Der (Wasser-) Stoff aus dem die Rennträume sind

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Laut heulen die Motoren einer jungen Roller-Clique auf, es knattert und stinkt, großspurig ziehen die Jungs auf dem Hinterrad ihre Kreise über das Gelände der Zeche Ewald. „Pssstt!“, mahnt das Veranstaltungspublikum. Die motorisierten Zweiräder übertönen das Geschehen auf der Rennstrecke unangenehm.
Denn hier drehen mit leisem Quietschen sieben Karts ihre Runden, ganz ohne den typischen Motorsport-Sound. Das H2-Netzwerk-Ruhr und die Emschergenossenschaft haben wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Karts auf die Strecke geschickt. Entwickelt, gebaut und gefahren von sieben Azubi-Teams teilnehmender Ruhrgebietsunternehmen.
Gegen die Konkurrenz von Air Liquide Deutschland, Emschergenossenschaft/Lippeverband, Energieversorgung Oberhausen, RAG/Bergwerk Auguste Victoria, Stadtwerke Bochum und Stadtwerke Düsseldorf tritt auch eine Heimmannschaft aus Herten an, zusammengesetzt aus AGR und Hertener Stadtwerke. „Gemeinsam auf Zukunftskurs“ ist das Motto. Den Helm auf hat hier eine Lady, die 20-jährige kaufmännische AGR-Auszubildende Carolin Vornbrock. Eine Frauenquote gibt es nicht, vielmehr hat die angehende Bürokauffrau ihre männlichen Mitstreiter beim Entscheidungswettbewerb auf einer gewöhnlichen Kartbahn schlicht abgehängt. Nach dem ersten von zwei Hauptrennen steigt sie dennoch unzufrieden aus dem selbstgebauten Gefährt. „Ich hätte besser fahren können“, ärgert sich die Team-Fahrerin, und resümiert, sie habe die Kurven nicht gut genommen. Immerhin den vierten Platz belegt sie mit ihrer Leistung zu diesem Zeitpunkt. Mit großem Abstand hat das Team der Stadtwerke Düsseldorf über die ersten 15 Rennrunden gesiegt, wurde der Fahrer mit La Ola empfangen.
Das Geheimrezept kennen die Hertener nicht, aber die Kräfteverhältnisse. „Wir sind hier eine ganz kleine Nummer“, weiß Ausbilder Ulrich Ilperfund. Ein fünfköpfiges Azubi-Team - ein Elektroniker, ein Mechaniker, ein Mechatroniker und zwei kaufmännische Auszubildende - treten an gegen bestens aufgestellte Crews. „Da wirken Meister und Ingenieure mit“, so Ilperfund mit Blick auf die anderen Fahrerlager. Kein Wunder, bilden die konkurrierenden Firmen auch teils fünfmal so viele junge Erwachsene aus, als es in bei ihnen in Herten möglich ist. Das wirkt sich natürlich auf den Zeitaufwand aus. Seit Dezember sitzen die fünf unter Aufsicht der Ausbilder an dem Projekt. „Anfangs stundenweise“, erinnert sich Ilperfund, zuletzt sei man vollbeschäftigt, also ganztägig damit beschäftigt gewesen, „teilweise bis abends um halb zehn Uhr“. Nicht zuletzt mehrmalige Planungsänderungen und fehlende Teile hätten das Vorankommen erschwert. „Aber das zählt nun nicht mehr, wichtig war uns vor allem die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen, natürlich auch der Spaß am Bau“, so der Ausbilder, der weiß, dass so ein Projekt mit dem Renntag nicht beendet wird, sondern im Betrieb noch umfangreich nachbearbeitet wird. Grundlage der Arbeit war ein für alle Teilnehmer gleiches Go-Kart der Firma RIMO, ein fahrfähiges Hybrid-Fahrzeug auf Brennstoffzellenbasis (Firma Heliocentris), ausgerüstet mit den Hauptkomponenten Brennstoffzelle, Akkumulatoren und Wasserstoffttank. Kreativität war dann in Puncto Umsetzung, Steuerung, Ausstattung und Design gefragt. Gekostet hat das Mischteam ihr fertiges Kart übrigens schlappe 20.000 bis 25.000 Euro.
