Nicht nur am Weltfrauentag
Sexistischer Shitstorm mal näher betrachtet (Teil 1)

Wie alles begann

Eine Bekanntschaft bei Facebook wäre nicht mit mir verbunden, wenn sie durch Sexismus aufgefallen wäre. Umso verwunderlicher war es, als Blondinenwitze und Witze über Frauen in Autowerkstätten bei einem Facebook Freund zu sehen waren. Der Zustand der Verwunderung ließ mich zunächst die Situation beobachten.

Als diese Bekanntschaft, ich nenne sie einfach mal Klaus, einen Limerick veröffentlichte, der nicht nur sexistisch, sondern auch beleidigend und geschmacklos war, wollte ich doch mal nachforschen, was sich denn dort gerade entwickelte.

Was dann passierte, konnte ich mir in meinen kühnsten Vorstellungen nicht ausmalen. Aber es passierte ein grundlegend klassisches Modell der Gruppendynamik. Im Grunde bin ich gar dankbar dafür, weil man an vielen Punkten den Finger legen kann und für künftige Auseinandersetzungen üben kann, wie und wieso Menschen so agieren und reagieren, wie sie es in diesem Shitstorm tun.
Zu wenige Frauen erheben sich, wenn sie sexistisch beleidigt werden. Oftmals wird gar nicht erkannt, dass eine entsprechende Situation gerade vorliegt.

Das zeigt sich auch in den Kommentaren, auf die ich noch eingehen werde. Ich möchte Anhand dieser Situation zeigen, wie wichtig es ist, Sexismus zu erkennen und auch zu benennen. Doch sind es oftmals auch Frauen, die sich auf die Seite des Sexisten schlagen. Wieso das so ist? Auch darauf werde ich noch eingehen.

Dieser Shitstorm bietet viele interessante Momente.

Beschreibung des Limericks

Die Thematik:

„Der Sohn eines Bischofs lebt auf einer spanischen Insel und fand ein bekanntes Model ganz toll. Aber ihr gefiel das gar nicht und nun treibt es ein anderer mit ihr.“

Wie sich auch im laufenden Shitstorm zeigen wird, ist nicht jedem bewusst, was an diesem Sachverhalt sexistisch ist. Tatsächlich gibt es auch Frauen, die behaupten, dass sich dieses Model, welches mit ihrem Körper Geld verdient, sowas auch gefallen lassen muss. Da dieses Model einen Beruf hat, indem ihr Körper Mode präsentiert, darf sie auch sexualisiert und beleidigt werden. Beleidigt? Wieso wird sie denn beleidigt?

Es trieb ja ein anderer mit ihr. Das Model wird ins Passiv gesetzt und suggeriert somit, dass andere Männer sich an ihr bedienen können. Und diese Form von Sexismus nennt man Slutshaming. Nun ist das Model keine Schlampe, aber sie wird darauf reduziert, weil sie es ja in den Augen der Sexisten mit ihrem Körper darauf anlegt.

Die Leugnung oder Relativierung

Nachdem ich diese Zeilen gelesen habe, schrieb ich Klaus im Kommentar, dass er schon seit einigen Tagen sexistisch unterwegs ist. Aber anstatt zu fragen, was ich denn meinen würde kam die Leugnung:

„Quatsch, das ist reiner Nonsens. (…) Im Übrigen, wäre ich ein Repräsentant des Sexismus, läge ich hier nicht bei 5.0000 Freunden, davon 60% Frauen, die übrigens in der Mehrzahl über sowas lachen. (…)“

Es ist sehr aufwendig, 5.000 Facebook-Freunde auf ihr Geschlecht zu überprüfen. Es ist nicht glaubwürdig, dass er diese Zählung vorgenommen hat. Aber Klaus wollte erst mal seiner Bedeutung bei Facebook kundtun. Denn er fokussiert 5.000 Freunde, die ihn in seiner Filterblase unterstützen werden. Also sind diese 60% Frauen erst mal nur eine Vermutung und soll ihm einen Schutz geben. Er sei ja ein Frauenversteher und Frauen verstehen ihn. 60% Frauen können ja nicht irren.

Er glaubt gar, für diese Frauen sprechen zu können, weil sie ihm alle irgendwie mitgeteilt haben müssen, dass sie lachen würden. Klaus untermalt mit dieser Aussage eine Art des benevolenten Sexismus, was ihm wahrscheinlich nicht mal bewusst ist. Er meint es wohlwollend und die Frau im Allgemeinen sieht den Sexismus, den er in seinem Limerick ausdrückt, als gar nicht schlimm.

Weiter geht es mit einer typischen Reaktion, die in solchen Fällen gerne auftaucht.
Klaus meint:

“Ich eröffne jetzt keine endlose Debatte, ich habe das kürzlich in einem anderen Zusammenhang erlebt. Ich muss allerdings feststellen, dass mich dieser Vorwurf zutiefst trifft. In 69 Lebensjahren hat mir das niemand bisher an den Kopf geworfen, weder die Gattin noch meine vorherige Partnerin.“

Klaus ist auf Rückzugskurs, will nicht darüber reden. Es ist im unangenehm. Er will keine Debatte, Schluss! Aus! Feierabend! Nur kommen leider seine 5.000 Facebook-Freunde ins Spiel und machen gerade das: Eine Debatte, die zu einem Shitstorm wird. Die Geister, die er rief.

