Erstes Mülheimer Geschichtsheft
Affen im Fenster und Fische in der Gosse

Dr. Stefan Pätzold, Leiter des Stadtarchivs, Inge Merz, die Autorin, und Ulrike Nottebohm, die Gestalterin stellen das Erste der Mülheimer Geschichtshefte vor.  | Foto: Andrea Rosenthal
  • Dr. Stefan Pätzold, Leiter des Stadtarchivs, Inge Merz, die Autorin, und Ulrike Nottebohm, die Gestalterin stellen das Erste der Mülheimer Geschichtshefte vor.
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Geschichten aus dem Leben, von Mülheimern für Mülheimer erzählt, die wird zukünftig das Stadtarchiv in loser Folge herausgeben. Das Erste der Mülheimer Geschichtshefte ist nun in den lokalen Handel gekommen.

Von Andrea Rosenthal

"Was war da früher noch mal?" heißt die 40-seitige Broschüre, die sich mit dem Stadtteil Eppinghofen der 50er, 60er und 70er Jahre beschäftigt. Die Geschichten hat Inge Merz zusammengetragen, die Fotos hat sie gemeinsam mit Ulrike Nottebohm ausgesucht, die das Heft auch gestaltet hat.

Dr. Stefan Pätzold, Leiter des Stadtarchivs, erläutert das Konzept der Mülheimer Geschichtshefte: "In diesen gut erzählten und gut bebilderten Broschüren soll es um Heimat gehen. Es ist ein niederschwelliges Angebot für alle Mülheimer." Die Auflagen sind zunächst klein. Vom ersten Band sind zunächst 150 Stück für je 2 Euro im Stadtarchiv, der Eppinghofer Schiller-Apotheke und den Buchhandlungen Fehst und Bücherträume erhältlich. Je nach Interesse der Mülheimer kann die zweite Auflage rasch folgen.

Lokale Kulturgeschichte

Lesenswert ist das Heft für alle, die sich für Mülheim interessieren. Ulrike Nottebohm, die seit 1983 in Eppinghofen lebt, meint: "Es ist eigentlich eine Kulturgeschichte aus Eppinghofer Sicht, denn der Untergang der lokalen Tante-Emma-Läden und kleinen Einzelhändler hat in dieser Zeit auch in Styrum und Saarn, eigentlich in ganz Deutschland so stattgefunden."

Und so hat Inge Merz ein Stück Zeitgeschichte festgehalten an Beispielen aus ihrer Eppinghofer Heimat. Alles begann mit einem Ausruf ihrer Mutter 1972 "Stell Dir vor, Tittgens machen zu!". Ausgerechnet jener Lebensmitteleinzelhändler, bei dem Inge schon mit sechs Jahren selbstständig die ersten Einkäufe für ihre Mutter erledigte. Inge Merz zog los, um Erinnerungsfotos vom Laden und dem vertrauten Personal zu schießen.

So ging es in den Folgejahren weiter, ein kleines Geschäft nach dem anderen schloss seine Türen für immer: Latte, der Obst-, Gemüse- und Feinkosthändler, der Schreibwarenladen Karpenstein, Stinshof-Langen, wo es Tiere, sogar Affen, und Futtermittel gab, und auch die Metzgerei Kaiser-Krebber. Und immer zog Inge Merz los und schoss Erinnerungsfotos.

Was macht eigentlich...?

"Als ich mit meinen Eltern später mal die Fotos ansah, haben wir uns gefragt, was aus den Leuten wohl geworden ist", erzählt Inge Merz. Und so fuhr sie mit ihrer Mutter in die Eifel, wo die Lebensmittelhändler Tittgen ihren Ruhestand verbrachten. Bei Kaffee und Kuchen tauschte man Erinnerungen aus. Inge Merz bekam viele Anekdoten zu hören. Das machte sie neugierig und sie forschte auch bei den anderen Geschäftsinhabern ihrer Kindheit nach. 2009 entstand daraus eine Serie für die WAZ.

Nicht nur Irene Latte, Inhaberin des Feinkostgeschäfts, erinnerte sich an die zappelnden Fische in der Gosse der Eppinghofer Straße. "Wir hatten im Feinkostladen ein riesiges Aquarium mit Lebendfischen. Vor allem vor Weihnachten waren es ganz viele. Einmal, ich traute meinen Augen nicht, war ich auf der Eppinghofer Straße unterwegs, als ich es von weitem auf dem Bürgersteig zappeln sah und meinen Mann in der Gosse fischen." Ein vorbeifahrender Lkw hatte das Aquarium platzen lassen. Fast jeder Ladenbesitzer konnte lustige Erinnerungen teilen.

"Und damit ging es erst richtig los", erinnert sich Inge Merz. "Viele Alt-Eppinghofer riefen mich an und wollten ihre Erinnerungen und Geschichten erzählen." So entstand der Alt-Eppinghofer-Treff, der immer am ersten Sonntag im März im Bürgergarten an der Aktienstraße stattfinden. "Zu unserem ersten Treffen kamen fast 100 Leute, teilweise waren die kompletten Belegschaften der ehemaligen Geschäfte versammelt. Ich habe natürlich ein Programm gemacht und versucht, mit dem Mikrofon herum zu gehen, um die Geschichten zu sammeln." Nach zehn Jahren war es genug. Inge Merz gab die Organisation des Alt-Eppinghofer-Treffs in die Hände des Bürgervereins Eppinghofen.

Die Teilnehmerzahl wurde geringer, weil die Alt-Eppinghofer wegsterben. Und mit ihnen ihre Geschichten. Das ließ Inge Merz keine Ruhe und so tat sie sich mit Ulrike Nottebohm zusammen, um zumindest einige schriftlich festzuhalten.

"Das hat mir eine ganz neue Sicht auf Eppinghofen gebracht", erzählt Ulrike Nottebohm. "Ich wollte eine Verbindung zum heutigen Eppinghofen schaffen, das ja sehr multikulturell ist." Deshalb hat sie die Motive der alten Fotos noch einmal festgehalten, so wie die Stellen heute aussehen. Einzelhändler und kleine Läden gibt es noch immer, aber nicht einen deutschen Inhaber. "Doch in vielen spürt man dieses überlieferte Gefühl der Verbundenheit auch. Vielleicht mache ich ja mal ein Geschichtsheft über das Eppinghofen von heute."

Autor:

Andrea Rosenthal aus Mülheim an der Ruhr

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