Derweil rollen die kleinen Flitzer, welche eine maximale Geschwindigkeit von 52 Stundenkilometern erreichen, wieder aus der Boxengasse auf die 400 Meter lange Strecke. Reparaturarbeiten waren wenige vonnöten, aber alle Karts sind neu betankt, mit einer Wasserstoffflasche mit 200 Bar und fünf Liter Inhalt. Nachdem im ersten Durchlauf der Erstplatzierte aus dem Qualifying voraus gefahren ist, starten die Fahrzeuge nun in umgekehrter Reihenfolge der Platzierungen. Deutlich mehr Überholmanöver sind also vorprogrammiert - gar nicht so einfach auf der recht eng gesteckten Strecke. Weil das Team der Stadtwerke Düsseldorf mit der augenscheinlich höchsten Geschwindigkeit rundenlang hinter einem generischen Kart klebt, fährt sich das RAG-Kard in mattem schwarz, verziert mit den Aufschriften „Grubengold“ und „Steinkohle“ - passend zum Austragungsort, denn auch einen ordentlichen Vorsprung heraus.Da kann die Hertenerin mit der Brennstofzelle hinter dem Fahrersitz nicht mithalten. Doch am Ende zählen ja nicht allein Bestzeiten, sondern ebenso Umsetzung und Präsentation (Sieger: Air Liquide), Design (Sieger: Air Liquide) und ein weiterer Durchlauf, in dem es allein gilt, mit einer vorgegebenen Menge an H2 so weit wie nur möglich zu rollen (Sieger: RAG mit 60 Runden in 30 Minuten). Für Carolin und Co., die von den Cheeleadern der „Magic Paws“ (eigentlich Hertener Löwen) mächtig angefeuert wurden, reichte es am Ende für einen guten fünften Platz. Den Gesamtsieg bei der Premiere vor 2000 Zuschauern, die sich am Streckenrand zusätzlich, teils spielerisch über Wasserstofffahrzeuge und Ausbildungsberufe informieren konnten, fuhr das Team AG/ Bergwerk Auguste Victoria aus Marl ein.
Und was bleibt? „Das ist doch kein Autorennen, da fehlen doch Geruch und Geräusche“ tönte es wiederholt aus dem Publikum. Carolin dagegen haben die Fahrten einfach nur Spaß gemacht. „Die Lenkung ist sehr einfach“, freut sie sich, die Achse sei nicht steif und so die Räder variabel lenkbar. „Außerdem kleben die Karts förmlich auf der Strecke“, ergänzt der Ausbilder, Abfliegen sei so gut wie unmöglich. Gast-Profi Lucas Wolf, seit 2010 einer der jüngsten Teilnehmer im Formelsport, kann da nur müde mit der Schulter zucken. Unterschiede im Fahrgefühl, die erkennt er nach Testfahrten im Pace Car nicht. „Außer vielleicht, dass man direkt auf Drehzahl kommt.“ So fährt er auch locker Rundenzeiten von 25 Sekunden , zehn Sekunden schneller als das reguläre Feld. In vier Wochen konkurriert der gebürtige Heidelberger selbst wieder beim ADAC Mastwers Weekend in Österreich um den Sieg. Und eines Tages, so der Plan, möchte er im Formel 1 Auto sitzen, wie sein großes Vorbild Sebastian Vettel. Ob mit knatternden Motoren oder mit quietschendem Hybrid, nur schnell muss es zugehen. Technisch ist da, so lehrt der Tag, wohl alles möglich.

Autor:

XY Z aus Sonsbeck

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