Arbeitslose auf Nulldiät

Mehr als 10 400 jungen Menschen wurde im Jahr 2011 der Hartz-IV-Satz komplett gestrichen. Solche Total-Sanktionen bedeuten in der Konsequenz Kürzung bis auf null, kein Geld für Essen, Miete oder Energieversorgung.
Als Auswirkungen des Behördenhandelns werden Obdachlosigkeit und Beschaffungskriminalität, psychische Erkrankungen und Suizide in Kauf genommen.

Erschreckend dabei ist die offene Missachtung der überwiegenden Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten gegenüber dem Grundgesetz. Ungeachtet mehrerer eindeutigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes sehen die großen Parteien keinen Handlungsbedarf die Menschenwürde zu respektieren und das Sozialstaatsgebot zu erfüllen. Einzig die Partei dieLinke hat sich geschlossen für die Abschaffung der Sanktionen und damit für das Grundgesetz stark gemacht. Als einziger Grüner hat sich Hans-Christian Ströbele bei der letzten Abstimmung im Bundestag am 16.04.2012 klar gegen Sanktionen positioniert.
namentliches Abstimmungsergebnis

„»Ein unhaltbarer Zustand«, findet der Justiziar der Linksfraktion, Wolfgang Nešković. Der ehemalige Bundesrichter kritisiert im Gespräch mit »nd«, dass die Regierung nicht einmal weiß, »ob die Betroffenen wenigstens Sachleistungen erhielten«. Zwar gibt es für den Fall einer 100-Prozent-Sanktion auch Lebensmittelgutscheine, jedoch müssen dieseerst beantragt werden. Ob und wie die derart Bestraften bis zur Bewilligung über die Runden kommen, weiß die Regierung nicht. Was Nešković besonders ärgert, ist das bewusste Wegschauen. So bestreitet die Bundesregierung zwar nicht, dass den Betroffenen Obdachlosigkeit droht. »Aber frei nach dem Motto: Was ich nicht weiß, existiert nicht, sieht sie keinen Handlungsbedarf«, so der Jurist. Nicht einmal eine Studie über die Auswirkungen der Sanktionen will Schwarz-Gelb in Auftrag geben.

»Erschreckend« findet Nešković »das Beharren der Bundesregierung auf ihrer
fehlerhaften Rechtsansicht trotz gegenteiliger Urteile des Bundesverfassungsgerichtes«. So hatte Karlsruhe im Juli die Leistungen für Asylbewerber für »menschenunwürdig« erklärt. Richter monierten, dass die Flüchtlinge ein Drittel weniger als Hartz-IV Empfänger bekämen. Dies sei eine »evidente Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums«.

Wenn Karlsruhe schon die Unterschreitung des Regelsatzes um ein Drittel für
verfassungswidrig hält, ist kaum anzunehmen, dass es 60-prozentige Hartz-IV-Sanktionen gutheißt. Ganz zu schweigen von den 100-prozentigen. »Wenn die
Bundesregierung behauptet, durch diese Entscheidung seien die Sanktionsnormen nicht in Frage gestellt, zeugt dies von trotziger Rechtsblindheit«, meint Nešković.“
Arbeitslose auf Nulldiät

Auf dem Internetportal www.beispielklagen.de werden bisher fünf Total-Sanktionen aus den Jahren 2010/2011 akribisch dokumentiert. Alle waren von Anfang an rechtswidrig und mussten vollumfänglich zurück genommen werden. Die Dokumentation weiterer konkreter Beispiele scheiterte bisher an der fehlenden Einwilligung der Betroffenen zur Veröffentlichung.

Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit habe ich Kenntnis von mindestens 27 100%-Sanktionen erhalten. Leider liegen mir nur einige Rückmeldungen von erfolgreich geführten Klagen vor.

In der Sanktionspraxis des SGB II wird außerdem höchstes deutsches Rechtsgut verletzt: in dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten. Hier gilt: sofort kürzen, und nur nachzahlen, wenn der Betreffende sich wehrt und klagt.

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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