Der große WM-Traum lebt

In der Halle ist es mucksmäuschenstill. Alle Augen richten sich auf Anna Dzmitryieva. Dann setzt die Musik ein, und die 15-jährige legt los. Ausdrucksstark und filigran springt sie durch die Luft, zeigt elegante Bodenfiguren und lässt ihre Zuschauer staunen. Als Anna fertig ist, ist sie ganz schön aus der Puste. Doch ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Denn alles hat gut geklappt.
An einer Weltmeisterschaft im eigenen Land teilzunehmen, ist wohl einer der größten Träume eines Sportlers. Für die 15-jährige Schülerin Anna Dzmitryeva kann sich dieser Wunsch erfüllen. Denn sie trainiert eifrig, um im Oktober an der Jazz und Modern Dance WM in Frankfurt teilzunehmen. Ihre Trainerin Silvia Poloczek ist sicher, dass sie es schaffen kann. „Anna ist einfach ein Naturtalent“, lässt die resolute Dame wissen.
Seit sechseinhalb Jahren ist Anna in der Tanzabteilung des Herner TC aktiv. Diese gibt es seit 2003. „Wir haben mit acht Mitgliedern angefangen, heute sind es schon 80“, freut sich Silvia Poloczek. Insgesamt vier Wettkampfteams schickt der HTC erfolgreich ins Rennen, in der Kinderliga, der Jugendverbandsliga, der Landesliga und eben der Oberliga. Dazu kommt noch eine Showtanzgruppe.
Anna hat es trotz ihrer Jugend schon bei den „Großen“ in das Oberliga-Team „Be crazy“ geschafft. „Ich habe mit Eiskunstlaufen angefangen“, erzählt Anna. Doch beim Jazz und Modern Dance fand sie ihre wahre Berufung. „Beim Tanzen fühle ich mich frei, dabei kann ich alles rauslassen“, erzählt sie mit leuchtenden Augen.
Die WM-Chance hat sie Silvia Polocek zu verdanken. Diese bekam Post vom Verband, dass ein Casting für den Jugendkader stattfindet. Und dabei dachte sie sofort an Anna. „Sie ist einfach die Beste im Jugendbereich“, erklärt sie. Diese Entscheidung stieß auf große Gegenliebe. „Als sie mich angerufen hat, um mir davon zu erzählen, hab ich laut losgeschrien“, verrät Anna mit schüchternem Lächeln.
60 Mädchen stellten sich dem kritischen Blick von Bundestrainer Andreas Lauck und seinem Team, 14 blieben übrig. Für Anna ist dies eine einmalige Gelegenheit, denn mit 15 Jahren ist sie dem Jugendkader schon fast entwachsen. „Der Workshop hat viel Spaß gemacht, ich hab mich auch mit den anderen Mädchen gut verstanden“, erzählt die Schülerin.
In den vergangenen drei Monaten wurde nun die rund zweiminütige Choreographie erarbeitet, mit der es Anna zur WM schaffen will. „Ich hab mir als Musik ‚Le Matin‘ von Yann Tiersen ausgesucht“. Sie liebt diese langsamen Klänge, „auch der Bundestrainer meinte, das wäre genau meins“, erzählt sie. Ihre beeindruckende Performance sorgt auf jeden Fall für offene Münder, der Autor dieser Zeilen wäre wohl schon nach wenigen Sekunden ein Fall für den Orthopäden.
Die Entscheidung, ob es mit dem WM-Teilnahme klappt, fällt am 15. September beim Deutschland-Pokal in Lohmar. Wenn man einer alten Thetaerregel folgt, muss das gut gehen. Denn die Generalprobe in Düsseldorf ging gründlich in die Hose. Dort wurde Anna nur Elfte.
Doch Silvia Poloczek glaubt an ihren Schützling. „Anna hat eine sehr hohe Trainingsdisziplin“, lobt sie, „vielleicht kommt da die weißrussische Seite ihrer Mutter durch“. Doch bei allem Ehrgeiz: Zickigkeit ist tabu. Stattdessen wird fleißig geübt. Schließlich richten sich bei der Einzeldarbietung alle Augen auf Anna. „In der Gruppe kann man auch mal einen Fehler machen. Im Einzel fällt das natürlich sofort auf“, weiß sie.
Silvia Poloczek traut Anna sogar eine Profikarriere zu. „Doch zuerst mal will ich das Abi machen. Dann sehen wir weiter“, erklärt die Schülerin des Otto-Hahn-Gymnasiums. Aber nun steht erst einmal die Erfüllung eines Traumes im Mittelpunkt. Wir drücken die Daumen!