Bettlägerigkeitsbescheinigung
Zwangsvorladungen beim Jobcenter

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Wenn mir die Beratungspraxis eines gezeigt hat, dann dass ein nicht unbedeutender Teil der Erwerbslosen schon Panikattacken hat wenn Post vom Jobcenter kommt oder dort Termine anstehen. Und das hat Gründe.

Dabei muss herausgestellt werden, dass man nicht einfach alle Schuld daran auf die Sachbearbeiter schieben kann. Der überwiegende Teil macht seinen Job, Dienst nach Vorschrift, arbeitet aber in einem System, dass durch die jahrelange Sanktionspraxis zurecht als Existenzbedohung gewertet wurde. Schikane und Bevormundung war für viele erlebte Praxis, während für die Außenwirkung Fähnchen geschwenkt wurden: Fördern & Fordern.

Im Laufe der Vereinsarbeit für aufRECHT e.V. habe ich als Beistand an mehr als 800 Gesprächsterminen im Jobcenter teilgenommen. Trotz kontroverser Diskussionen gab es keine Übergriffe. 

Meine Rückfragen an die Geladenen nach den Terminen waren überwiegend ernüchternd:
- mit Beistand war der Termin einfacher
- ein konkreter persönlicher Nutzen für die Betroffenen war eher die Ausnahme
- reine Zeitverschwendung
- Bedrängung, statt Überzeugung bei Trainingsmaßnahmen und "Eingliederungsverträgen"

Zwar wurde deutschlandweit eine von Jobcentermirarbeitern eingeforderte Sanktionsquote offiziell immer geleugnet, aber angesichts solcher Beweisfotos . . . ?

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Schwachsinn ist eine ernste Bedrohung 

Tätigkeitsberichte (TB) des LfDI Baden-Württemberg:
28. Tätigkeitsbericht 2007
3. Arbeitslosengeld II: Die Bettlägerigkeitsbescheinigung

Die Agentur für Arbeit soll im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Eingliederungsvereinbarung abschließen. Zweck der Eingliederungsvereinbarung ist die Konkretisierung der im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs abstrakt geregelten Grundsätze des Förderns und Forderns. Durch die Vereinbarung werden die Rechte und Pflichten sowohl des Hilfebedürftigen als auch der Behörde verbindlich festgelegt. Ferner sollen hierdurch die Akzeptanz und die Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen erhöht werden. Kommt eine Vereinbarung zwischen Behörde und dem Hilfebedürftigen nicht zustande, besteht nach dem Gesetz aber auch die Möglichkeit, dass die Behörde (einseitig) einen Verwaltungsakt erlässt, der die Vereinbarung ersetzt.

Ein Bürger, der Arbeitslosengeld II bezog, wandte sich Hilfe suchend an meine Dienststelle. Die für ihn zuständige Arbeitsgemeinschaft hatte, da die Eingliederungsvereinbarung von ihm nicht unterschrieben war, einen vereinbarungsersetzenden Verwaltungsakt erlassen. In diesem war geregelt, dass der Petent Zeiten der Krankheit ausschließlich mit einer Bettlägerigkeitsbescheinigung nachzuweisen habe. Allein eine vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche nicht aus.

Von meiner Dienststelle zur Stellungnahme aufgefordert, erklärte die betroffene Arbeitsgemeinschaft, die Vorlage einer Bettlägerigkeitsbescheinigung sei lediglich für Fälle gedacht, in denen sich der Kunde der Meldepflicht und der Möglichkeit, einen Integrationsplan zu erarbeiten, durch Vorlage von Krankmeldungen entziehe. Weiterhin gelte dies nicht für alle Arbeitsunfähigkeitszeiten, sondern lediglich für die Tage, an denen der Kunde zu einem Termin bei der Arbeitsgemeinschaft erscheinen oder an Schulungsmaßnahmen teilnehmen solle. Der Petent habe bisher Einladungen der Arbeitsgemeinschaft Folge geleistet. Daher bestehe objektiv keine Veranlassung, eine Bettlägerigkeitsbescheinigung zu verlangen. Eventuell sei dies aufgrund nicht dokumentierter Äußerungen des Petenten "vorbeugend" in den Verwaltungsakt aufgenommen worden. Im Ergebnis schien die Arbeitsgemeinschaft ihr Vorgehen für zulässig zu halten.