Das typische Merkmal ist im Besonderen, dass ihm in seinem ganzen Leben niemals eine Frau so etwas gesagt hat. Das mag unterschiedliche Gründe haben.

Wer eine offene Gesprächskultur in einer Beziehung lebt, erfährt auch mal vom Partner, dass er sich nicht ganz korrekt benommen hat. Auch Sexismus kann jedem einmal passieren. Das ist so weit nicht schlimm, wenn man es erkennt und künftig korrigiert.

Wenn ein Partner oder eine Partnerin niemals korrigiert, könnte das daran liegen, dass es keinen Sinn macht. Wenn jemand stets recht hat, nicht selbstkritisch ist, hört man in einer Beziehung auf, darüber zu reden.

Es mag aber auch sein, dass die Partnerinnen von Klaus selbst gar nicht den Sexismus erkennen. Vieles ist in unserer Gesellschaft Gewohnheit. Ein Blondinenwitz, da lacht man drüber. Ist ja nicht so schlimm, war ja schon immer so. Ist ja so üblich. Wenn Frau so denkt, bleibt unser Status in der Gesellschaft auch so, wie er üblich ist: Weniger Gehalt, weniger Karrierechancen, dauerhafte Beleidigungen.

Ein weiters Beispiel, dass diese Reaktion üblich ist: Friedrich Merz wirkt nicht gerade wie ein Frauenrechtler, so hat er 1995 für die Verschärfung des Abtreibungsrechts gestimmt. 1996 stimmt er gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Und bei Twitter veröffentlichte Friedrich Merz:

„Ich weiß, dass wir in der Frauenpolitik besser werden und mehr tun müssen. Aber wenn ich wirklich ein ‚Frauenproblem‘ hätte, wie manche sagen, dann hätten mir meine Töchter längst die gelbe Karte gezeigt – und meine Frau hätte mich nicht vor 40 Jahren geheiratet.“

Zuerst kommt die Leugnung, dann eine passive Bestätigung durch Frauen, die sich nicht selbst zu Wort melden. Diese Männer reden ÜBER ihre Frauen. Wenn die Familie, also das wahrscheinlich wirtschaftlich abhängige Umfeld, nichts sagt, dann ist an den Vorwürfen auch nichts dran. Alle anderen haben unrecht.

Wenn Frauen nichts sagen, fühlen sich Männer im Recht. Das muss sich ändern.

Der Umfang dieses Shitstorms

Wie ich schon andeutete, ergoss sich ein ganzer Hagelsturm zu diesem Thema. Drei Tage lang meinte Facebook mir mitteilen zu müssen, dass mich wieder jemand in seinem Kommentar erwähnt hat. Das ist so, als würde alle fünf Minuten die Türklingel gehen. Das war schon recht nervig.

Ab und zu schaute ich mal rein, wer mich denn anklingelte und war über die Qualität Dessen, was ich las not amused. Nicht um sonst steckt in dem Wort Qualität das Wort QUAL. Es ging nicht um die Beleidigungen über mich, es ging um diese Dummheit, die sich präsentierte. Von persönlichen Angriffen kann ich mich abgrenzen. Die Personen kennen mich nicht und arbeiten sich an ihrem eigenen Dilemma ab. Sie reagieren auf etwas, das ich oberflächlich gesehen, nicht beurteilen kann. Aber der Inhalt, den sie vermitteln wollen, war schon schwer erträglich.

Um es in Zahlen, Daten und Fakten auszuformulieren:

Am Ende des Shitstorms hatte mein Drucker 16 DIN A 4-Seiten auszudrucken. Teilnehmer waren an der Zahl 26. Von diesen 26 Personen waren 14 männlich und 12 weiblich.

Die Anzahl der Kommentare, die ich verfasst habe, waren 12. Die Anzahl der Kommentare der Erzürnten waren 82.

An der Kommentarmenge ist schon zu erkennen, dass hier eine Dynamik am Werk war, die man erst mal begreifen muss.

Was ist Sexismus?

Um diesen Text fortzuführen, müssen wir uns erst mal grundsätzlich mit dem Thema Sexismus beschäftigen. Es ist ein sehr umfangreiches Thema und wir werden hier auch nur einen Teil eruieren können.

„Das Wort "Sexismus" stammt aus dem Amerikanischen. Erstmals wurde es in den 1960er Jahren benutzt. Eine Zusammensetzung aus den Wörtern "Sex" + "Rassismus".“

Es gibt unterschiedliche Formen von Sexismus wie z. B.:

  • Traditioneller oder offener Sexismus ist die offene, auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung.
  • Moderner Sexismus ist die Leugnung von Diskriminierung sowie die Ablehnung von Maßnahmen, die darauf abzielen, soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abzubauen. Diese Form des Sexismus zeigt sich nicht offen und direkt, sondern indirekt.
  • Neosexismus ist der Konflikt zwischen egalitären Werten und negativen Emotionen gegenüber Frauen (Misogynie)
  • Hostiler Sexismus bezeichnet den feindlichen Sexismus. Das Gegenteil dazu bildet der benevolente (wohlwollende) Sexismus.
  • Ambivalenter Sexismus bezeichnet das Zusammenspiel aus hostilem Sexismus und benevolentem Sexismus.

