 2010 zu ihrer ganz persönlichen Reise auf dem Jakobsweg.
Dieser beginnt in Saint-Jean-Pied-de-Port. 800 Kilometer liegen vor der Hattingerin, zu bewältigen mit einem 30+10-Liter-Rucksack, nur wenige Wochen nach dem Ende der Chemotherapie.
Sechs Wochen war Kerstin Mathiak unterwegs. Eine Reise, die sie nie vergessen wird. Eine Reise zu sich selbst. Ihr Buch hat sie in Tagebuchform geschrieben, zu Beginn immer auf den jeweiligen Gemütszustand verweisend. Mal legte sie Streckenabschnitte zwischen den einzelnen Herbergen allein zurück, mal ging sie mit den anderen Frauen aus der Gruppe, mal mit Menschen, denen sie unterwegs begegnete. „Jeder geht seinen ganz persönlichen Jakobsweg“, sagt sie heute. Sie erlebt faszinierend schöne Momente, aber auch Enttäuschungen und Wut. Sie begegnet wunderbaren Menschen und einer besonderen Pilgergemeinschaft, muss sich aber auch mit unsauberen Herbergen und schnarchenden Pilgern in großen Gemeinschaftssälen herumschlagen. Brennende Füße, übersät mit Blasen, und Erschöpfungen bleiben ihr nicht erspart. Und doch spürt der Leser in ihrem Buch mit jeder Zeile, wie sie sich verändert und sich ins Leben zurückkämpft.
Die Lesung kann nicht ohne Emotionen bleiben. Wie mag es den Eltern ergehen, die ihrer Tochter zuhören und sicherlich noch einmal die schwere Zeit Revue passieren lassen? Auch Kerstin Mathiak selbst muss ein paarmal die Lesung unterbrechen und „sich kurz mal schnupfen“.
500 Kilometer ihrer Pilgerreise schleppte die Hattingerin einen Stein in der rechten Tasche ihrer Wanderhose mit sich. Er soll am Cruz de Ferro abgelegt werden, einem von Pilgern errichteten Steinhaufen, an dem sie symbolisch ihre Seelenlast ablegen wollen. Der Stein hat nach der Vorstellung von Kerstin Mathiak in etwa Form und Farbe des Tumors. Am Cruz de Ferro angekommen, ist sie zwar etwas enttäuscht von dem doch stark touristisch geprägten Ort, findet aber dennoch einen ruhigen Moment, um ihre Last abzulegen. Sie schreibt in ihrem Buch: „Ich lege den Stein ab und sage laut zu mir selbst: ‚Du bleibst jetzt hier. Bei mir ist kein Platz mehr für dich, denn ich bin jetzt gesund‘. Ich muss noch einmal ganz furchtbar weinen. Danach fühle ich mich unendlich erleichtert und frei.“
Ihre Therapeutin, Dorothee Isselstein-Mohr, schreibt im Nachwort im Buch ihrer ehemaligen Patientin: „Sie sind durch den Regenbogen, ein uraltes göttliches Symbol des Neuanfangs, gegangen. Es gibt keinen Regenbogen ohne Dunkelheit und Finsternis. Sie sind durch den Regenbogen gegangen und angekommen im eigenen Selbst.“
Heute arbeitet Kerstin Mathiak wieder in ihrem Beruf bei der Sparkasse Hattingen, die sie immer unterstützt hat. Würde sie den Jakobsweg noch einmal gehen? „Nein, diesen Weg nicht. Er ist etwas Besonderes, das kann man nicht wiederholen. Aber eine andere, längere Wanderung, jederzeit.“
Übrigens: Wenn alles klappt, wird Kerstin Mathiak beim Gospelkonzert der Krebshilfe Sprockhövel/Hattingen am Freitag, 2. Dezember, 19 Uhr, einige Worte aus ihrem Buch lesen, bevor das „Duo Taktlos“ und die Gospelsängerin Claudine Abusu die Besucher in die Welt der Musik entführen werden.

Kerstin Mathiak, „Marathon der Emotionen“,ISBN 978-3-86386-035-6, Book-on-demand

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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