Dem konnte ich nicht folgen: Die in der Eingliederungsvereinbarung enthaltene Verpflichtung, Zeiten der Krankheit ausschließlich durch eine Bettlägerigkeitsbescheinigung nachzuweisen, dürfte zur Erreichung des von der Arbeitsgemeinschaft verfolgten Zwecks von vornherein wenig geeignet sein, da es durchaus Krankheiten gibt, bei denen der Erkrankte zwar nicht der Bettruhe bedarf, aber dennoch nicht arbeitsfähig bzw. nicht in der Lage ist, zu einem Meldetermin zu erscheinen oder an einer Schulungsveranstaltung teilzunehmen. Erwerbsfähige Hilfebedürftige sind nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs verpflichtet, dem zuständigen Leistungsträger spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertags nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen; die Arbeitsgemeinschaft ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Gründe, weswegen es im Falle des Petenten erforderlich gewesen sein könnte, Zeiten der Krankheit - die in der Eingliederungsvereinbarung auch gar nicht eingegrenzt waren - ausschließlich mit einer Bettlägerigkeitsbescheinigung nachzuweisen, wurden von der Arbeitsgemeinschaft nicht vorgetragen. Der vorliegende Fall und insbesondere die Stellungnahme der betroffenen Arbeitsgemeinschaft zeigen, dass dort die datenschutzrechtlichen Kenntnisse nicht sonderlich ausgeprägt sind und offenkundig auch das notwendige Einfühlungsvermögen den Kunden gegenüber fehlt.
Tätigkeitsberichte (TB) des LfDI Baden-Württemberg

Jobcenter Märkischer Kreis

Ein aktuelles Beispiel wurde mir vor wenigen Tagen zur Kenntnis gegeben. Ein Sachbearbeiter schreibt an eine Leistungsberechtigte mit mehreren Fehlzeiten: 

"ich habe mir die AU notiert. Ich werde Ihnen einen neuen Termin zuschicken; wenn Sie dann wieder krank sind, benötige ich eine zusätzliche Wegeunfähigkeitsbescheinigung, die aussagt, dass Sie nicht in der Lage sind an einem 20-minütigen Gespräch teilzunehmen."

Eine solche Forderung ist nicht zumutbar. Eine Kranksschreibung ist ein wichtiger Schutz für Genesung. Jedem Arbeitgeber muss das genügen.

Das  Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 14.07.2020 – Az.: S 38 AS 1417/17 hatte über einen Fall von Sanktionierung wegen Fehlzeit ohne Nachweis einer "Bettlägerigkeitsbescheinigung".

Das Gericht entschied:   
"Der Bescheid des Beklagten vom 19. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für die Leistungskürzung gem. § 32 SGB II liegen zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht vor."

Weiter bemängel das Gericht, "da es an einer korrekten Rechtfolgenbelehrung mangelt. Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine Rechtsfolgenbelehrung dann ausreichend, wenn sie konkret, richtig, vollständig und zeitnah im Zusammenhang mit dem jeweils geforderten Verhalten erfolgt und dem Leistungsberechtigten in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der Weigerung des geforderten Verhaltens für ihn ergeben, wenn für diese kein wichtiger Grund vorliegt. Nach der ständigen Rechtsprechung darf eine Rechtsfolgenbelehrung jedoch auch keine überflüssigen oder falschen Informationen enthalten, die den Leistungsberechtigten verwirren oder abschrecken könnten. Dies ist vorliegend jedoch gerade der Fall. In der Rechtsfolgenbelehrung ist ausgeführt, dass eine Erkrankung einen wichtigen Grund darstellen kann, zu dem Termin nicht zu erscheinen. Hierfür sei eine Bettlägerigkeitsbescheinigung vorzulegen. Für den Nachweis einer krankheitsbedingten Hinderung zur Wahrnehmung eines Meldetermins muss jedoch nicht einmal eine „normale“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt werden. Der wichtige Grund muss objektiv vorliegen, sodass auch ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine krankheitsbedingte Verhinderung ggf. durch andere Beweismittel wie z.B. Zeugen nachgewiesen werden kann (vgl. Weber in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 32, Rn. 49). Durch die Ausführungen in der Rechtsfolgenbelehrung, dass eine Bettlägerigkeitsbescheinigung notwendig ist, falls eine Erkrankung als wichtiger Grund vorliegt, erweckt der Beklagte den Eindruck, dass dies die einzige Möglichkeit ist, den wichtigen Grund nachzuweisen. Somit ist die Rechtsfolgenbelehrung falsch —die überflüssige bzw. falsche Information ist dazu geeignet einen Leistungsempfänger davon abzuhalten, eine Erkrankung als wichtigen Grund geltend zu machen."

Nie allein zum Jobcenter!

Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn Jobcentertermine in Begleitung eines Beistandes oder Freundes wahrgenommen werden, sondern des gesunden Misstrauens.

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Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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