Wenn wir uns auf diesen beschriebenen Limerick beziehen, haben wir es hier mit einem modernen Sexismus zu tun. Die Reaktion der Leugnung ist dafür sehr klassisch. Im Folgenden wird Klaus auch nicht auffallen, die Shitstormteilnehmer moderieren zu müssen. Er lässt es zu, dass diese ablehnenden Maßnahmen und Beleidigungen dynamisch werden.

Personen, die sich sexistisch äußern, sind oftmals sehr überrascht, wenn man sie darauf hinweist. Denn wer sagt es ihnen? Wer hat den Mut, jemanden darauf hinzuweisen, dass er sich gerade über das andere Geschlecht in diskriminierender Weise äußert, und es sich umgehend beschwert? Diese Person hat es doch immer schon gemacht und niemals fühlte sich jemand beleidigt. Aus der Sicht dieser Person fühlte sich niemand beleidigt, weil niemand was sagte. Aber nur, weil jemand nichts sagt, ist es nicht da?

Wenn wir nicht beginnen zu erkennen, wann Sexismus stattfindet und wenn wir nicht darauf hinweisen, werden Personen sich auch weiterhin beleidigend äußern. Sie merken es ja selbst nicht.
In unserer noch immer patriarchischen Gesellschaft wird es sehr spannend, wenn Frau nicht den Stereotypen der Männer entspricht. Die noch immer vorherrschende Wahrnehmung ist, dass Frauen doch gleichberechtigt sind. Mann ist für Gleichberechtigung, das ist wichtig. Wenn Frau sich jedoch auch so verhält, wie es in einer emanzipierten Gesellschaft sein sollte, reagieren viele mit Unverständnis.

Das mag auch mit ein Grund sein, wieso dieser Shitstorm gegen mich geführt wurde. Ich habe etwas ausgesprochen, das man nicht sagen darf. Das ist unbequem, stört die Community. Und als ich noch begann, Argumente und Quellen zu liefern, wurden die Reaktionen noch aggressiver.

Mann will die Gleichberechtigung, wenn Frau weiterhin still in der Ecke steht und am Herd das Mittagessen zubereitet. Dann ist die Gleichberechtigung perfekt. Fällt Frau jedoch mit Persönlichkeit und Unangepasstheit auf, ist gar gebildet und eloquent, kann Mann sich schon mal klein und minderwertig fühlen. Dann muss das andere Geschlecht diskriminiert werden. Diese Person muss weg. Will man nicht haben, sie ist eine Gefahr.

Das nennt man Androzentrismus und wird als eine Sichtweise verstanden, die Männer als Zentrum, Maßstab und Norm versteht. Androzentrismus kann also als eine gesellschaftliche Fixierung auf den Mann oder das „Männliche“ verstanden werden. Ein androzentrisches Weltbild versteht den Mann als die Norm. Aus dieser Sicht, hat Frau sich in einer anderen Norm zu bewegen und zu verhalten. Tut sie dies nicht, können die Reaktionen unter Umständen recht heftig werden.
In diesem Fall setzten die Mechanismen ein, die in diesem Shitstorm noch so klassisch beschreiben werden.

Sexismus ist auch häufig als Humor getarnt. Mann macht sich über das andere Geschlecht lustig. Oder wie in diesem Limerick beschrieben, wird in einer versuchten Form des Humors eine Frau die Schlampenrolle zugeschrieben. Männer können es ja mit ihr treiben, weil sie ein Model ist. Hier kommen Männerphantasien zum Tragen, dessen sich Klaus wahrscheinlich nicht mal bewusst ist.

Aber es ist ja nur humorvoll gemeint. Und wird dieser Humor nicht geteilt, so wird man zu einem Spaßverderber. Die Stimmung kippt, die Einheit der Lacher wird jäh zerstört. Wie kann Frau nur sagen, dass es gar keinen Grund zum Lachen gibt? Dann hätten sich die Amüsierten ja geirrt. Aber sie sind in der Überzahl, haben also recht. Ist das so? Ist man mehr, hat man recht?

Dazu kann ich diese fünfzehn Minuten Interview mit dem Sozialpsychologen Prof. Dr. Erb empfehlen. Unter dem Titel „die Macht der Masse“ beschreibt er dieses Verhalten so:

„In einer Konsenssuppe schwimmt es sich ganz gut und angenehm.“

Fortsetzung folgt mit folgenden Themen:

Wer ist Sexist und Profiling der Shitstormteilnehmer
Wieso Sexismus?
Methoden des Sexismus‘ und Mobbing
Die Rolle der Frauen
Wie mit Sexismus umgehen?

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

6 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.